Der Wochenkommentar

Bankenkrise: Krypto als Ausweg – im Ernst?

März 2023 Die Bankenkrise in den USA und der Schweiz weckt Erinnerungen an die Finanzmarktkrise von 2008/2009. Rufe nach Alternativen werden lauter. Bitcoin ist keine, aber die Blockchaintechnologie bietet einige wichtige Ansatzpunkte.

Dr. Cyrus de la Rubia

In den letzten Jahren gab es stets ein recht eindeutiges Muster an den Kryptomärkten: Wenn Aktien nachgaben, verloren auch Bitcoin, Ether und Co. an Wert. Der Grund dafür war, dass die Anleger im Zuge von schwächeren Aktien ihre Risiken abbauten. Da Kryptowerte vor allem von den institutionellen Anlegern als hochgradig riskant eingestuft werden, geriet diese Vermögensklasse regelmäßig unter die Räder, wenn es bei den Aktien schepperte.

Doch mit der Börsenschwäche der vergangenen Tage, ausgelöst durch den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank in den USA und verstärkt durch den Kollaps der Credit Suisse, wurde dieses Muster durchbrochen. Während der Dax-Index seit dem 8. März – am nächsten Tag begann das US-Bankenbeben – um knapp 5 % nachgegeben hat, legten die Kryptowährungen Bitcoin und Ether um 28 % bzw. 13 % zu.

Bitcoiner fühlen sich bestätigt

Man könnte meinen, dass mit der neuerlichen Krise im Bankensektor das typische Narrativ von Kryptoanhängern, wonach das auf Zentralbankgeld basierende Bankensystem zum Scheitern verurteilt ist, bei mehr und mehr Anlegern verfängt. Auch wenn den Ausführungen zu dieser These üblicherweise die Substanz fehlt, sollte der sich darin manifestierende Glaubwürdigkeitsverlust für den Bankensektor ernst genommen werden.

Tatsächlich ist immer weniger Menschen zu vermitteln, dass nur 14 Jahre nach dem Beinahezusammenbruch des Weltfinanzsystems erneut Banken am Abgrund stehen und staatliche Hilfen mobilisiert werden, um das System zu stabilisieren. Viele Menschen fragen erneut, was ist eigentlich so Besonderes an Banken, dass der Staat sie stets retten muss? Und, könnte ein dezentrales Kryptogeld das System stabiler machen und derartige Rettungsaktionen überflüssig werden lassen?

Unser Finanzsystem ist derart aufgebaut, dass Banken als Finanzierer, Vermögensverwalter und Betreiber des Zahlungssystems eine zentrale Rolle zukommt. Großen Banken wird hierbei in der Regel eine Systemrelevanz zugesprochen. Würde man eine Großbank ähnlich wie ein „normales“ Unternehmen insolvent gehen lassen, müsste man alle Schulden des Instituts von einem Tag auf den anderen fällig stellen. Da derartige Banken national und international mit nahezu allen Wirtschaftssektoren vernetzt sind, auch mit anderen Finanzinstituten, würde dies zu Kettenreaktionen führen. Beispielsweise hätten Unternehmen, die ihr Geld bei einer kollabierenden Bank angelegt haben, dann keinen Zugang mehr zu ihren Guthaben bei diesem Kreditinstitut und könnten ihre Mitarbeiter nicht mehr bezahlen. Genau dieses Szenario stand bei der Silicon Valley Bank zu befürchten. Auch die Kreditvergabe würde eingeschränkt werden, mit der Folge eines Einbruchs bei Investitionsausgaben. Dazu käme, dass Anleger angesichts eines Verlustes ihrer Ersparnisse weniger konsumieren, es käme zu einer Abwärtsspirale aus weniger Nachfrage und höherer Arbeitslosigkeit. Insgesamt würde sich eine Depression im Stil von 1929 wiederholen.

TINA lässt grüßen

Also mal wieder TINA, there is no alternative? Kryptoanhänger behaupten, blockchainbasierte Konzepte könnten hier doch eine Alternative schaffen. Eine genaue Vorstellung oder gar ein durchdachtes theoretisches Gebilde, wie diese Alternative konkret aussehen könnte, fehlt allerdings. Es gibt vielmehr eine Sammlung von Bausteinen und Thesen.

Dazu gehört erstens die Behauptung, Bitcoin solle und werde in Zukunft staatliches Geld – nach Ansicht vieler Bitcoiner der Grund allen Übels – ersetzen. Auf den ersten Blick läuft diese Idee auf ein ähnliches System wie den Goldstandard hinaus: Im Goldstandard wurden die nationalen Währungen in einem festen Wechselkurs zu einer Unze Gold definiert und den Menschen zugesagt, dass die nationale Währung jederzeit zu diesem Wechselkurs in Goldunzen eingetauscht werden könnte.

