Der Wochenkommentar

Am Geld darf es nicht liegen.

September 2022 Die derzeitigen Herausforderungen - Klimawandel, die Energiekrise und der Krieg in der Ukraine - sind schwer zu überschätzen. Die Modern Monetary Theory (MMT) ist in diesem Zusammenhang vor allem so zu verstehen, dass der Staat häufig wesentlich handlungsfähiger ist als vielfach behauptet.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

MMT ist im Grunde genommen die Erkenntnis, dass ein souveräner Staat sein Geld selber erschafft, während die Bürger und Unternehmen des betreffenden Landes die Nutzer dieses Geldes sind.

Diese Erkenntnis bedeutet, dass – anders als private Haushalte und Firmen – ein Staat mit eigener Notenpresse nicht pleite gehen kann. Der Einwand, dass bereits viele Staaten zahlungsunfähig geworden sind, ist nur eine Bestätigung dieser These: Es handelte sich dabei (fast) ausschließlich um Fälle, in denen sich Staaten in nicht beliebig vermehrbaren Fremdwährungen verschuldet hatten. Die Schlussfolgerung aus dieser Erkenntnis ist aber noch wichtiger: Wenn es zu einer Notsituation kommt – beispielsweise eine Überschwemmung ganzer Landstriche, die den Wiederaufbau, den Bau von Deichen und medizinische und hygienische Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Seuchen erforderlich macht – wäre es absurd, wenn ein modernes Industrieland mit Hinweis auf eine institutionalisierte Schuldenbremse auf diese Ausgaben verzichtet. Ein Land wie die USA könnte seine Schulden zur Bewältigung einer derartigen Krise verdoppeln, ohne dass auch nur ein Investor daran zweifeln würde, dass die USA ihre aufgenommenen Schulden zurückzahlen wird. Warum? Der Staat kann via Notenbank jederzeit das Geld drucken. Tatsächlich ist ja genau das während der Corona-Zeit passiert: der Staat hat Anleihen emittiert und diese sind dann über einen Umweg von der Federal Reserve Bank angekauft worden. Ähnlich hat es auch die Europäische Zentralbank gemacht.

Nun kann man natürlich die berechtigte Frage stellen, warum diese Politik denn nicht von der Ukraine gefahren wird, die sich ja wahrlich in einer Notsituation befindet. Warum benötigt die Ukraine Geld aus dem Ausland? Warum druckt die Notenbank nicht stattdessen Hryvnia und bezahlt damit seine Kriegsausgaben? Haben die dortigen Politiker MMT nicht verstanden? Die Antwort ist, dass die Ukraine – anders als die USA – keine ausreichend diversifizierte Volkswirtschaft ist. Der US-Staat würde in der oben beschriebenen Katastrophe Güter, Dienstleistungen, medizinisches Personal usw. nachfragen, die überwiegend im Inland verfügbar sind. Die Ukraine hingegen benötigt Waffensysteme, die zum größten Teil nicht daheim produziert werden können, und Energierohstoffe, die ebenfalls vor allem aus dem Ausland kommen. Wenn nunmehr die neu gedruckten Hryvnia überwiegend gegen Dollar und Euro verkauft würden, um die benötigten Produkte im Ausland zu kaufen, würde die Hryvnia massiv an Wert verlieren und die Inflation entsprechend steigen.

Und wie sieht es mit Deutschland aus? Deutschland hat keine monetäre Souveränität mehr, die ist in die Hände der Europäischen Zentralbank gelegt worden. Allerdings ist die Schuldentragfähigkeit Deutschlands angesichts eines Verschuldungsgrades von 70 % des BIP nicht in Frage gestellt. Selbst wenn die Schuldenquote auf 100 % steigen würde, käme es zwar zu einem Anstieg, aber eine Explosion der Zinsen wäre nicht zu erwarten, geschweige denn eine Zahlungsunfähigkeit. Warum sollte es, zahlt doch selbst Italien mit einer wesentlich weniger leistungsfähigen Volkswirtschaft und einer öffentlichen Verschuldung von 150 % des BIP keine unzumutbare Risikoprämie.

Der Euro würde vermutlich schwächer, weil ein Teil des aufgenommenen Geldes zum Kauf von Produkten und Dienstleistungen im Ausland verwendet würde. Aber da die europäische Volkswirtschaft hinreichend diversifiziert ist, dürfte der Wechselkurseffekt und damit auch der Effekt auf die Inflation beherrschbar bleiben.

Das bedeutet: Wenn es notwendig ist, die Ausgaben erneut im Bazooka-Stil zu erhöhen, um eine die Gesellschaft destabilierende Wirtschaftskrise abzuwenden, – und danach sieht es derzeit in Deutschland aus – dann wird sich niemand damit herausreden können, es gäbe dafür kein Geld.

Nun werden Kritiker einwenden, dass eine derartige Politik ja das Letzte sei, was man in dieser Phase mit fast zweistelliger Inflation brauche. Aber bedenken Sie: Es geht um die Abwendung einer schweren Wirtschaftskrise, die mit Deindustrialisierung und einer gesellschaftlichen Spaltung einhergehen kann. Man hat möglicherweise die Wahl zwischen „hoher Inflation in Kombination mit einer schweren und nachhaltigen Wirtschaftskrise“ und „eine etwas höhere Inflation, aber die Abwendung einer schweren nachhaltigen Wirtschaftskrise“. Deutschland kann sein Geld zwar nicht selber drucken, aber der Staat ist wesentlich handlungsfähiger, als die Regierung dies mit dem Hinweis auf die Schuldenbremse suggeriert. Für halbherzige Hilfspakete ist daher nicht die Zeit.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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