Der Wochenkommentar

Doch keine Rezession

April 2023 Die Flexibilität der deutschen Unternehmen und staatliche Hilfen haben wesentlich dazu beigetragen, dass eine Rezession vermieden werden konnte. Ein gewisses Vertrauen in die Marktkräfte kann nicht schaden.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Das in der vergangenen Woche veröffentlichte Gemeinschaftsgutachten der führenden Wirtschaftsinstitute Deutschlands hatte gleich zwei positive Botschaften, was in diesen Zeiten ja schon fast als Überfluss gelten muss. Erstens, Deutschland kommt wahrscheinlich um eine Rezession herum. Und zweitens, das Gespenst der Deindustrialisierung wird in Bezug auf Ausmaß und mögliche gesamtwirtschaftliche Auswirkungen stark relativiert.

Dass es in Deutschland wahrscheinlich doch nicht zu der von der Bundesbank und einigen anderen Auguren bereits angekündigten technischen Rezession kommen würde, hatte sich in den vergangenen Wochen bereits angedeutet. Denn sowohl der gesamtwirtschaftliche Ifo-Index als auch der Composite PMI-Einkaufsmanagerindex setzten ihren bereits Ende vergangenen Jahres begonnenen Anstieg fort, sodass sich dem BIP-Rückgang im vierten Quartal aller Voraussicht nach kein weiterer Rückgang im ersten Quartal anschließen wird. Insgesamt wird in diesem Jahr kein berauschendes Ergebnis herauskommen, die Wirtschaftsinstitute prognostizieren ein BIP-Wachstum von 0,3 % für das Gesamtjahr. Im Herbst hatten die Forschungseinrichtungen aber noch eine Schrumpfung der Wirtschaftsleistung um 0,4 % erwartet. Wenige Monate zuvor gingen noch ganz andere Schreckensszenarien durch die Medien, die vor allem im Zusammenhang mit der Angst vor einer Gasmangellage standen. Genau die konnte aber abgewendet werden.

Gründe für etwas Optimismus

Daneben gibt es noch einige andere Faktoren, die die (milde) Erholung wahrscheinlich werden lassen. Da sind zum einen die staatlichen Hilfsprogramme, die die höheren Energiepreise für Haushalte und Unternehmen abfedern, sodass der private Konsum weniger stark in Mitleidenschaft gezogen wird. Weiter spielt der Arbeitsmarkt eine entscheidende Rolle. Dieser bleibt weiterhin geprägt von niedriger Arbeitslosigkeit und Arbeitskräftemangel. Während das für Unternehmen unerfreulich ist, stärkt dies auf Seiten der privaten Haushalte die Zuversicht, in Lohn und Brot zu bleiben, sodass der Konsum auch von diesem Faktor profitiert – bei einem Anstieg der Arbeitslosigkeit oder steigender Angst davor würden die Menschen ihr Geld viel stärker zusammenhalten. Gleichzeitig sorgt diese Konstellation dafür, dass die Lohnabschlüsse in diesem Jahr relativ hoch ausfallen werden, so erwarten es nicht nur die Spitzeninstitute. Diese gehen davon aus, dass die Tariflöhne in diesem Jahr um 4,9 % steigen könnten (nach 2,2 % im Jahr 2022). Beim Konsum werden auch die steuerfreien Einmalzahlungen von bis zu 3.000 Euro eine Rolle spielen, die in vielen Tarifverträgen Berücksichtigung finden (werden). Die Anhebung des Mindestlohnes im Oktober 2022 wird sich in diesem Jahr ebenfalls positiv in den Portemonnaies vieler Arbeitnehmer:innen bemerkbar machen. In jedem Fall zeigen die letzten positiven PMI-Einkaufsmanagerindizes für den Dienstleistungssektor, dass die Hoffnung auf eine konsumgestützte Erholung berechtigt ist.

Inflationsseitig erwarten die Wirtschaftsinstitute für dieses Jahr nur eine geringfügige Entlastung. Die Prognose geht hier von einer durchschnittlichen Teuerungsrate von 6,0 % aus und somit nur wenig niedriger als im Vorjahr. Die Kernrate der Inflation (ohne Energie und Lebensmittel) dürfte sogar steigen, auf 6,2 % (2022: 4,9 %). Vor diesem Hintergrund wird auch davon ausgegangen, dass die Europäische Zentralbank ihre Zügel weiter strafft bzw. es noch zu weiteren Zinserhöhungen kommt. Das ist wiederum auch ein Grund dafür, dass die Wirtschaftserholung insgesamt so bescheiden ausfällt. Als wichtigster Bremsklotz wird dabei der Bausektor identifiziert, der besonders zinssensibel reagiert. Mit anderen Worten: Die Rezession, die in diesem Sektor bereits im zweiten Quartal letzten Jahres eingesetzt hat, wird sich in diesem Jahr fortsetzen, gemäß der Gemeinschaftsdiagnose sogar bis zum Beginn des kommenden Jahres. Für das Gesamtjahr wird hier eine Schrumpfungsrate von 4,9 % erwartet (2022: -1,7 %).