Vielen Bitcoin-Anhänger schwebt jedoch vor, dass nationales Geld – und somit auch eine Umtauschgarantie – ganz verschwindet, Bitcoin sich als Recheneinheit durchsetzt und die Menschen direkt mit Bitcoin Transaktionen durchführen. Das wiederum scheint aus mehreren Gründen eher abwegig.

Bitcoin ersetzt das Settlement der Zentralbank

Direkt mit Bitcoin Transaktionen durchzuführen ist insofern problematisch, als die Bitcoin-Blockchain lediglich fünf bis acht Transaktionen pro Sekunde verarbeiten kann. Das ist natürlich indiskutabel für die heutige Welt, in der mehrere Milliarden Transaktionen pro Tag durchgeführt werden. Um die Skalierbarkeit zu erhöhen, gäbe es zwei Lösungen. Die erste hieße, dass Intermediäre wie beispielsweise Banken ein Buchgeld schaffen, das auf Bitcoin basiert. Die Zahlungen würden mit Bitcoin-Buchgeld durchgeführt werden und das Zahlungssettlement könnte dann am Ende des Tages mit der Bitcoin-Blockchain passieren, statt wie heute üblich mit der Zentralbank. Damit würde man aber nicht das Problem wiederkehrender Bankenkrisen verhindern. Im Gegenteil, Banken würden sich verschulden – in Bitcoin – und es gäbe keinen Kreditgeber letzter Instanz, so dass Banken im Krisenfall zum Schaden der mit ihnen vernetzten Volkswirtschaft ungebremst in den Konkurs rauschen würden. Genau das passierte während des Goldstandards in den USA zwischen 1880 bis 1933. In diesem Zeitraum gab es drei ausgeprägte Bankenkrisen, nämlich 1893, 1907 und 1930 bis 1933.

Unzuverlässiges Lightning Network

Eine zweite Möglichkeit, Bitcoin direkt für Transaktionen einzusetzen, wird von Bitcoin-Anhängern darin gesehen, über das sogenannte Lightning-Network die Skalierung von Bitcoin-Zahlungen zu erhöhen. Verkürzt kann man sagen, dass das Lightning-Network mit der Bitcoin-Blockchain verbunden ist, aber die einzelnen Transaktionen nicht auf der Blockchain abgewickelt werden. Gut durchdachte Smart Contracts, deren Struktur von der Spieltheorie inspiriert ist, sorgen dafür, dass die Teilnehmer im Regelfall keinerlei Anreiz dazu haben, die Blockchain in Anspruch zu nehmen. Im Ergebnis erhält man ein hochgradig skalierbares dezentrales Zahlungssystem, das nicht auf einzelne Institutionen wie etwa Banken angewiesen ist und im Übrigen auch wenig Energie verbraucht. Leider hat die Sache einen Haken: Die existierenden Lightning-Networks arbeiten nicht so zuverlässig, dass man es wagen sollte, größere Beträge über das Netzwerk zu verschicken. Ob sich das in Zukunft ändert, ist schwer einzuschätzen.

Ohne staatliches Geld ist Handlungsfähigkeit gefährdet

Mit einem Bitcoin-Standard verzichtet der Staat auf seine monetäre Souveränität, was sich beispielsweise in Katastrophenzeiten als fataler Fehler herausstellen dürfte. Wie hätten die Staaten beispielsweise die Bekämpfung der Wirtschaftskrise in der Corona-Pandemie und die Impfstoffe finanzieren sollen, wenn nur Bitcoin als Zahlungsmittel zur Verfügung gestanden hätte? Theoretisch hätten sich die Staaten zwar in Bitcoin verschulden können. Dies hätte jedoch die Zinsen nach oben getrieben und die Wirtschaft noch stärker in die Rezession getrieben. Möglicherweise wären Staaten auch zahlungsunfähig geworden und hätten ihre Handlungsfähigkeit verloren.

Überdies ergeben sich die gleichen Probleme, die der Goldstandard mit sich brachte, allerdings in einer noch verschärften Form: Da der Wert von Bitcoin im Verhältnis zum durchschnittlichen Warenkorb noch stärker schwankt, als man das von Gold gewohnt ist, würden sich mit Bitcoin als gesetzlichem Zahlungsmittel inflationäre und deflationäre Phasen gegenseitig ablösen und zu erheblichen wohlfahrtsmindernden Konjunkturschwankungen führen. Längere Phasen hoher Arbeitslosigkeit wären zu erwarten.

