„Insolvenzwelle ist nur verschoben“

Januar 2022 Bislang präsentiert sich die deutsche Wirtschaft erstaunlich krisenfest. Doch nach dem Abflauen der Pandemie und dem Ende der staatlichen Unterstützungen dürfte die Zahl der Restrukturierungen und Insolvenzen spürbar steigen. Was dann zu tun ist und wie die Hamburg Commercial Bank Unternehmenskunden unterstützt, berichten Norbert Krüger und Tim Wierzbinski, Restrukturierungsexperten der Hamburg Commercial Bank.

Fabrik von oben

Seit Langem wird in Deutschland infolge der wirtschaftlichen Verwerfungen durch die Pandemie vor einer gewaltigen Insolvenzwelle gewarnt. Bislang ist diese aber ausgeblieben. Lagen die Skeptiker also falsch?

Krüger: Nein, diese Welle ist wegen der üppigen staatlichen Hilfen sowie des niedrigen anhaltenden Zinsniveaus nur verschoben, damit aber nicht aufgehoben. Ein großes Problem dabei ist, dass die Hilfen weit überwiegend als Kredit strukturiert wurden. Entsprechend müssen diese nach dem Ablauf der tilgungsfreien Jahre zurückgezahlt werden. Hinzu kommen strukturelle Probleme der Märkte – vor allem die extrem gestiegenen Energie- und Transportkosten sowie die Lieferengpässe –, die eine Erholung verlangsamen.

Dem Staat wird vorgeworfen, durch seine Eingriffe in das Insolvenzrecht die wahre Schieflage mancher Firmen nur zu verschleiern und fällige Sanierungen in die Zukunft zu verlagern. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

Krüger: Die Verschiebung der Antragspflicht stellt in der Tat einen gravierenden Eingriff in Gläubigerrechte dar. Behutsamer Umgang ist daher geboten. Die Aussetzung der Antragspflicht bedeutet aber ja nicht gleichzeitig, dass der Antragsgrund weggefallen ist. Der Gesetzgeber nimmt damit in Kauf, dass es in Abwägung zur Gesamtvolkswirtschaft trotzdem Kollateralgeschädigte gibt. Etwa Lieferanten, die auf ihrem Geld sitzen bleiben.

Wie fällt aus der Sicht der Sanierungsexperten der Blick auf das Jahr 2022 aus? Droht uns jetzt das „Pleitejahr“?

Wierzbinski: Die Vorausbilanz fällt sehr gemischt aus. Teilweise haben staatliche Hilfen und Sanierungsmaßnahmen der Stakeholder und Banken eine positive Wende herbeigeführt. Gleichzeitig werden wir aber auch weitere Insolvenzen oder andere Formen gerichtlicher Restrukturierung sehen.

Welchen Branchen droht dabei besonderes Ungemach?

Wierzbinski: In erster Linie Hotels und Einzelhandel.

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An welchen Frühindikatoren lässt sich eine drohende Insolvenz zuerst ausmachen?

Krüger: Frühwarnindikatoren greifen primär in der Phase der Intensiv- und Sanierungsbetreuung. Ob es zu einer Insolvenz kommt, hängt stark vom Einzelfall beziehungsweise der Branche ab. Ein wesentliches Kriterium für eine Insolvenz ist aber stets fehlendes weiteres Engagement der Gesellschafter.

Seit Januar 2021 greift in Deutschland das StaRUG – das „Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz“. Was ist der Sinn und Zweck dieses Gesetzes, und was hat es bisher in der Praxis gebracht?

Wierzbinski: Das StaRUG soll von seinem ursprünglichen Gedanken her kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, aus eigener Kraft eine Sanierung herbeizuführen. In der deutschen Variante hat der Gesetzgeber aber die Restrukturierung von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere beim Personal, ausdrücklich ausgenommen. Von seiner Stoßrichtung her zielt das Gesetz damit auf eine Restrukturierung der Passivseite des Kunden. Deutschlandweit gibt es bisher nur Einzelfälle mit jeweils sehr individuellen Problemlagen, meist eher im Gesellschafterkreis als auf Ebene der Banken. Hier bleibt die weitere Entwicklung also abzuwarten, da sich das Instrument auch gegebenenfalls zur Restrukturierung von Corona-Hilfen eignet.

Welche Rolle spielt ein Finanzinstitut wie die Hamburg Commercial Bank im Sanierungsprozess?

Krüger: Wir sind in der Regel Hauptgläubiger und damit einer der wesentlicher Stakeholder im Prozess und häufig größter Risikoträger. Wir haben ein ursächliches Interesse daran, dass Unternehmen nicht in Schieflage geraten. Oder wenn doch, dann schnell wieder aus dieser Situation herausfinden. Basierend auf einem Sanierungskonzept nach dem sogenannten IdW S6 Standard begleiten wir Sanierungsprozesse aktiv und monitoren die Umsetzung des Restrukturierungskonzeptes. Allerdings begleiten wir Sanierungen nicht um jeden Preis. In Abhängigkeit von der Situation des Kreditnehmers ist möglicherweise ein Insolvenzverfahren in den unterschiedlich möglichen Ausprägungen eine adäquate Vorgehensweise. Auch der Verkauf von Kreditforderungen spielt eine zunehmend wichtigere Rolle.

Wie ist das Restrukturierungsteam der HCOB genau organisiert?

Wierzbinski: Sanierungs- und Insolvenzfallbearbeitung sind bei der Hamburg Commercial Bank in einem Bereich zusammengefasst. Das garantiert klare Zuständigkeiten für den Kunden in der schwierigen Phase. Ausgebildete Spezialist:innen begleiten die Kunden der Bank durch die Krise und unterstützen bei der Umsetzung von Sanierungs- und Abwicklungsmaßnahmen.

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