Der Wochenkommentar

Flughafenchaos

Juli 2022 Manche Menschen studieren fünf Jahre Volkswirtschaftslehre, lesen eifrig Wirtschaftsmedien und haben auch dann die Welt noch nicht verstanden. Andere begeben sich einen Tag in das derzeitige Flughafenchaos, zum Beispiel in Köln/Bonn, und begreifen sofort, was seit zwei Jahren in der Wirtschaft los ist. Und es ist ein guter Ansatzpunkt, um sich Gedanken über Lösungen zu machen. Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Es fängt ganz harmlos an. Sie haben einen Flug um 16:40 Uhr nach Spanien. Ihre Fluggesellschaft empfiehlt Ihnen drei Stunden vorher bereits am Flughafen zu sein. Selbst damit wird es knapp, aber Sie schaffen es gerade noch. Ihren Freund:innen, die einen Tag später fliegen, erzählen Sie von der langen Wartezeit. Entsprechend kalkulieren diese vier Stunden ein. Sie sind nicht die Einzigen und - oh Wunder - auch die vier Stunden sind knapp kalkuliert. Erste Berichte über verpasste Flüge machen die Runde. Ein paar Tage später planen die meisten Passagiere bereits sechs bis acht Stunden Wartezeit mit ein, das Chaos schaukelt sich hoch. Schon früh morgens stehen im Prinzip alle Urlauber:innen, die im Laufe des Tages einen Flug bekommen möchten, zum Sicherheits-Check-In an.

Der Vorzieheffekt als Turbo

Dies ist ein ganz wesentlicher allgemeiner Effekt, der die Verschärfung der weltweiten Lieferkettenprobleme in den vergangenen Jahren erklärt: Aus Furcht, bestimmte Güter nicht rechtzeitig geliefert zu bekommen, haben Industrieunternehmen und der Großhandel Waren mehrere Monate früher auf Lager bestellt und damit Staus in zahlreichen Häfen und rekordhohe Frachtraten hervorgerufen. Die ursprünglichen Auslöser für den Materialmangel waren zu Beginn dieser Entwicklung natürlich andere: coronabedingte Produktionsstopps, die Verlagerung des Konsums von den von Lockdowns betroffenen Dienstleistungen hin zu Gütern, die großzügigen Staatshilfen, die - insbesondere in den USA - den privaten Verbrauch angekurbelt haben und zuletzt der russische Überfall auf die Ukraine. Der Turbo beim Materialmangel und der Lieferprobleme wurde aber dadurch eingeschaltet, dass die Marktteilnehmer ihre Einkäufe immer weiter zeitlich vorgezogen haben.

Ursachenforschung und Gegenmaßnahmen

Was muss geschehen, damit sich die Probleme bei den Lieferketten und der Materialmangel wieder auflösen? Gehen wir zunächst wieder auf die Ebene des Flughafenchaos, inklusive Ursachenforschung. Die Flughafenbetreiber führen den Personalmangel und einen hohen Krankenstand als Ursachen für das Chaos an.

Während der Pandemie, als die Zahl der Urlaubsflüge nahezu auf null zusammengebrochen war, sind Angestellte entlassen worden oder haben sich ihrerseits umorientiert, um attraktivere Jobs zu finden. Weder der ferienbedingte Ansturm auf die Flughäfen noch der damit verbundene Personalmangel sind von heute auf Morgen vom Himmel gefallen, sondern waren angesichts der Ticketbuchungen recht genau prognostizierbar. Es bedarf eigentlich keines BWL-Studiums, um zu verstehen, dass man für diese Zeit mehr Personal rechtzeitig einstellen, schulen und den Sicherheitsprüfungen unterziehen muss. Mit einem entsprechenden Vorlauf hätten Planungen durchgeführt werden müssen.