Für den Außenhandel ist man dagegen zuversichtlicher. Dabei dürfte die Erholung Chinas eine gewisse, aber nicht die wichtigste Rolle spielen, da das Wachstum dort vor allem vom Dienstleistungssektor getragen wird, der weniger auf Importe angewiesen ist. Vielmehr spielt hier vor allem eine Rolle, dass die Auftragsbücher der Industrie immer noch relativ voll sind und sich gleichzeitig die Lieferketten deutlich in Richtung Normalisierung bewegen.

Das Schreckgespenst der Deindustrialisierung

Wie steht es neben der kurzfristigen Sicht auf die Konjunktur mit dem immer wieder diskutierten Schreckensszenario einer Deindustrialisierung Deutschlands? Argumentiert wird in diesem Zusammenhang mit den dauerhaft höheren Energiekosten, die die energieintensiven Industrien zu Produktionsverlagerungen veranlassen. Dazu ein paar interessante Zahlen: Würde man das theoretische Szenario annehmen, dass die energieintensiven Industrien sich vollständig aus Deutschland zurückzögen, würde die Bruttowertschöpfung (also die gesamte Wirtschaftsleistung) um 3,6 % fallen. Die Erwerbstätigkeit würde weniger stark zurückgehen (-2,8 %). Der Kapitalstock Deutschlands schrumpfte um 1,7 %. Das sind signifikante Verluste, aber sind Sie nicht auch überrascht, dass die Rückgänge für dieses Extremszenario wesentlich weniger dramatisch ausfallen, als dies in mancher Berichterstattung suggeriert wird?

In dieser Berechnung versteckt sich letztlich eine Empfehlung an die Politik: Vertraut doch bitte den Marktkräften, die höheren Energiepreise werden die Unternehmen zu Anpassungen veranlassen. Und selbst wenn sich Eure ärgsten Befürchtungen bewahrheiten – was sie nicht werden –, würde das keineswegs in eine Katastrophe münden. Die Anpassungen können unterschiedlicher Art sein. Das wird die Steigerung der Energieeffizienz sein, eine Entwicklung, die in den vergangenen Jahren bereits zu beobachten war. So ist die Energieintensität im Verarbeitenden Gewerbe von 2008 bis 2020 um knapp 11 % zurückgegangen. Importe von energieintensiven Vorleistungen sind eine andere Variante, die während der Energiekrise insbesondere im Chemiesektor zu beobachten war. Teilweise wird es aber auch zu einer Abwanderung in andere Länder kommen, die niedrigere Energiekosten haben, hier wird die USA hervorgehoben. Tatsächlich sieht die Studie eine gewissen Evidenz dafür, dass dieser Prozess bereits im Gange ist, denn der Kapitalstock der energieintensiven Branchen ist in den vergangenen Jahren geschrumpft.

Soll man sich dagegen stemmen, etwa mit Subventionen? Genau davon raten die Experten ab. Nur für kritische Wirtschaftsbereiche, die aus strategischen Gründen in Deutschland bzw. der EU gehalten werden sollten, halten sie dauerhafte Hilfszahlungen für gerechtfertigt. Tatsächlich sind pauschale und dauerhafte Subventionen für energieintensive Branchen zugunsten von Subventionen in CO2 Emissionen reduzierende Techniken abzulehnen, auch wenn sie zur kurzfristigen Abfederung von Preisschocks nachvollziehbar und sinnvoll sind.

Fazit

Die deutsche Volkswirtschaft ist flexibel. Das zeigt die Reaktion auf den Energiepreisschock, der durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ausgelöst wurde, auf den nicht nur der Staat, sondern auch die Unternehmen mit Anpassungen reagiert haben, sodass die deutsche Wirtschaft nicht abgestürzt ist und – Glück muss man haben – sogar (wahrscheinlich) eine technische Rezession vermieden wurde. Und genau diese Erfahrung sollte für die Politik ein Hinweis sein, dass eine umfassende Deindustrialisierung nicht bevorsteht, sondern die Unternehmen in Deutschland keineswegs eindimensional in ihren Standortentscheidungen nur auf Veränderungen der Energiepreise reagieren, sondern durchaus abwägen, welche sonstigen Vorteile es hat, in Deutschland zu bleiben, statt in den USA die Zelte aufzuschlagen – zum Beispiel ein vergleichsweise sehr gut ausgebildete Bevölkerung und mit der EU den größten Binnenmarkt der Welt.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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