Der Wochenkommentar

Starke Einkaufs-Managerindizes machen weitere Zinserhöhungen wahrscheinlich

Mai 2023 Die HCOB PMI-Einkaufsmanagerindizes zeigen, dass das Konjunkturtal bereits wieder verlassen wird. Rechnen Sie dennoch nicht mit einem Boom.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Wissen Sie, wo es mit der Konjunktur der Eurozone hingeht? Natürlich weiß das niemand, aber unsere HCOB PMI Indexfamilie aus Konjunkturindikatoren, deren Werte von dem Datenanbieter S&P Global in einer monatlichen Umfrage erhoben werden, gibt uns zeitnah einen guten Überblick darüber, in welchen Ländern und in welchen Sektoren gebremst und beschleunigt wird und was die Ursachen dafür sind. Auch aktuelle Inflationstrends lassen sich gut ablesen. Insgesamt lässt sich dadurch unsere Prognose weiter steigender Zinsen untermauern.

Gefahrenzone verlassen

So zeigen die gerade erschienenen Daten für April, dass die Eurozone die Gefahrenzone der Rezession offensichtlich verlassen hat. Der PMI Composite, der die Aktivität im privaten Sektor der Dienstleistungen und des Verarbeitenden Gewerbes abbildet, liegt bereits den vierten Monat in Folge im expansiven Bereich und ist den sechsten Monat in Folge gestiegen. Dass das Wachstum durchaus eine gewisse Nachhaltigkeit haben dürfte, lässt sich an der positiven Entwicklung der Auftragseingänge feststellen. Weiter sind die Unternehmen der Eurozone im Durchschnitt dabei, verstärkt Personal einzustellen. Angesichts der Erholung der Wirtschaft ist es nicht verwunderlich, dass laut HCOB PMI die Preise sowohl im Einkauf als auch im Verkauf ihren Anstieg fortgesetzt haben, wenngleich die Zuwachsrate etwas abgenommen hat. Hieran zeigt sich eines der Dilemmata, in dem sich die EZB befindet: Auf der einen Seite ist die Notenbank natürlich interessiert daran, dass die Wirtschaft wieder wächst, auf der anderen Seite bedeutet Wachstum, dass der Preisdruck anhält bzw. nicht so rasch zurückgeht, wie sich das die Notenbanker wünschen.

Unternehmen können Gewinne steigern

Durchschnittswerte verdecken häufig den Blick für wichtige Details, etwa unterschiedliche sektorale und regionale Entwicklungen. So zeigen die entsprechenden PMI-Indizes der Hamburg Commercial Bank, dass die Erholung der Wirtschaft in allererster Linie von dem robusten Wachstum im Dienstleistungssektor angeführt wird. Die Industrie hingegen tritt eher als Bremser auf. Das gilt vor allem für Frankreich und Italien, während in Deutschland und Spanien der Output im März und April gemäß der PMI-Umfrage gestiegen ist. Dies deckt sich auch mit der Beobachtung, dass die Einkaufs- und die Verkaufspreise im Verarbeitenden Gewerbe deutlich gefallen sind, derweil steigen diese im Dienstleistungssektor weiterhin. Aus Unternehmenssicht ist in diesem Zusammenhang interessant, dass die Einkaufspreise in der Industrie in den vergangenen 12 Monaten laut PMI-Umfrage wesentlich stärker zurückgegangen sind als die Verkaufspreise. Das bestätigt die Vermutung, die auch von einigen wirtschaftswissenschaftlichen Studien untermauert wird, dass Unternehmen in der Lage waren, ihre Gewinnmargen zu erhöhen.

Auftragsbestand sinkt von einem sehr hohem Niveau aus

Aus der Sicht der Europäischen Zentralbank beinhalten diese Beobachtungen wertvolle Informationen. Denn sie besagen erstens, dass sich der Fall der Güterpreise, der seit dem vierten Quartal letzten Jahres zu sehen ist, fortsetzen sollte. Zweitens aber sind die Daten auch ein Hinweis darauf, dass der Preisrückgang zäher vonstattengehen wird, als die Einkaufspreise es vermuten lassen, da die Unternehmen die niedrigeren Preise im Einkauf, etwa bei Rohstoffen, nur sehr zögerlich weiterzugeben bereit sind. Nun könnten die Auftragseingänge, die laut PMI-Umfrage im Fallen begriffen sind, die Wettbewerbssituation bald verschärfen und dafür sorgen, dass die Preise rascher fallen. Tatsächlich sind die Auftragsbücher laut Eurostat aber immer noch sehr gut gefüllt, sodass die Bereitschaft der Unternehmen, Preisnachlässe zu gewähren, kurzfristig noch nicht so ausgeprägt sein wird.