Nun gut, hätte hätte Fahrradkette. Was kann jetzt getan werden? Das Vorhaben der Bundesregierung, 2000 Hilfskräfte aus dem Ausland befristet anzuwerben, ist sicherlich ein erster Schritt. Experten verweisen allerdings auf ein grundsätzliches Problem in der Luftfahrtbranche: Obwohl das Qualifikationsniveau etwa bei der Sicherheitskontrolle eher unterdurchschnittlich ist, sind die Einstellungshürden ungewöhnlich hoch. Das liegt an der notwendigen Zuverlässigkeitsprüfung der Mitarbeiter, da diese in einem sicherheitssensiblen Bereich arbeiten. Für diese Überprüfungen sind die Bundesländer zuständig, die bis zu zwei Monate für die Durchführung benötigen. Ganz offensichtlich wäre hier eine Beschleunigung der Überprüfungsverfahren ein wichtiger Hebel, um die Misere an vielen Airports abzumildern. Und falls es dann am Lohnniveau liegt, hier ein kleiner Tipp: Einige Student:innen und andere Personen würde sich freuen, einen Sommerjob zu machen, der einen Verdienst von 15, 20 oder wenn notwendig auch 30 Euro pro Stunde verspricht. Zu teuer? Kaum, wenn dagegen die Verluste gerechnet werden, die sich aus halb leeren Flügen und den Ersatzflügen ergeben, die bereitgestellt werden müssen, wenn jemand unverschuldet den Flug verpasst.

Organisatorisch kann der Frust der Urlauber:innen sicherlich auch durch ein Warteschlangenmanagement gemildert werden. Denn dieses scheint bei einem Blick auf die Schlangen, die sich teilweise durch das gesamte Flughafengebäude bis nach draußen gezogen haben, schlichtweg nicht vorhanden zu sein.

Übergreifende Schritte

Lassen sich die Maßnahmen zur Abmilderung des Flughafenchaos auf die globalen Lieferkettenprobleme und den Materialmangel übertragen? Teilweise ist das sicherlich der Fall. Beispielsweise haben viele Containerschiffe in den vergangenen Wochen auch mit ungewöhnlich langen Wartezeiten an Containerterminals zu kämpfen. Hier bemühen sich die Hafenbetreiber und Behörden mit mehr oder weniger großem Erfolg, Regelungen zu finden, um die Wartezeiten zu verkürzen, d.h. auch hier ist ein effizienteres Warteschlangenmanagement erforderlich. Darüber hinaus gibt es sinnvolle übergreifende Schritte, um die Knappheiten zu vermindern. Der wichtigste ist, dass sich die Marktkräfte entfalten können. Das bedeutet selbst absurd anmutende Preissteigerungen für bestimmte Güter und Transportdienstleistungen zu akzeptieren, statt mit gut gemeinten aber kontraproduktiven staatlichen Eingriffen zu reagieren und Preisobergrenzen oder Rabatte zu gewähren. Denn genau die ungefilterten Preissteigerungen bieten den besten Anreiz für Produzenten und Logistiker, ihr Angebot auszuweiten, auf der Suche nach einem höheren Gewinn. Hier gilt wieder der alte Lehrsatz: Die beste Maßnahme gegen hohe Preise sind hohe Preise. Sozialen Härten und für Firmen existenzbedrohende Preissteigerungen muss dann mit Pauschalzahlungen an die besonders betroffenen Haushalte und Unternehmen begegnet werden. In Bezug auf den in vielen Sektoren herrschenden Personalmangel sollte der Staat mit Zuwanderungserleichterungen, einer temporären Deregulierung von arbeitsrechtlichen Bestimmungen und Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen Beitrag zur Abmilderung der Probleme leisten.

Nicht auszuschließen ist, dass der Mangel an Personal und Material schließlich in einen Rückgang der Wirtschaftsleistung mündet. Genau das zu vermeiden, muss aber das Ziel von Wirtschaft und Politik sein. Denn so wenig wie das Streichen von Flügen eine befriedigende Antwort für die Überforderung mancher Flughäfen darstellt, so wenig sollte resigniert und eine Rezession akzeptiert werden, und sei die Situation auch noch so chaotisch.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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