Dr. Cyrus de la Rubia
Chefvolkswirt
Zum Kontaktformular„Die US-Notenbank überdenkt grundsätzlich ihren geldpolitischen Ansatz. Das kann böse enden“, stellt Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, fest
Es gibt drei Glaubenssätze, die Geldpolitiker quasi mit der Muttermilch aufgesogen haben: Der erste lässt sich mit dem Satz „Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen“ zusammenfassen. Diese These stammt vom US-Ökonomen Milton Friedman und besagt, dass Preise dauerhaft nur dann steigen können, wenn das Wachstum der Geldmenge größer ist als das Wachstum der Wirtschaft. Die zweite Theorie ist die so genannte Phillipskurve. Demnach steigt die Inflation bei einer niedrigen Arbeitslosenrate und umgekehrt. Und der dritte Glaubenssatz ist, dass Inflationserwartungen verankert sein müssen, damit Unternehmen und private Haushalte Planungssicherheit haben und letztlich die Wirtschaft prosperieren kann.
Dieses Gedankengebäude wird gerade in Frage gestellt, unter anderem von der US-Notenbank, die bereits intern 2018 eine Reformdebatte angestoßen hat. Der Grund dafür ist einfach: Eine hartnäckig niedrige Inflation, kaum steigende Löhne und ein stockender Erholungsprozess der Weltwirtschaft wecken Zweifel an der Effektivität der Geldpolitik. Weder die Geldmenge noch die Phillipskurve scheinen gegenwärtig einen großen Erklärungsgehalt für die Inflation zu haben.
Na und, werden Sie vielleicht fragen, was geht mich das an? Vorsicht! Wenn das Gedankengebäude von Zentralbankern, die mit ihren Entscheidungen einen maßgeblichen Einfluss auf unsere Anlageerträge, Verschuldungskosten und Arbeitsplätze haben, gerade zusammenbricht, kann uns das nicht egal sein.
Was ist das konkrete Problem? Tatsache ist zunächst, dass bei einem gegebenen nominalen Zinsniveau eine fallende Inflation gleichbedeutend ist mit einem höheren realen Zinsniveau. Höhere Realzinsen sind aber Gift für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze.
Die Zentralbank steht daher vor einem Dilemma. Üblicherweise wird bei einer fallenden Inflation der Leitzins gesenkt, damit die Realzinsen eben nicht steigen. Genau an dieser Stelle wird aber die stets hoch gehaltene Verankerung der Inflationserwartungen in Kombination mit dem angestrebten relativ niedrigen Inflationsziel von 2 % mehr zum Fluch als zum Segen. Denn wenn die Notenbank den Leitzins senkt, die Anleger aber trotz der niedrigeren Inflation mittelfristig mit einer Teuerungsrate von 2 % rechnen, dann sieht das Zinsniveau noch niedriger aus, als es ohnehin schon ist. Anleger reagieren mit einer immer ungehemmteren Jagd nach Rendite, die sich als Überhitzung in unterschiedlichen Marktsegmenten manifestieren kann, sei es bei Staatsanleihen, Immobilien oder auf dem Kunstmarkt. Würden die Inflationserwartungen „entankert“ und in dieser Situation sinken, könnte dieses Problem entschärft werden. Gleichzeitig tut sich damit ein neuer Abgrund auf: Wenn die Inflationserwartungen sinken, nähert man sich dem Bereich der Deflation, die viele Ökonomen so fürchten wie der Höhenbergsteiger die Todeszone.
Die vermeintliche Lösung, die derzeit diskutiert wird, ist folgende: Die Notenbank kommuniziert ein höheres Inflationsziel, das sich zudem je nach konjunktureller Lage ändern kann. Der „Anker“ wird damit eher zur einer „Boje im Wellengang“. In der Tat wären die Fed oder die EZB in einer komfortableren Situation, wenn die Inflationserwartung bei beispielsweise 3 % läge und sich nach unten anpassen ließe, ohne gleich in die Nähe der Deflationszone zu landen. Nur: Wie können Notenbanken die Inflationserwartungen kurzfristig nach oben zu treiben? Am effektivsten wäre dies wohl möglich, wenn man eine „Helikopterpolitik“ einführt, bei der eine expansive Ausgabenpolitik des Staates von der Notenbank finanziert wird. Ein Tabubruch also, der die Glaubwürdigkeit betroffener Notenbanken extrem beschädigen würde.
Die derzeit stattfindende Diskussion ist wichtig. Und möglicherweise wird man zu dem Schluss kommen, dass die Wahrheit ganz woanders liegt und dass die Geldpolitik nicht allmächtig ist und nicht alle Probleme lösen kann. Durch Strukturreformen etwa kann das Wachstum und damit auch die Inflation wirkungsvoller und nachhaltiger angeregt werden als durch eine laxe Geldpolitik. Bei solchen Reformen muss angesetzt werden. Sich hingegen säkularen Trends wie Demografie und großen Innovationszyklen, die Wachstum und Inflation beeinflussen, durch Zinssenkungen entgegenzustellen, ist ungefähr so effektiv, wie sich mit Sandsäcken gegen einen steigenden Meeresspiegel zu wehren. Hier hat die Geldpolitik nichts zu suchen.
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