Dr. Cyrus de la Rubia
Chefvolkswirt und Head of Research
Februar 2022 - Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist eine Tragödie und birgt viele wirtschaftliche Risiken, die vor allem, aber nicht nur, mit den steigenden Energiepreisen zu tun haben.
Heute (24.02.) ist ein schlechter Tag, denn seit heute sprechen wir von einem Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Mit dem Beginn der „militärischen Operation“ Russlands in der Ukraine, die offensichtlich wesentlich umfassender ausfällt, als das bislang erwartet worden war, dürfte es zu eine Spirale von Sanktionen durch den Westen und Gegensanktionen durch Russland kommen. Der Satz „Wir streben danach, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren“, den der russische Präsident Wladmir Putin bei seiner Ansprache am 24.02. ausgesprochen hat, bedeutet vermutlich, dass der Krieg sich über einen längeren Zeitraum hinziehen wird.
Die Schärfe des Angriffs lässt wenig Interpretationsspielraum, so dass sanktionstechnisch für den Westen alles auf dem Tisch liegt, einschließlich eines Ausschlusses Russlands von dem globalen Zahlungssystem SWIFT. Diese Maßnahme wird von einigen Beobachtern als „nukleare Lösung“ bezeichnet, da sie Russland am umfassendsten wirtschaftlich isolieren könnte. Relativ nahe an eine derartige Maßnahme käme man, wenn die USA die beiden Großbanken Sberbank und VTB, deren Bilanz sich auf insgesamt 750 Mrd. US-Dollar beläuft, vom Zahlungsverkehr ausschließen würden. Darüber hinaus könnten die USA von der so genannten Foreign Direct Product-Regel Gebrauch machen, die es jedem Unternehmen verbietet, Waren zu exportieren, für die US-Vorleistungen verwendet werden, z. B. Halbleiter von einer US-Firma. Das unter anderem von der EU und den USA ausgesprochene Verbot, russische Bonds am Primär- und vom Sekundärmarkt zu handeln, kann für einzelne russische Unternehmen schmerzhaft sein, für den Staat ist eine derartige Maßnahme vor dem Hintergrund der hohen Währungsreserven (Dezember 2021: 470 Mrd. US-Dollar) gut verkraftbar.
Diese Entwicklungen werden wirtschaftliche Folgen für Deutschland, Europa und die Weltwirtschaft haben. Ein unmittelbarer Effekt ist über die eingeschränkten Erdgaslieferungen zu erwarten. Die Ukraine ist laut Angaben von S&P Global Platts zwar kein wichtiges Transitland mehr für Erdgas. Demnach flossen 2021 nur 10 % russischen Erdgases durch Pipelines in der Ukraine in die EU. Die Hauptgefahr für die Gaslieferungen dürfte jedoch von entsprechenden Sanktionen und Gegensanktionen ausgehen. Bei Erdöl ist die Ukraine als Transitland bedeutender. Hier könnten Pipeline-Unterbrechungen, etwa durch militärische Schläge, kurzfristig für Preisspitzen sorgen. Außerdem ist die Ukraine ein wichtiger Lieferant für Getreide, 13% der weltweiten Getreideexporte stammen aus diesem Land, wovon die Hälfte nach Europa geht. Auch hier ist mit Preissteigerungen zu rechnen, die auf die globale Inflation durchschlagen würden.
Insbesondere vor dem Hintergrund der höheren Energiepreise ist mit Wachstumseinbußen zu rechnen, da diese höhere Kosten für die Unternehmen und einen Kaufkraftverlust der privaten Haushalte bedeuten. Deutschland wird zusätzlich unter den geringeren Exporten nach Russland leiden (2,5 % der deutschen Exporte gehen nach Russland) und weniger Güter in die Länder ausführen, die noch stärker von Russland abhängig sind und konjunkturell leiden dürften. Die allgemeine Unsicherheit ist darüber hinaus ein das Wirtschaftswachstum belastender Faktor. Wie groß der Effekt auf das Wachstum ausfällt, hängt von der Dauer des Konflikts ab sowie dem Ausmaß der Sanktionsspirale. Grundsätzlich schätzen wir die Verflechtungen mit Russland – nicht zuletzt wegen des seit Jahren bestehenden Sanktionsregimes – als nicht so eng ein, dass Deutschland in eine Rezession getrieben wird.
In diesem Umfeld verschwindet aus geldpolitischer Sicht die Phantasie, dass es aufgrund der hohen Inflation zu besonders aggressiven Zinserhöhungen kommen wird, denn dafür ist die Unsicherheit und die Belastung für das Wachstum zu hoch. Gleichzeitig dürfte der zu erwartende weitere Anstieg der Inflation von dem ohnehin hohem Niveau aus die EZB zu einer leichten Straffung der Geldpolitik veranlassen. Im Umkehrschluss bedeutet es auch, dass die Notenbank nur bei einem Nahe-Zusammenbruch der Finanzmärkte wieder expansiv reagieren könnte, eine einfache Wachstumseintrübung reicht dafür nicht.
Die US-Notenbank könnte sich weniger beeindruckt zeigen, da die USA nicht mit einer Gasverknappung konfrontiert sein werden, was bedeutet, dass in diesem Jahr wohl mindestens noch fünf Zinserhöhungen, zu erwarten sind, beginnend im März.
Der Anstieg der langfristigen Renditen wird durch die Unsicherheit und die nachlassende Phantasie über eine aggressive Straffung der EZB gedämpft, sollte aber nicht gestoppt werden.
Abgesehen von diesen unmittelbar wirtschaftlichen Auswirkungen könnten Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen ukrainischer Flüchtlinge in der EU Schutz suchen. Zu vermuten ist, dass die Bereitschaft der EU zum Handeln hier größer ist als etwa 2015/2016, als Flüchtlingen aus weiter entfernten Ländern in die EU gekommen sind. Insgesamt dürfte sich der militärische Konflikt zwischen Russland und der Ukraine über einen längeren Zeitraum hinziehen und einen spürbaren dämpfenden Effekt auf die wirtschaftliche Entwicklung haben, ohne dass die Welt durch diese Auseinandersetzung in einer Rezession gestürzt werden sollte.