DeFi könnte den Bankensektor stabiler machen – langfristig

Eine weitere These aus der Kryptowelt lautet, dass die Blockchain-Technologie in der Form von Decentralized Finance(DeFi)-Geschäftsmodelle die Finanzwelt sicherer machen kann, ohne dass damit die monetäre Souveränität des Staates in Frage gestellt werden muss. Hinter dem Begriff DeFi steht grundsätzlich die Idee, dass ganze Geschäftsmodelle wie etwa Asset Manager oder Börsen durch einen auf der Blockchain programmierten Code (Smart Contract) abgebildet werden können.

DeFi-Geschäftsmodelle besetzen derzeit lediglich eine Nische, die von ihrer Dimension her noch keiner Bank eine ernsthafte geschäftliche Konkurrenz macht. So vergleicht sich das globale Vermögen von 42 Mrd. US-Dollar, das derzeit in DeFi-Protokollen investiert ist (Total Value Locked), mit dem Bilanzvolumen allein des deutschen Bankensektors von umgerechnet rund 12 Billionen US-Dollar. Mit anderen Worten: Der weltweite DeFi-Sektor ist so groß wie 0,25 % des deutschen Bankensektors.

Dennoch haben DeFi-Geschäftsmodelle Features, die für sich gesehen den Finanzsektor sicherer machen könnten. Diese These klingt möglicherweise irritierend, sind doch im letzten Jahr zahlreiche Kryptofirmen zusammengebrochen und haben ihrerseits die Finanzwelt destabilisiert. Die Kryptobörse FTX, die Kryptobank Celsius und die Stablecoin Terra USD gehörten beispielsweise dazu. Ihnen und den zahlreichen anderen Anbietern, die kollabiert sind, ist eines gemeinsam: Es sind Centralized Finance (CeFi)-Modelle mit zentralisierten und undurchsichtigen Geschäftsmodellen. DeFi-Geschäftsmodelle sind hingegen von ihrer Struktur her gänzlich anders aufgebaut und damit hochgradig transparent. Das beginnt damit, dass der Code der Smart Contracts für alle einsehbar ist (open source). Weiter ist es so, dass alle Transaktionen auf der Ethereum-Blockchain – die meisten DeFi-Geschäftsmodelle nutzen diese Blockchain – einsehbar und nachvollziehbar sind, etwa über etherscan.io. Die Transparenz hat den Vorteil gegenüber CeFi-Anwendungen, dass Manipulationsversuche gut nachvollzogen und rasch entdeckt werden können.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Eine kurzfristige Lösung bieten die DeFi für die heutigen Probleme natürlich nicht, dafür ist der Sektor noch zu klein. Die Vorteile von DeFi und der Nutzung der Blockchain-Technologie könnten neuen Reformbemühungen aber eine Richtung geben. Warum räumen beispielsweise Kunden derzeit nicht nur ihre Einlagen, sondern auch ihre Depots bei Banken leer, denen sie nicht vertrauen? Weil sie fürchten, dass ihre Bank sich selber der Wertpapiere bemächtigt und damit Verluste an anderer Stelle stopft, auch wenn dies gesetzlich untersagt ist und derartige Fälle üblicherweise nicht vorkommen. Die Nutzung der Blockchain-Technologie würde es hingegen möglich machen, dass Wertpapiere in tokenisierter Form – die Bafin hat diese e-Wertpapiere bereits 2021 zugelassen – auf der Ethereum-Blockchain verwahrt werden. Anleger:innen können dann jederzeit auf der Blockchain nachschauen, ob ihre Wertpapiere noch da sind und sie sind auch die einzigen, die die Wertpapiere veräußern können.

Systemrelevante DeFis?

Zum anderen sind Zug-um-Zug-Geschäfte möglich, da Wertpapiere und digitales Geld perspektivisch auf der gleichen Blockchain gehandelt werden können. Damit entfällt das heutige Risiko eines Zahlungsausfalls während der Zeit, in der das Wertpapier auf das Depot des Käufers gebucht wird, nachdem dieser bereits das Wertpapier bezahlt hat.

Denkt man in etwas größeren Zeitabschnitten von zwei oder drei Jahrzehnten, stellt sich die Frage, inwieweit einzelne DeFi-Anwendungen aufgrund von Netzwerkeffekten in Zukunft zu einem natürlichen Monopol tendieren, das konkurrierende DeFis aus dem Feld schlägt. Dem steht gegenüber, dass die bei DeFi-Anwendungen verwendete Software allen zugänglich ist und daher neue Konkurrenzanwendungen jederzeit auftreten können – diese Entwicklung ist schon heute zu beobachten.

Fände dennoch eine Monopolisierung von bestimmten DeFi-Anwendungen statt, würden die Aufsichtsbehörden vor neue Herausforderungen gestellt. Es könnte sein, dass das jetzige Thema „systemrelevante Banken“ durch „systemrelevante DeFi-Anwendungen“ abgelöst wird.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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