Der Wochenkommentar

Bitcoin in El Salvador: Kleines Land, großes Experiement

Juni 2021 Bitcoin ist keine Währung, so lautet die Standardkritik an dem Kryptotoken. Das zentralamerikanische Land El Salvador schert sich aber nicht darum und lässt Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel zu. Dieses Experiment kann große Auswirkungen haben, sowohl in Bezug auf die Volkswirtschaft El Salvadors, als auch in geopolitischer Hinsicht.


Dr. Cyrus de la Rubia

El Salvador führt Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel ein. Der Traum vieler Bitcoin-Fans wird damit schon früher wahr, als viele das erwartet haben. Gleichzeitig kann dies aber auch zur Stunde der Wahrheit werden. Wird sich Bitcoin als Zahlungsmittel durchsetzen und wird diese Maßnahme tatsächlich das Leben der Menschen, die kein Bankkonto haben, verbessern? Werden andere Länder dem Beispiel El Salvadors folgen und wie reagieren die USA und andere entwickelte Volkswirtschaften?

Während die Europäische Zentralbank in etwa fünf Jahren in der Eurozone den digitalen Euro einführen möchte, scheint dies in El Salvador nur eine Frage von wenigen Monaten zu sein. Am 5. Juni 2021 kündigte der 39-jährige Präsident El Salvadors, Nayib Bukele, bei einer Bitcoin-Konferenz in Miami an, dass Bitcoin zum gesetzlichen Zahlungsmittel werden solle, und am 9. Juni wurde das entsprechende Gesetz vom Parlament verabschiedet. 90 Tage, nachdem es im Amtsblatt erschienen ist, soll das Gesetz in Kraft treten. Grundsätzlich ist daher zu erwarten, dass spätestens Anfang Herbst in El Salvador alle Geschäfte Bitcoin als Zahlungsmittel akzeptieren müssen. Auch Steuern können dann mit Bitcoin gezahlt werden.

Infrastruktur fehlt

Das größte Problem, mit dem sich die Regierung bei der Einführung von Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel wird herumschlagen müssen, ist die Tatsache, dass zunächst eine Infrastruktur aufgebaut werden muss, um Kleinstzahlungen in Bitcoin zu erlauben. Zwar kann man durchaus beispielsweise 3000 Satoshis (die kleinste Bitcoin-Einheit, entspricht derzeit etwa 1,20 US-Dollar) über die Bitcoin-Blockchain für einen Espresso überweisen. Die damit verbundenen Transaktionskosten schwanken jedoch zwischen einigen Cent und 50 US-Dollar pro Transaktion, weswegen sich diese Zahlungsart nicht durchgesetzt hat. Grundsätzlich bietet das Lightning Network einen Ausweg, ein in der Bitcoin-Blockchain verankertes System, bei dem jedoch die Transaktionen selber nicht die Blockchain in Anspruch nehmen und daher mit nur marginalen Kosten verbunden sind. In El Salvador ermöglicht die App des Start-Ups Strike in einem Pilotprojekt für ein Küstendorf die Nutzung des Lightning Networks. Der bisherige Erfolg scheint bescheiden zu sein.

Abgesehen davon, dass das Lightning Network technologisch eine echte Herausforderung ist und eine fehlerfreie Funktionsweise bislang nicht garantiert werden kann, kommt in El Salvador hinzu, dass die Internetabdeckung gemäß Opensignal eine der schlechtesten der Welt ist. Außerdem hat El Salvador eines der niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen in Lateinamerika, so dass es vielen Bürgern gar nicht möglich ist, ein Smartphone zu erwerben. Entscheidende Voraussetzungen, damit jeder Bürger ein Wallet (also eine digitale Geldbörse) erhält und man auf dieses auch Zugriff hat, fehlen daher bislang noch.

Auch wenn es sich so anhört, als ob El Salvador zu arm für Bitcoin ist, sollte man das Projekt nicht voreilig abschreiben. Die explizite Legalisierung von Bitcoin – kein anderes Land hat dies bisher getan - könnte dem Vorhaben mit Hilfe von privaten Investoren einen erheblichen Schub verleihen, nach dem Motto: Wenn es hier klappt, dann kann das Vorhaben auch in anderen Ländern ausgerollt werden. Für Strike und andere Anbieter kann dies attraktiv sein.

Wie sinnvoll ist Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel?

Angenommen, die technischen Probleme würden nach einigen Jahren gelöst und Bitcoin würde tatsächlich verstärkt als Zahlungsmittel eingesetzt werden: Würde das Land davon volkswirtschaftlich profitieren? Sieht man zunächst von den Wirkungen durch eventuelle Preissteigerungen oder –rückgänge ab, dann kann das nunmehr vom US-Dollar unabhängige Zahlungssystem es ermöglichen, dass die für El Salvador überlebenswichtigen Überweisungen aus dem Ausland deutlich günstiger werden. Die Überweisungen von Auslands-El Salvadorianern von jährlich rund 6 Milliarden US-Dollar entsprechen etwa einem Viertel des Bruttoinlandsprodukts. Setzt man 3 % als Transaktionskosten an (Weltbank), kommt man immerhin auf bis zu 0,7 % des BIP, die man an Kosten sparen könnte. Das ist durchaus erheblich. Außerdem würde man den Menschen den Zugang zum Finanzsektor erleichtern. Derzeit haben laut Weltbank 24% der Bevölkerung über 15 Jahre kein Bankkonto.

