Dr. Cyrus de la Rubia
Chefvolkswirt und Head of Research
November 2022 Die Klimakonferenz in Sharm el-Sheik hat an der entscheidenden Front, dem Klimaschutz, nichts Neues gebracht. Dabei gibt es Wege, wie die Weltgemeinschaft zu einem gemeinsamen Handeln bewegt werden kann.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia
Haben Sie neulich auch Markus Lanz gesehen? Es ging bei dieser Talkshow unter anderem um den Klimawandel und um die steile These, dass der Mensch sich doch schon immer in den vergangenen Jahrhunderten angepasst habe und genau das werde angesichts der globalen Erwärmung wieder passieren. Daher könne man mit mehr Optimismus in die Zukunft schauen und solle sich nicht von den Schwarzsehern herunterziehen lassen, so in etwa eine der Argumentationslinien.
Man könnte meinen, die Teilnehmer der kürzlich beendeten Klimakonferenz in Sharm el-Sheik hätten sich von dieser Linie leiten lassen, als sie beschlossen, nichts Wesentliches in Bezug auf den Klimaschutz zu beschließen. Stattdessen hat man einen Fonds angekündigt, der zur Finanzierung der Schäden eingesetzt werden soll, die in den vulnerabelsten Ländern durch den Klimawandel bzw. die damit verbundenen Naturkatastrophen angerichtet werden. Man will den Ländern also helfen, sich an den Klimawandel anzupassen, aber neue Schritte, um den Klimawandel aufzuhalten, werden abgelehnt. Dafür haben nicht nur diejenigen Länder Verantwortung, die besonders stark von der Ausfuhr fossiler Brennstoffe leben, etwa Saudi-Arabien, sondern auch Europa und die USA, die jenen energieexportierenden Ländern nicht entgegenkommen.
Das ist keine gute Entwicklung. Natürlich bedarf es der Anpassung an das sich verändernde Klima. Es müssen unter anderem Deiche gebaut und verstärkt, hitzebeständige Baumarten angepflanzt und Städte neu konzipiert werden. Aber die Prioritäten in Richtung Klimaanpassung zu Lasten von Maßnahmen zur Verlangsamung des Klimawandels zu verschieben, verschärft die Lage nur. Das ist so, als ob das Dach von einem Haus undicht ist und die Handwerker alle paar Wochen die feuchten Flecken übermalen und den bröckelnden Putz ausbessern, statt das Dach neu zu decken. Nur: Wenn zu lange Feuchtigkeit in das Haus dringt, bildet sich Schwamm, und dann kann das Haus irgendwann nur noch durch eine extrem aufwendige Grundsanierung gerettet werden – wenn man Glück hat. Beim Klimawandel sprechen wir von den Kipppunkten. Ab einer bestimmten Erhöhung der durchschnittlichen Temperatur – niemand kann mit Bestimmtheit sagen, wo der entsprechende Kipppunkt genau liegt – kollabieren ganze Systeme, und zwar irreversibel. Beispiele, die von Klimaforschern immer wieder genannt werden, sind etwa das Schmelzen des grönländischen Eisschildes (Konsequenz: erheblicher Anstieg des Meeresspiegels), die Schwächung des indischen Monsuns (Indiens Landwirtschaft und Ernährungssicherheit hängen vom regenbringenden Monsun ab), oder das zum Erliegenkommen des Golfstroms (noch mehr Wetterextreme).
Im Übrigen ist anzunehmen, dass viele wohlhabende Menschen bei dem Wort Anpassung weniger an gesamtwirtschaftliche Maßnahmen denken, sondern einfach an sich, nach dem Motto: Wenn es zu heiß wird, dann fahre ich eben häufiger in meine Hütte in den Bergen oder ich baue Zuhause eine bessere Klimaanlage ein; wenn die Häufigkeit von Orkanen zunimmt, dann werde ich halt eine Versicherung für Elementarschäden abschließen und einige Baumaßnahmen ergreifen, um das Haus sturmfester zu machen; und wenn mein Haus von Überschwemmungen bedroht ist, dann schaue ich mich am besten jetzt schon nach einer Alternative in einer höheren Lage um. Das Problem: Die wenigsten Menschen werden sich diese Ausweichbewegungen leisten können. Vollkommen unbeantwortet bleibt zudem, was ist mit dem Drittel der Menschheit passiert ist, die laut einer Studie des Fachmagazins Proceedings of the National Academy of Sciences in rund 50 Jahren in Regionen wohnhaft sind, die schlicht zu heiß für menschliches Leben sind? Hier kann man nicht mit einer Anpassung rechnen, denn der Mensch muss seine Temperatur bei 37 Grad Celsius halten. Es genügt schon, dass die Außentemperatur dauerhaft höher ist als 35 Grad Celsius – dazu gehört nach dem letzten Sommer wahrlich keine große Phantasie – um den menschlichen Organismus zu überfordern bzw. ganze Regionen weitestgehend unbewohnbar zu machen.
Zurück zu der Klimakonferenz in Sharm el Sheik. Viele westliche Beobachter beklagen zurecht, dass in dem Abschlussdokument eine Verpflichtung zur Reduktion der Nutzung von fossilen Brennstoffen fehlt und dass Saudi-Arabien federführend Einfluss genommen habe, um eine Aufnahme einer derartigen Passage zu verhindern. Ja, die fehlende Bereitschaft, auf die Verbrennung von fossilen Brennstoffen zu verzichten, zeigt, dass die Verantwortlichen den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt haben. Allerdings ist es etwas scheinheilig, die Schuld dafür bei Ländern wie Saudi-Arabien zu suchen. Denn es gibt ja durchaus eine ungelöste Frage: Wie können erdöl-, erdgas- und kohleexportierende Länder ohne einen Zusammenbruch ihrer Gesellschaften die Reduktion der Förderung der fossilen Brennstoffe auf Null innerhalb weniger Jahrzehnte umsetzen? Die Industrieländer können sich hier nicht einfach aus der Verantwortung stehlen, immerhin beruht ihr Wohlstand aus der jahrzehntelangen Nutzung eben dieser fossilen Ressourcen. Eine Möglichkeit wäre eine Verpflichtung unter anderem der EU und der USA, durch massive Investitionen in erneuerbare Energien und Wasserstoffanlagen in diesen Ländern neue Ertragsquellen zu schaffen, durch die der Verlust an Einnahmen aus dem traditionellen fossilen Geschäft zumindest teilweise kompensiert wird. In eine ähnliche Richtung geht die schon vor vielen Jahren angestellte Überlegung, die in Ländern des nahen Ostens eingefangene Sonnen- und Windenergie über neu zu installierende hochmoderne Stromnetze nach Europa zu exportieren.
Es geht also nicht darum schwarz zu sehen, sondern darum, nachhaltige Lösungen zu finden. Zu diesen Lösungen gehört nicht, einfach auf die Anpassungsfähigkeit der Menschen zu setzen.