Der Wochenkommentar

Währungs-Energiepreis-Spirale

Juli 2022 Die Lohn-Preis-Spirale ist den meisten Leser:innen wohl ein Begriff. An diesem Punkt sind die meisten Volkswirtschaften aber noch nicht einmal angekommen. Fürchten muss man sich derzeit eher vor der Spirale aus steigenden Energiepreisen und fallenden Wechselkursen gegenüber dem Dollar, in dem Öl- und Gaslieferungen global fakturiert werden.

Ein Kommentar von Christian Eggers

Ein wichtiger Faktor für die Dollar-Stärke liegt darin, dass sich die Fed der Inflationsbekämpfung bedingungslos – so drückt es zumindest Atlanta Fed-Präsident Fred Bostic aus – verschrieben hat. In seinen Äußerungen fällt sogar ein „Whatever it takes“, welches seinerzeit ja Ex-EZB-Präsident Mario Draghi allerdings vor einem komplett anderen Hintergrund berühmt gemacht hat. In diesen Zeiten kommt für die USA ein unschätzbarer Vorteil hinzu. Der Greenback fungiert als Leitwährung dieser Welt. Öl- und Gaslieferungen sind beinahe ausnahmslos in Dollar zu begleichen.

Während die Ölpreise im Zuge der um sich greifenden Rezessionsängste eher wieder fallen, streben die Gaspreise in Europa von einem Rekordhoch zum nächsten. An dieser Stelle kommt nun der Ukraine-Krieg bzw. Russland mit Präsident Wladimir Putin ins böse Spiel. Deutschland als das wirtschaftliche Schwergewicht der Eurozone droht ein vollständiger Stopp der russischen Gaslieferungen. Schon jetzt sind deutsche Energieriesen wie Uniper dazu gezwungen, sich auf dem Weltmarkt ersatzweise zu horrenden Preisen einzudecken, um alle Lieferverträge einhalten zu können. Amerika ist hier abermals im Vorteil. Dank Fracking, bei dem in den USA Umweltgesichtspunkte eine nachrangige Rolle spielen, ist man ja schließlich Lieferant des nun allseits begehrten Flüssiggases (LNG). Es steht also bereits in der ersten Halbzeit 3:0 für den Dollar. Da hat es Fed-Präsident Jerome Powell entsprechend leicht mit der Aussage, dass der starke Dollar disinflationär wirkt. Alle anderen Zentralbanken hießen diesen Effekt wohl ähnlich willkommen.

Currency War

Womit wir beim „Currency War“ sind. Dieser Begriff wurde 2010 vom damaligen Finanzminister Brasiliens Guido Mantega geprägt. Ursprünglich geht dies gar auf ein Essay des chinesischen Autors Song Hongbing aus dem Jahre 2007 zurück. Nun, man versteht darunter allerdings eine expansive Geldpolitik von Zentralbanken, die die eigene Währung absichtlich abwerten wollen, um daraus Wettbewerbsvorteile für die heimische Exportwirtschaft zu erzielen. Da sich selten jemand auf Kosten aller anderen profilieren kann, entsteht daraus leicht ein Abwertungswettlauf, wenn weitere Staaten mit den gleichen Absichten hinzukommen. Dem US-Finanzministerium war dies immer schon ein Dorn im Auge. Wie oft wurde nicht in den halbjährlichen „Treasury-Reports“ damit gedroht, Länder mit solch einer „unfairen“ Politik als Währungsmanipulator zu geißeln. China und die Schweiz waren dafür viele Jahre prominente Kandidaten.

Zu dieser Zeit fuhr die Fed infolge der Finanzkrise aber selbst auch eine ultra-expansive Geldpolitik, also genau das Gegenteil zu heute. Der Dollar wertete ab und brachte die anderen Währungen unter Aufwertungsdruck in einer Phase der globalen Wachstumsschwäche. Heute hingegen haben sich die Vorzeichen von Deflation hin zu Inflation völlig umgekehrt. Die Pandemie hat uns unter anderem auch die Grenzen der Globalisierung, von der gerade viele Schwellenländer profitiert haben, aufgezeigt. Lieferkettenprobleme und Fachkräftemangel sind Ausdruck dessen.

Reverse Currency War

Reuters News Editor Mike Dolan hat angesichts der neuen Verhältnisse den Begriff des Währungskriegs kurzerhand umgedreht und spricht in seiner Kolumne vom 22. Juni vom „Reverse Currency War“. Denn nunmehr stellt die aggressive Kehrtwende der Fed-Politik alle anderen vor das Problem, ihre Währungen plötzlich stützen zu müssen, da in Dollar gepreiste Energie- und Lebensmittelimporte den Inflationsdruck nur noch verschlimmern. Doch so einfach dürfte sich das für die meisten Notenbanken nicht bewerkstelligen lassen. Einige Schwellenländer haben zwar bereits vorsorglich vor der Fed begonnen, ihr Zinsniveau anzuheben, können aber auch nicht unendlich weitermachen, um nicht gleich in die Rezession abzugleiten. Dollar-Reserven gehören in dem Kreis wohl auch zu einem knappen Gut, mit dem man haushalten sollte. Den klarsten Beleg für die von Goldman Sachs aufgebrachte These des „Reverse Currency War“ liefert die Schweiz. Jahrelang hat die Schweizer Nationalbank (SNB) gegen einen (zu) starken Franken interveniert und ihre Bilanz damit aufgebläht, ist aber nun in einer Art Schocktherapie auf die andere Seite gesprungen. Der in Krisenzeiten ohnehin aufwertungsverdächtige Franken ist nunmehr herzlich willkommen, um importierte Inflation herunterzukühlen.

