Brexit: Es wird eng

„Ratlosigkeit bei den Briten. Es hilft wohl nur noch eine langfristige Verschiebung der Austrittsfrist“, meint Sintje Boie, Analystin bei der Hamburg Commercial Bank

Der Brexit treibt uns alle noch in den Wahnsinn. Eigentlich sollte das Vereinigte Königreich am 29. März die EU verlassen. Daraus ist nichts geworden, denn die Briten können sich nicht auf einen Modus für ihren Austritt einigen. Die Frist für den Austritt wurde zunächst bis auf den 12. April verlängert.

Es herrscht völliges Chaos in London. Die Regierung unter Premierministerin Theresa May scheint am Ende ihres Lateins angekommen zu sein. Sie hat einen Brexit-Vertrag mit der EU ausgehandelt, der dreimal vom britischen Unterhaus abgelehnt wurde. Eine Alternative dazu scheint sie nicht zu haben.

Aber auch das Parlament, das eigentlich der Regierung die Kontrolle des Brexit-Prozesses entreißen wollte, ist hilflos. In so genannten „indicative votes“ wurde über verschiedene Alternativen zum ausgehandelten Brexit-Vertrag abgestimmt, doch keine der Alternativen hat eine Mehrheit der Abgeordneten erhalten. Eine Zollunion mit der EU – abgelehnt. Der Erhalt des gemeinsamen Binnenmarktes – abgelehnt. Rückzug vom Brexit, wenn bis kurz vor dem 12. April keine Lösung zur Vermeidung eines ungeordneten Brexit gefunden wurde – auch abgelehnt.

Stellen Sie sich einmal vor, Sie haben einen Gast in Ihrem Restaurant. Dieser studiert die Speisekarte, findet aber nichts nach seinem Geschmack darauf. Er möchte kein Fleischgericht bestellen, aber die vegetarischen Gerichte sagen ihm ebenfalls nicht zu. Sie empfehlen ihm das Menü des Tages, aber er bleibt störrisch und schiebt letztlich die Speisekarte von sich weg. Er möchte aber auch nicht gehen, sondern bleibt verdrossen an seinem Tisch sitzen.

Was machen Sie mit einem solchen Gast? Sollten Sie ihn einfach rausschmeißen, ungeachtet seines Protestes und der anderen Gäste, die sich dadurch gestört fühlen? Oder lassen Sie ihn einfach sitzen und schicken von Zeit zu Zeit einen Kellner vorbei, der sich nach seinem Wohlbefinden und seinen Wünschen erkundigt? Oder aber Sie überlassen ihn komplett sich selbst, kümmern sich um die anderen Gäste und hoffen, dass er irgendwann eine Bestellung aufgibt oder aber stillschweigend das Restaurant verlässt.

Die EU ist in einer Zwickmühle. Nur wenn die Briten bis zum 12. April dem Brexit-Abkommen zustimmen, soll es eine Verschiebung der Brexit-Frist um bis zu zwei Monate bis zum 22. Mai geben. Also bis zu den Wahlen zum Europa-Parlament, die vom 23. bis zum 26. Mai laufen. Denn dann müssten die Briten nicht an den Wahlen teilnehmen. Nach einer solchen Zustimmung zum Abkommen sieht es aber weiterhin nicht aus. Theresa May hat angekündigt mit der Labour-Partei über eine Zustimmung zum Brexit-Vertrag zu sprechen. Im Gegenzug bietet sie Änderungen an der politischen Erklärung zu den künftigen Beziehungen zur EU an. Es dürfte also eine vierte Abstimmung über das Brexit-Abkommen im Parlament geben. Eine Ablehnung ist wohl wahrscheinlicher als eine Zustimmung.

Wenn der Brexit-Vertrag erneut abgelehnt wird, droht den Briten ein ungeordneter Brexit. Das kann weder von den Briten noch von der EU gewollt sein. Aber was ist die Alternative dazu? Das Vereinigte Königreich findet einfach keine Antwort darauf.

Für die EU gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie nimmt kurzfristig trotz der damit verbundenen Risiken einen ungeordneten Brexit in Kauf und kommt den Briten nicht weiter entgegen. Oder die EU stimmt einer längerfristigen Verschiebung der Austrittsfrist um mehrere Jahre zu – ohne Bedingungen. Das dürfte den Briten auch nicht gefallen, da es sich anfühlt wie ein Verbleib in der EU. Doch dann hätten sie genug Zeit, sich zu entscheiden. Und vielleicht bleiben sie dann tatsächlich einfach in der EU.

Marketingmitteilung

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt

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