Wie sich Preisschwankungen bei Bitcoin auswirken würden, hängt davon ab, ob das an Bitcoin angeschlossene Zahlungssystem vor allem für Transaktionen verwendet würde oder ob die Menschen beginnen würden, einen Teil oder die gesamten Bitcoin in ihrem digitalen Portemonnaie zu halten. Die Regierung hat angekündigt, dass die staatliche Entwicklungsbank BANDESAL Bitcoin im Wert von 150 Millionen US-Dollar erwerben und als Wechselstelle fungieren soll. Jeder Bürger soll die Möglichkeit haben, Bitcoin nach Empfang in US-Dollar – der bisherigen Währung El Salvadors – zu tauschen. Grundsätzlich sollte dies auch an Kryptobörsen möglich sein.

So oder so, die Gefahr liegt auf der Hand. In Zeiten, in denen der Bitcoin-Kurs nach oben geht, werden mehr und mehr Menschen darauf verzichten, Bitcoin in US-Dollar zu tauschen. Wenn es dann mit dem Bitcoin-Preis abwärtsgeht, könnten viele Menschen zahlungsunfähig werden, etwa wenn sie gleichzeitig einen Kredit in US-Dollar aufgenommen haben.

Geldpolitisch ohne große Auswirkungen

Es ist kaum anzunehmen, dass die El Salvadorianer mit der Einführung des Bitcoin beginnen, die Kryptowährung als Recheneinheit zu verwenden. Zwar sieht das Gesetz vor, dass Preise in Bitcoin ausgewiesen werden können. Aber das dürfte sich eben wegen der Preisschwankungen gegenüber dem US-Dollar nicht durchsetzen. Geldpolitisch ist die Einführung einer zweiten externen Währung vermutlich unproblematisch. Schon jetzt kann El Salvador keine eigene Geldpolitik betreiben, da sie eben nicht über eine eigene Währung verfügt. Das Argument, man wolle sich mit der Einführung von Bitcoin von dem Einfluss der US-Notenbank lösen, ist aber fadenscheinig. Selbst wenn Bitcoin den US-Dollar als meist verwendete Landeswährung ersetzen sollte – das Gesetz sieht vor, dass beide Währungen parallel genutzt werden können –, setzt man sich damit erneut einer nicht beeinflussbaren Größe aus, und zwar den unvorhersehbaren Aktionen der Bitcoin-Marktteilnehmer wie etwa denen eines Elon Musk.

Einigermaßen realistisch erscheint eigentlich nur die Variante, dass Bitcoin als Mittel für den Zahlungsverkehr verwendet wird, sich aber als Wertaufbewahrungsmittel langfristig wegen der Preisschwankungen gegenüber dem US-Dollar nicht durchsetzt.

Geopolitische Gefahr

Eine andere Frage ist, wie die USA und die EU auf die Initiative El Salvadors reagieren. Immerhin erleichtert die Einführung von Bitcoin als gesetzliche Währung es, Sanktionen und Geldwäscheverbote zu umgehen. Von 179 Ländern liegt El Salvador im internationalen Vergleich an Stelle 104 des von Transparency International gemessenen Korruptionsindex. 2018 lag die Zahl der Tötungsdelikte in El Salvador im internationalen Vergleich an vierter Stelle mit 51 Delikten pro 100.000 Einwohner pro Jahr. Kurz: Der Verdacht, dass Bitcoin als gesetztliches Zahlungsmittel – auch von Seiten der Politik – in El Salvador willkommen ist, um illegale Zahlungsströme bequemer abzubilden, liegt nicht gerade fern.

In diesem Zusammenhang dürfte die größte Befürchtung sein, dass das Beispiel Schule macht und andere Länder ebenfalls Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel einführen. Was wäre, wenn der Iran diesen Schritt unternehmen würde? Wenn ein Netzwerk an Bitcoin-Ländern entstünde, die dann – unbehelligt von den USA – im Handel untereinander die Kryptowährung einsetzen würden?

Vor diesem Hintergrund würde es nicht verwundern, wenn die USA und die EU hinter und vor den Kulissen versuchen, El Salvador doch noch von seinem Vorhaben abzubringen. Ein Hebel ist möglicherweise das geplante Abkommen von El Salvador mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), das in diesen Tagen verhandelt wird. Der IWF hat bereits seiner Skepsis zu dem Bitcoin-Vorhaben Ausdruck gegeben.

Fazit

Grundsätzlich könnte die Einführung von Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel einen Investitionsschub in die Zahlungsinfrastruktur einschließlich einer besseren Internetabdeckung in El Salvador auslösen. Darüber hinaus beschränken sich die volkswirtschaftlichen Auswirkungen auf die möglichen Einsparungen bei den für El Salvador sehr wichtigen Überweisungen aus dem Ausland. Geldpolitisch bleibt man hingegen weiterhin ohne eine eigene souveräne Währung. Gleichzeitig legt man sich aber mit dem großen Gegner im Norden an, da die USA wenig Gefallen daran finden wird, dass hier ein Zahlungssystem genutzt wird, das die Umgehung von Sanktionen und Geldwäschegesetzen erlaubt und andere Länder folgen könnten. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es mehr Fragen als Antworten in Bezug auf den Sinn dieses Vorhabens.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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