Was ist mit dem Yen?

Der japanische Yen ist doch auch so eine Währung, die in Krisenzeiten als sicherer Hafen gilt und schnell mal aufwertet, werden Sie vielleicht einwenden. Die Geldpolitik der Bank of Japan (BoJ), die im Prinzip als einzige auf ihrer ultra-expansiven Geldpolitik mit unbegrenzten Bond-Käufen zur Deckelung der Renditen (Yield Curve Control) beharrt, spricht aber eine komplett andere Sprache. Gut, die japanische Inflation liegt weit hinter den anderen zurück, aber die steigenden Energiepreise machen vor dem besonders importabhängigen Japan natürlich nicht halt. Zu mehr als einen vagen Ausdruck von Unbehagen gegenüber der fulminanten Abwertung des Yen konnten sich Regierung und Zentralbank jedoch bisher nicht hinreißen lassen. Es kommt vielmehr darauf an, wie lange die BoJ ihre Yield Curve Control noch durchhalten kann.

China könnte einen „Reverse Currency War“ wohl noch am leichtesten führen. Zwar hat der Renminbi dieses Jahr gegenüber dem Dollar bereits eine verhältnismäßig heftige Abwertung erfahren, aber seit Mitte Mai ist schon wieder erstaunliche Stabilität eingetreten, während z.B. der Euro jetzt erst so richtig verliert. Für China mag die Abwertung auch nicht unwillkommen gewesen sein, denn dieses Jahr steht dort ohnehin ganz im Zeichen, das ambitionierte Wachstumsziel von 5,5 % mit allen möglichen Mitteln zu erreichen. Die Corona-Politik der chinesischen Administration, die bekanntlich auf No-Covid setzt, mag für den Renminbi vielleicht noch entscheidender sein als die Zinsdifferenz zum Dollar. Wollte man tatsächlich am Devisenmarkt intervenieren, stünden China mit über 3 Billionen Dollar bei weitem die größten FX-Reserven von allen zur Verfügung.

Pfund vor Waterloo

Kehren wir abschließend nach Europa zurück. Die Bank von England (BoE) ist längst mit Zinserhöhungen im Kampf gegen die Inflation engagiert. Sie war von den großen Zentralbanken sogar diejenige, die den ersten Schritt gewagt hat. Die Abwertung des Pfundes hat den Wechselkurs zum Dollar trotzdem zurück unter die Marke von 1,20 USD per GBP gedrückt. In den meisten Wachstumsprognosen für 2023 kommt Großbritannien sowieso schon am schlechtesten weg. Dann kommen noch hausgemachte Probleme hinzu. Zum einen ist der Streit mit der EU um das Nordirland-Protokoll ein Dauerthema, zum anderen taumelt Premier Boris Johnson mit seinem eigenwilligen Führungsstil in der Regierung von einem Skandal in den nächsten. In einem „Reverse Currency War“ dürfte das Vereinigte Königreich eher ein Waterloo erleben.

Gegenüber der Fed ist die EZB zweifellos „behind the curve“, wie man so schön neu-deutsch sagt. Zumindest wurde inzwischen auch der feste Willen zu Zinserhöhungen geäußert. Eine Referenz zum schwachen Euro, der nur noch mehr Inflation importiert, gab es auch. Das müsse man berücksichtigen, hat das französische EZB-Direktoriumsmitglied François Villeroy de Galhau schon vor geraumer Zeit bekundet. Allerdings stet die EZB angesichts der Energiekrise, welche insbesondere Deutschland betrifft, auch einigermaßen auf verlorenem Posten. Erhöht EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Zinsen, müssen sich die deutschen Versorger auf dem Weltmarkt trotzdem teuer mit Gas eindecken, wenn Russland den Hahn an der Nord Stream I Pipeline vollends zudreht.

Finanzielle Bedingungen

Der Dollar ist am Ende auch ein Faktor, der die Finanzierungsbedingungen in den USA mitbestimmt. Diese Konditionen können mit aggressiven Zinserhöhungen durch die Fed, einer Wall Street im Bärenmarkt, sich ausweitenden Kredit-Spreads sowie einem für den Wettbewerb im Export schädlich teuren Dollar die Wirtschaft so stark beeinträchtigen, dass eine Rezession schneller kommt als angenommen. Weicht die Fed dann zurück, sollte es im Währungsgefüge am Devisenmarkt ganz von selbst zu einer Anpassung kommen.

Christian Eggers

Senior FX Trader

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