Zeichen von Nachfrageschwäche unübersehbar

Dennoch ist klar: Alle Nachfrageindikatoren in der Industrie zeigen mittelfristig nach unten. Dazu gehören auch die Lieferzeiten, die sich in den vergangenen Monaten ungewöhnlich stark verkürzt haben. Im Grunde genommen gibt es zwei Szenarien, die man sich für das Verarbeitende Gewerbe vorstellen kann. Szenario 1 ist, dass in einigen Monaten die Auftragsbücher auf oder unterhalb des Normalniveaus gefallen sind, die Industrieproduktion einbricht und die Güterpreise beschleunigt fallen. Szenario 2 ist, dass die hohen Auftragsbestände reichen, um die Zeit zu überbrücken, bis die Weltwirtschaft wieder Fuß fasst und die Investitionsgüternachfrage steigt, sodass die Industrie in der Eurozone wieder mehr Aufträge bekommt, statt hauptsächlich alte abzuarbeiten. Letzteres Szenario wäre wünschenswert, jedoch sind wir etwas skeptisch. Unter anderem liegt das daran, dass die USA jetzt erst in eine Konjunkturschwäche hineingerät. Außerdem basiert die Erholung Chinas in erster Linie auf eine Erholung des Dienstleistungssektors, wie der entsprechende PMI für China zeigt. Insgesamt heißt das, dass zwei der traditionellen Nachfragemotoren der deutschen Industrie, China und die USA, in den kommenden Quartalen eine geringere Rolle spielen werden.

Dienstleister nutzen ihre Preissetzungsmacht

Für die EZB lohnt sich auch ein genauerer Blick auf die Entwicklungen im Dienstleistungssektor, dessen Preise bei der Inflationsmessung eine dominierende Rolle spielen. Gemäß der HCOB PMI-Umfrage sind die Firmen dieses Sektors nach wie vor in der Lage höhere Kosten an ihre Kunden weiterzugeben. Der Spielraum dafür ist gegenüber dem Vormonat nur leicht zurückgegangen. Und warum sollten Unternehmen hier auch stärker nachgeben? Immerhin konnte den vierten Monat in Folge eine wachsende Zahl von Neugeschäften akquiriert werden. Vor diesem Hintergrund wurde auch mehr Personal eingestellt. Dass in dieser Lage Arbeitnehmer auf historisch überdurchschnittliche Lohnerhöhungen drängen, ist kein Wunder.

Das Ende der Zinsanhebungen naht

Aus geldpolitischer Sicht bedeutet dies, dass die EZB mindestens noch ein weiteres Mal an der Zinsschraube drehen und der Einlagenzins dann bei 3,5 % liegen wird, bevor die Notenbank dann für mehrere Quartale pausieren dürfte. Auch die langfristigen Bund-Renditen sollten im Jahresverlauf noch steigen. Wir halten zum Jahresende eine Rendite von zehnjährigen Bunds bei 3,25 % für wahrscheinlich. Das Wirtschaftswachstum in der Eurozone dürfte auf das ganze Jahr gerechnet trotz der derzeit freundlichen Entwicklung im Dienstleistungssektor mit 0,4 % niedrig bleiben. Wir sehen gewisse Aufwärtsrisiken, zumal das erste Quartal durch einen Irland-Sondereffekt nach unten gezogen wurde, geben aber auch zu bedenken, dass der Renditeanstieg sich in der Regel mit einer gewissen Verzögerung bremsend in den meisten Sektoren einer Volkswirtschaft bemerkbar macht.

Mit anderen Worten, wir wissen zwar nicht, was mit der Konjunktur geschieht, aber wir haben, unter anderem durch die HCOB PMI Indizes, eine gut begründete Vermutung, was gerade passiert.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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