Der Wochenkommentar

Geschichte des Geldes: Warum der Ökonom Friedrich A. von Hayek die Blockchain geliebt hätte

Dezember 2022 Die Geschichte des Geldes verlief nie linear und wird in Zukunft auch nicht linear verlaufen. Klar ist aber unseres Erachtens, dass die Blockchaintechnologie die monetäre Welt maßgeblich beeinflussen wird.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Menschen mögen einfache Narrative. Das gilt auch für die Geschichte des Geldes. Sie wird häufig so erzählt: Am Anfang war der Tauschhandel. Menschen trafen sich, weil sie etwas brauchten, was der andere hatte, also handelten sie eine Kuh gegen einen halben Sack Getreide. Und weil das auf die Dauer zu kompliziert wurde, entstanden Warengelder, die den Tauschwert speicherten: Kaurimuscheln etwa und geprägte Edelmetallmünzen. In einer weiteren Stufe musste dieses Geld seinen Wert nicht einmal mehr in sich tragen, sondern nur noch repräsentieren: Es wurden Wechsel eingeführt, also kurzfristige, auf Papier dokumentierte Kredite, und von da aus war es nicht mehr weit bis zur Einführung von Banknoten. Der Abstraktionsgrad erreichte dann in der modernen Welt seinen Höhepunkt, in dem Geld zum größten Teil elektronisch als Buchgeld, etwa als Forderung gegenüber einer Bank, zirkuliert. Einige Beobachter meinen, dass Kryptowährungen angesichts ihres noch höheren Abstraktionsgrades eine natürliche Fortschreibung dieser Entwicklung seien.

Irreführendes Geldnarrativ

Tatsächlich ist die Geschichte des Geldes wohl etwas komplizierter und weniger linear. Anthropologen haben herausgefunden, dass der Tauschhandel zunächst kaum existierte. Vielmehr haben in Stämmen und Dorfgemeinschaften „archaische Zahlungen“ stattgefunden, die man sich in Summe als ein starkes Netz gegenseitiger Verpflichtungen vorstellen kann: Sie banden kleine Gemeinschaften zusammen. Strafen wurden beglichen, Geschenke gemacht, Mitgifte gezahlt. Mit unserem Verständnis eines ursprünglich ökonomisch motivierten Tauschhandels hat das wenig zu tun.

Auch die verbreitete Idee, dass es zunächst Warengeld und erst später das abstraktere Buchgeld gab, ist mindestens

irreführend. Vielmehr ist es wohl so gewesen, dass Menschen schon früh beim Einkauf haben „anschreiben lassen“ – und dass die dadurch entstandenen Schuldtitel dann teilweise als Geld eingesetzt wurden. Dass sich das Warengeldnarrativ als Primärform des Geldes dennoch durchgesetzt hat, könnte auch damit zusammenhängen, dass sich Münzen und Kaurimuscheln länger dem Verfall widersetzen als Papyrusrollen, Kerbhölzer oder andere Dokumente, auf denen Schulden dokumentiert wurden.

Zum dominanten Geldnarrativ zählt auch, dass Geld privaten Ursprungs ist, dass interessierte Kaufleute es eingeführt haben – und dass der Staat dabei keine Rolle gespielt hat. Tatsächlich ist es jedoch schwer vorstellbar, dass sich eine Geldform durchsetzt, die nicht mit der Autorität eines Herrschers (Staates) ausgestattet ist, der ihren Wert verbürgt: Jede Münze hat zwei Seiten; eine zeigt den Wert an, die zweite zeigt den Bürgen. Es ist also der Staat, der seit Jahrhunderten definiert, was als Geld akzeptiert wird – indem er von seinen Bürgerinnen und Bürgern verlangt, Steuern an ihn in eben dieser Währung zu entrichten. Dadurch, dass der Staat seine Währung als das „gesetzliche Zahlungsmittel“ definiert, ergibt sich eine Nachfrage nach diesem Zahlungsmittel. Dadurch erhält es seinen Wert. Dadurch erkennen die Menschen es als Zahlungsmittel an.

So lässt sich erklären, warum die Menschen auch in Zeiten einer hohen Inflation am Gebrauch der lokalen Währung festhalten: Sie haben keine andere Wahl, weil sie ihre Steuern in dieser Währung bezahlen müssen. Ein Vertrauensmissbrauch durch Staaten hat zwar seine Grenzen – in vielen Ländern sind Parallelwährungssysteme mit US-Dollar oder Euro neben der lokalen Währung entstanden –, aber fast immer sorgt der Staat durch seine Steuermacht für eine Basisnachfrage nach seinem staatlichen Geld.

Hayek würde jubeln vor Freude

Umso spannender ist die Beobachtung, dass mit dem Aufkommen der dezentralen Blockchain-Technologie neue Formen von Zahlungsmitteln entstehen, die dem staatlichen Geld Konkurrenz machen können. Friedrich August von Hayek würde jubeln vor Freude. Der Wirtschaftsnobelpreisträger von 1974 hat sich zeitlebens gegen das staatliche Geldmonopol gewandt und einen Wettbewerb zwischen privat herausgegebenen Geldformen herbeigesehnt: Konkurrierende Währungen schienen ihm geeignet, das Inflationsgespenst zu bannen, weil der Markt das „schlechtere“ Geld konsequent aussortieren würde.

