Der Wochenkommentar

IWF-Ausblick: Kein Vergnügen

April 2022 Der weltwirtschaftliche Ausblick des IWF betont die Abwärtsrisiken seiner ansonsten eher optimistisch anmutenden Prognose.

Dr. Cyrus de la Rubia

Nein, vergnügungssteuerpflichtig ist es nicht, sich den diesjährigen globalen Ausblick des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu Gemüte zu führen. Nicht nur, dass das Wachstum nach unten revidiert wurde; dazu werden noch zahlreiche Abwärtsrisiken genannt, sodass nach der Lektüre der Eindruck bleibt, die Welt steuere eher auf eine Rezession als auf eine Expansion zu. Dennoch verschafft der IWF einen guten Überblick über die Situation der Weltwirtschaft, sodass an dieser Stelle die wichtigsten Botschaften eingeordnet werden.

Der IWF erwartet, dass die Weltwirtschaft mit einer Rate von 3,6 % in diesem Jahr und 2,3 % im kommenden Jahr wachsen wird. Im Januar hatte man bereits die Prognose herunterrevidiert, jetzt musste eine weitere Revision nach unten durchgeführt werden. Herausgekommen ist eine Expansionsrate, die nach unserem Dafürhalten immer noch zu hoch ausfällt (HCOB Economics, BIP Welt 2022: 3,2 %). Überraschend ist beispielsweise die Erwartung, dass das US-BIP im laufenden Jahr um 3,7 % zunehmen soll. Damit ist man deutlich optimistischer als der Durchschnitt der Fed-Mitglieder, die Mitte März die Zahl von 2,8 % in den Raum gestellt haben. HCOB Economics erwartet 3,0 %. Auffällig ist auch, dass für Russland eine tiefe, aber möglicherweise zu milde Rezession von -8,5 % in diesem Jahr vorhergesagt wird. So gibt auch Auguren, die bis zu -15 % für möglich halten. Tatsächlich würde dies einen wichtigen Unterschied für das weltwirtschaftliche Wachstum machen. Bei -8,5 % fällt das globale Wachstum (gegenüber einer BIP-Stagnation in Russland) um 0,3 Prozentpunkte niedriger aus, bei einem noch stärkeren BIP-Rückgang in Russland um -15 % sind es 0,5 Prozentpunkte. Man würde also allein durch diesen Effekt bei 3,4 % globalem Wachstum statt bei 3,6 % landen. Dabei ist der Effekt auf die besonders stark betroffenen Länder in Mittel- und Osteuropa sowie Zentralasien noch nicht berücksichtigt.

Risken werden hervorgehoben

So gesehen ist es nicht weiter verwunderlich, dass der IWF trotz der erfolgten Herunterrevision die Abwärtsrisiken stark betont. Dazu zählt vor allem ein länger als erwartet anhaltender Krieg, der für einen weiteren Anstieg der Energiepreise sorgen würde. Dieses Risiko muss umso mehr betont werden, als die Prognose auf der Annahme basiert, dass es in Europa nicht zu einem umfassenden Energieembargo gegenüber Russland kommt, was zumindest für Öl bald nicht mehr stimmen dürfte. Die daraus resultierende höhere Inflation könnte – so ein weiteres vom IWF betontes Risiko – Zentralbanken veranlassen, die Geldpolitik stärker als prognostiziert zu straffen, womit das Wachstum ebenfalls belastet würde. Corona und weitere Lockdowns sind ebenfalls eine Gefahr für die Erholung. Dazu gesellen sich noch Finanzmarktrisiken, da es zu verstärkten Kapitalabflüssen aus Schwellenländern kommen kann, insbesondere vor dem Hintergrund der strafferen Geldpolitik in den USA und der Eurozone. Soziale Unruhen sind angesichts der hohen Lebensmittel- und Energiepreise auch im Risiko-Portfolio des IWF enthalten.

Das China-Risiko

Ein globales Risiko ist aus der Sicht von HCOB Economics und des IWF die Null-Covid-Strategie Chinas. Dem Land traut der Fonds für 2022 nunmehr nur noch ein Wirtschaftswachstum von 4,4 % zu, weniger als die 5,1 %, die im Januar als realistisch eingeschätzt wurden und deutlich unter den von der Regierung eigentlich anstrebten 5,5 %. Mit der Null-Covid-Strategie, die derzeit durch den Lockdown der 26 Millionen-Metropole Shanghai in den Schlagzeilen ist – seit über drei Wochen dürften die Menschen ihre Apartments ausschließlich zum Testen verlassen – , hat sich Präsident Xi offensichtlich in eine Sackgasse manövriert. Die Regierung war wohl der Ansicht, dass das Rezept einer absoluten Eindämmung des Virus, die mit der Delta-Variante und ihren Vorgängern relativ gut funktioniert hat, auch mit der Omikron-Variante ebenso effektiv fortgeführt werden könnte. Gleichzeitig jedoch auf Impfstoffe aus dem Ausland zu verzichten, während die heimischen Impfstoffe nicht ausreichen machen einen Erfolg der Null-Covid-Strategie

endgültig zunichte. Möglicherweise wird Xi aus Angst vor einem Gesichtsverlust seine gescheiterte Strategie dennoch bis zum Oktober, wenn der 20. Parteitag stattfindet, an dem er für eine dritte Amtszeit „gewählt“ werden soll, fortführen. Ob in der Zwischenzeit der in den sozialen Medien zumindest punktuell zu beobachtende Unmut unter den Menschen in Shanghai und zahlreichen anderen unter Lockdown stehenden Städten in einem größeren Ausmaß um sich greifen wird, kann wohl niemand genau abschätzen.

Neben diesem politischen Risiko macht sich der Lockdown in China auch in den Lieferketten bemerkbar. Die Abfahrten von Containerfrachtern vom Shanghaier Hafen sind Anfang April um über 20 % eingebrochen und eine Rekordzahl von Schiffen wartet darauf, im Hafen entladen zu werden. Das dürfte dafür sorgen, dass die Lieferkettenproblematik, die ohnehin durch den Ukraine-Krieg vor allem auf der Ebene der Rohstoffe (u. a. Industriemetalle, Industriegase) verschärft wird, weitere Nahrung erhält. Insgesamt ist nicht auszuschließen, dass auch das China-Risiko unterschätzt wird.

Vor diesem Hintergrund muss auch die Prognose des IWF für den Welthandel hinterfragt werden. Der IWF erwartet, dass der internationale Handel mit Gütern (ex Dienstleistungen) real um 3,9 % zunehmen wird, nach 10 % im vergangenen Jahr. Da die Kapazitäten im Welthandel stark ausgelastet sind – die zwar leicht rückläufigen, aber dennoch extrem hohen Frachtraten bezeugen diese Aussage – könnte dieser Zuwachs, der nahe am langfristigen Durchschnitt liegt, zu hoch gegriffen sein.

Insgesamt bleibt angesichts der vielen Abwärtsrisiken der Eindruck hängen, der IWF habe – immerhin bewegt sich die Institution auch etwas wie eine Behörde – den Redaktionsschluss für seinen weltwirtschaftlichen Ausblick bereits Mitte März gehabt und daher die seitdem erfolgte Verschärfung des Krieges nicht mehr vollumfänglich in seinen Prognosen berücksichtigt, sondern diese vor allem verbal in Form von Abwärtsrisiken verarbeitet. Wenn Mitte des Jahres der IWF sein Update veröffentlicht, dürfte daher auch dieses kaum Vergnügen bereiten.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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