Der Wochenkommentar

Inflation: Unterschätzte Zähigkeit

Januar 2023 Viele Marktbeobachter sehen bereits den Wendepunkt bei der Inflation und es ist gut möglich, dass sie recht haben. Aber auf eine rasche Rückkehr zur Preisstabilität zu hoffen dürfte verfehlt sein.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Hurra, die Preise sinken! So konnte mancher Beobachter die Euphorie interpretieren, die sich angesichts der niedrigeren Inflationszahlen in der Eurozone an der Börse und in einigen Medien artikulierte. Ein Blick auf die genauen Zahlen sollte jedoch für etwas Ernüchterung sorgen. Vor allem aber ist in Zweifel zu ziehen, dass wir schon bald wieder Preisstabilität erreichen und die EZB Entwarnung geben wird.

Richtig ist, dass die durchschnittlichen Preise der Eurozone im Dezember das zweite Mal in Folge gegenüber dem Vormonat gefallen sind. Zu verdanken ist dies den Energiepreisen, wie die Autofahrer unter Ihnen vermutlich an der Zapfsäule beobachten konnten. Richtig ist aber auch, dass die Preise im Vergleich zum Dezember 2021 noch 9,2 % höher sind. Das ist zwar weniger als im November, als die Preise noch mit einer Jahresrate von 10,1 % stiegen, aber die Inflation ist damit immer noch meilenweit entfernt von der Zielmarke der EZB, die bei 2 % liegt.

Aber wenn es mit den Energiepreisen so weiter nach unten geht, dann hat man vielleicht ja sogar negative Jahresraten bei den Preisen für Heizöl, Benzin, Diesel und Erdgas, und alles wird richtig günstig, oder? Zumal die Preise für Erdgas in den letzten Wochen auf den Stand gefallen sind, der vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine zu beobachten war. Sorry, aber auch hier muss ich Ihnen Wasser in den Wein gießen. Erstens kann es gut sein, dass die Preise für Erdöl, Benzin und Diesel wieder steigen. Immerhin hat die OPEC+ die Förderquoten um insgesamt 2 Millionen Barrel/Tag für dieses Jahr gesenkt. Außerdem wird die EU ab Februar keinen Diesel mehr aus Russland importieren, der im vergangenen Jahr noch ein Zehntel des Gesamtverbrauchs gedeckt hat, in Deutschland sogar ein Sechstel. Wichtig ist auch, dass die Öffnung Chinas mehr Nachfrage nach Erdöl und Erdgas bedeuten und somit die Preise stützen dürfte.

Vor allem aber kommen die zuletzt gefallenen Großhandelspreise für Erdgas und Strom nur mit einer Verzögerung bei den privaten Haushalten an. Viele Verträge wurden in Deutschland zum Jahresende umgestellt und es wurden gemäß der Marktlage höhere Preise vereinbart. Diese Preise stehen bei den meisten Verbrauchern dann erst mal für zwölf, manche auf für 24 Monate fest. Die Preisbremsen für Erdgas und Strom können den Preisauftrieb zwar dämpfen, aber auch die dort festgelegten Preise sind in der Regel deutlich höher als die Preise, die in den alten Verträgen stehen. In Frankreich sieht es nicht besser aus: Hier haben die Versorger die Preise im vergangenen Jahr nur um 4 % anheben dürfen, dieses Jahr ist ihnen ein Preisanstieg von 15 % erlaubt, und genau das dürften sie angesichts der erzwungenen Preiszurückhaltung auch tun. Insgesamt wird die Energieinflation also in den ersten Monaten des Jahres möglicherweise sogar steigen, in jedem Fall dürfte sich der Rückgang nicht mit der Dynamik fortsetzen, die zuletzt zu beobachten war.

Gehen aber nicht auch die anderen Preise irgendwann zurück? Die Antwort darauf lautet bislang nein. Denn die sogenannte Kerninflation, die Energie und Lebensmittel ausklammert, ist im Jahr 2022 durchgehend gestiegen, auch im Dezember war das der Fall. Gemäß dieser Messung sind die Preise 5,2 % höher als im Vorjahresmonat und sie machen keine Anstalten, wieder zu fallen. Anders als in den USA sind die Preise für langlebige Wirtschaftsgüter wie Autos und Möbel bis zuletzt überdurchschnittlich gestiegen. Und im deutschen Einzelhandel sagen fast 70 % der befragten Unternehmen, dass sie beabsichtigen, die Preise innerhalb der nächsten drei Monaten weiter anzuheben. Vermutlich wird dies weniger deutlich sein, als das zuletzt der Fall war, so dass die Jahresrate der Inflation vielleicht sogar sinkt. Aber von einer raschen Disinflation kann man kaum ausgehen. Dazu kommt, dass im Verarbeitenden Gewerbe immer noch rund 50 % der befragten Unternehmen über Lieferkettenengpässe klagen. Das sind zwar weniger als die 81,9 %, die Ende 2021 dokumentiert wurden, aber üblicherweise nennen deutlich weniger als 10 % der Firmen Materialmangel als Wachstumshemmnis. Die Produktion wird darüber hinaus durch das Fehlen von Arbeitskräften verteuert. In Deutschland und Frankreich nennen 41 % bzw. 26 % der befragten Unternehmen dies als eine ihrer Schwierigkeiten, ohne dass sich hier eine Entspannung abzeichnet. Dazu passt, dass die Autoren einer Anfang Januar erschienen EZB-Studie erwarten, dass die Löhne in der Eurozone in den nächsten Quartalen kräftig steigen werden.

So weit so schlecht. Natürlich gibt es gewisse statistische Basiseffekte. Wenn der Preis für ein Produkt um 20 % steigt und dann für ein Jahr auf diesem hohen Niveau bleibt, ist die Jahresrate der Teuerung am Ende dieses Zeitraums bei 0 %. Und dieser Effekt wird in diesem Jahr durchaus zu spüren sein, sodass die Inflation der Eurozone am Jahresende zwar niedriger, aber vermutlich immer noch zwischen 5 % und 6 % liegen wird.

Man muss sich aber auch damit vertraut machen, dass die Inflation nicht nur wegen der oben genannten kurzfristigen Effekte auf einem relativ hohen Niveau bleiben wird, sondern dass es langfristig wegen einer Reihe von strukturellen Faktoren einen anhaltenden Preisdruck nach oben gibt. Die demografische Lage, die am Arbeitsmarkt bereits deutlich zu spüren ist, wird sich selbst im Fall eines kräftigen Zuwachses bei der Zuwanderung eher verschlechtern und den Arbeitnehmern mehr Verhandlungsmacht geben. Die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen inklusive steigende CO2-Abgaben sind ebenfalls ein Preistreiber. Und das Streben der Unternehmen, resilientere globale Wertschöpfungsketten aufzubauen, verteuert zusätzlich die Produktion.

Auf die EZB kommen schwierige Zeiten zu, da sie es nunmehr mit einem strukturellen Preisauftrieb (und nicht wie in den vergangenen Jahrzehnten mit einem strukturellen Disinflationstrend) zu tun hat. Gut möglich, dass die Europäische Notenbank schon 2024 laut über eine Flexibilisierung des Inflationsziels nachdenkt. Das wäre dann ein echter Wendepunkt.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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