Der Wochenkommentar

Steht die nächste Rezession vor der Tür?

Juni 2022 In den USA geben die aktuellen Konjunkturdaten nur zaghafte Zeichen dafür, dass eine Rezession ansteht. Dennoch sind die meisten Beobachter genau davon überzeugt.

Dr. Cyrus de la Rubia

In den USA sind drei Viertel der Vorstände der Fortune 500-Unternehmen der Meinung, dass die Vereinigten Staaten bis 2023 in eine Rezession fallen werden. Eine CNBC-Umfrage unter Marktstrategen kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Hier erwarten 20 von 30 Teilnehmern, dass die US-Wirtschaft bis Ende 2023 in eine Schrumpfungsphase tauchen wird

Auf den ersten Blick überraschen diese Umfrageergebnisse. Denn die Datenlage sieht eher freundlich aus. Die ISM-Einkaufsmanagerindizes sind weiterhin auf einem hohen Niveau, die Aufträge für langlebige Wirtschaftsgüter steigen und auch die Industrieproduktion expandiert. Der private Konsum steigt, gestützt durch eine exzellente Beschäftigungslage, stark steigende Löhne sowie den Rückgriff der Haushalte auf einen Teil ihrer während der Corona-Zeit aufgebauten zusätzlichen Ersparnis bzw. eine verstärkte Inanspruchnahme von Konsumentenkrediten. Allerdings sind hier erste Bremsspuren durch die höheren Zinsen zu spüren, da zwar der nominale Verbrauch einen robusten Anstieg verzeichnet, der inflationsbereinigte Konsum jedoch nur geringfügig zunimmt. Auch am Immobilienmarkt scheint sich die Lage zu ändern. Das Niveau der Bauaktivität ist nach wie vor sehr hoch, aber der Verkauf existierender Häuser ist zuletzt deutlich eingebrochen. Insgesamt zeichnen die Konjunkturdaten aber weiterhin ein positives Bild.

Woher kommt also der Pessimismus? Hauptsächlich von der historischen Erfahrung, dass in den vergangenen Jahrzehnten fast jeder Rezession mit einem Vorlauf von 12 bis 24 Monaten eine Folge von Leitzinsanhebungen durch die Federal Reserve Bank vorausgegangen ist. Die ökonomische Logik dahinter ist einfach: Mit der Anhebung des Leitzinses wird es für Unternehmen teurer sich zu refinanzieren, da die Banken und Kapitalmärkte den höheren Leitzins in der Regel durch höhere Bankkredit- und Kapitalmarktzinsen weitergeben. Diese Verschärfung der Finanzierungsbedingungen belastet die Unternehmen, was sich in niedrigeren Aktienkursen niederschlägt. Die übliche Reaktion der Firmen ist es, Sparprogramme aufzulegen und mithin weniger zu investieren, so dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in Mitleidenschaft gezogen wird. Eine Rezession ist dann häufig die Folge.

Eine solche ist aber keineswegs in Stein gemeißelt. Das sieht auch die US-Notenbank so, die eine sogenannte sanfte Landung anstrebt. Von der Grundidee her möchte sie über die Leitzinserhöhungen den Arbeitsmarkt etwas entspannen. Das muss nicht unbedingt zu einer deutlich höheren Arbeitslosigkeit führen. Es würde schon reichen, wenn das Verhältnis von offenen Stellen zu Arbeitslosen von derzeit 2,1 – d.h. auf einen Arbeitslosen kommen im Durchschnitt 2,1 offene Stellen – auf das Vorcoronaniveau von 1,1 bis 1,3 fallen würde. Der moderate Anstieg bei der Partizipationsrate auf zuletzt 62,3 % sowie die Tatsache, dass der Lohnzuwachs sich nicht weiter beschleunigt hat, deuten darauf hin, dass das Manöver zumindest nicht vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Unterstützung könnte vom Ölmarkt kommen, falls die Ölpreise sich gemäß dem Future-Markt verhalten und in 12 Monaten um knapp 20 % tiefer notieren. Zu erwarten ist außerdem, dass der coronabedingte Nachfrageboom an den Gütermärkten – denken Sie an die Fitnessgeräte, Gartenmöbel, neue Küchen und andere Anschaffungen, die das Leben in Coronazeiten erträglicher machen – abebbt. Dadurch sollten etwa Industriemetalle weniger stark nachgefragt werden, während gleichzeitig der Druck auf die Lieferketten etwas nachlassen dürfte. Tatsächlich haben sich die Staus an den US-Häfen an der Westküste weitestgehend aufgelöst. Auch der Nachfragesog aus China, der im laufenden Jahr bereits merklich nachgelassen hat – das BIP Chinas ist im laufenden Quartal vermutlich geschrumpft – entlastet die Rohstoffmärkte.

Im Ergebnis werden die Entwicklungen aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem Rückgang der Inflation beitragen und der Fed das Leben etwas leichter machen.

Natürlich kann es auch ganz anders kommen. Sollte China in Kürze erneut Millionenstädte wie Shanghai und Peking in einen harten Lockdown schicken, würde sich die Lieferkettenproblematik noch länger hinziehen. Eine Verschärfung der Sanktionsregime gegenüber Russland würde die Knappheiten bei vielen Rohstoffen beleben und die Produktionsmöglichkeiten zusätzlich beschränken. Möglich ist auch, dass der private Konsum, der die wichtigste Säule der amerikanischen Konjunktur darstellt, durch eine Korrektur an den Aktienmärkten und den daraus folgenden negativen Vermögenseffekten einbricht.

Wir erwarten zunächst zwei Zinserhöhungen durch die Fed à 50 BP im Juni und Juli, gefolgt von 25 BP bei den letzten drei Zinssitzungen in diesem Jahr. Das Leitzinsniveau würde dann 2,75 % erreicht haben. Die Fed dürfte dann angesichts einer sich verlangsamenden Konjunktur das Straffungstempo weiter drosseln und nur noch drei weitere Zinsschritte im Jahr 2023 durchführen. In unserem Basisszenario erwarten wir 2023 keine Rezession, sondern ein Wachstum von 2,5 % (nach 2,9 % im laufenden Jahr). Diese Prognose muss nicht eintreffen, das gleiche gilt allerdings auch für Konjunkturumfragen.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

Zum Kontaktformular