Natürlich hat Hayek dabei noch nicht an Blockchain-basiertes Geld gedacht. Er starb 1992. Der Bitcoin wurde 2008 erfunden, und 2015 wuchsen mit der Entstehung der Ethereum-Blockchain – das ist die zweitgrößte, dezentrale, öffentliche Datenbank – die Möglichkeiten für die Schaffung von Kryptowerten. So wurden mehr als 70 Prozent aller Stablecoins – das sind Kryptowährungen, die Wertstabilität versprechen – auf der Ethereum-Blockchain emittiert. Darüber hinaus wird Ethereum genutzt, um Vermögenswerte zu tokenisieren, also in handelbare Einheiten zu teilen.

Die Token-Ökonomie

Was bedeutet das? Nun, stellen Sie sich vor, die Eigentumsrechte an unterschiedlichen Vermögensgegenständen (Immobilien, Aktien, Kunstwerke, Oldtimer etc.) werden in digitalen Einheiten abgebildet und auf Blockchain-basierten Marktplätzen gehandelt: In dieser „Token-Ökonomie“ würden die Grenzen zwischen verschiedenen Zahlungsmitteln verschwinden. Anders ausgedrückt: Die einfache Übertragbarkeit tokenisierter Vermögenswerte zu zukünftig minimalen Kosten erhöhte die Substituierbarkeit von staatlichem Geld durch Kryptowährungen und Vermögenstoken.

Daraus ergäben sich zwei überraschende Folgerungen. Erstens wäre plötzlich der direkte Tausch von Gütern möglich. Man könnte mit einem Immobilientoken im Wert von 50 Euro im Supermarkt einkaufen, in der Kneipe mit einem Goldtoken Bier bestellen und mit der tokenisierten Aktie ein Auto erwerben. Die neue Vielfalt (und Einheit) des Geldes würde einen universalen, effizient organisierten Tauschhandel ermöglichen, also genau den Tauschhandel, der dem Geldnarrativ der Ökonomen zufolge angeblich zur Erfindung von Geld geführt hat.

Zweitens bedeutet dies, dass Geld und Vermögen nicht mehr auseinandergehalten werden könnten. Denn wenn mein Vermögen wie etwa Aktien, Unternehmensanleihen und Immobilien tokenisiert ist, kann ich die entsprechenden Token direkt als Zahlungsmittel einsetzen, ohne den Umweg über ihren Verkauf gegen Euro gehen zu müssen. Vereinfacht gesagt, könnte man aus heutiger Perspektive sagen, dass Wertpapierdepot und Girokonto miteinander verschmölzen.

Für die Menschen ergäben sich daraus zahlreiche Vorteile. Bislang als kaum handelbar angesehene Werte – etwa Teile einer Immobilie, eines Kunstwerks, eines Sammlerstücks – könnten mithilfe der Blockchain-Technologie veräußert oder erworben werden. Außerdem dürften dadurch, dass dezentrale Blockchains wie die Ethereum-Blockchain den sogenannten Zwischenhändlern an den Finanzmärkten – also Banken, Versicherungen, Börsen – Konkurrenz machen, die Transaktionskosten für den Handel mit Aktien, die Gebühren für die Verwahrung von Wertpapieren und die Kosten für die standardisierte Geldanlage erheblich sinken. Für Privatanleger bedeutete das niedrigere Kosten. Weiter ist zu beachten, dass schon jetzt viele neue Unternehmen gegründet werden, deren Geschäftsmodell auf der Nutzung der Blockchain-Technologie basiert, wodurch neue Arbeitsplätze entstehen.

Staaten droht Verlust des Geldmachtmonopols

Für die Wirtschaftspolitik wäre diese Entwicklung eine große Herausforderung auf verschiedenen Ebenen. Die Zentralbanken können im Fall einer zunehmenden Bedeutung von kryptobasierten Zahlungsmitteln nur noch einen Teil der ökonomisch relevanten Geldmenge kontrollieren und hätten daher nurmehr begrenzte Möglichkeiten, Wachstum und Inflation zu beeinflussen. Auch müssten neue Wege gefunden werden, um Steuerehrlichkeit zu gewährleisten, da Transaktionen auf Blockchains pseudonymisiert abgewickelt werden. Schließlich werden Regulierer alle Hände zu tun haben, um Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung in die Schranken zu weisen.

Je besser und frühzeitiger diese Herausforderungen gemeistert werden, desto mehr können die Volkswirtschaften von den neuen Möglichkeiten der Blockchain-Technologie profitieren und an dem damit zusammenhängenden Innovationszyklus partizipieren. So oder so: In der Geschichte des Geldes wird ein neues Kapitel aufgeschlagen – und es dürfte ebenso wenig linear verlaufen wie die früheren.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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