Der Wochenkommentar

Was gehen uns die Turbulenzen in Großbritannien an?

Oktober 2022 „Die spinnen, die Briten“, sagte einst der berühmte Obelix. Tatsächlich ging es in Großbritannien in den vergangenen Wochen äußerst turbulent zu, unter anderem gerieten die Pensionsfonds unter massiven Druck. Muss man sich nur über Großbritannien Sorgen machen oder kann sich das auch in der Eurozone und den USA wiederholen?

Dr. Cyrus de la Rubia

Das Jahr 2022 wird in Großbritannien sicherlich noch lange in Erinnerung bleiben. Nicht nur als das Jahr, in dem Queen Elizabeth II verstorben ist, sondern auch als das Jahr, in dem es zur kürzesten Amtszeit einer Premierministerin gekommen ist, gestürzt durch die Finanzmärkte. Während dieser Entwicklung kam es außerdem zu einem historischen Sprung der langfristigen Renditen.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, in Großbritannien habe ein hochverschuldeter Staat das Misstrauen der Anleger geschürt, weil weitere Schulden aufgenommen werden sollten, weswegen die Renditen innerhalb weniger Tage um über 1 Prozentpunkt gestiegen sind. Tatsächlich hat der Anstieg der Renditen nichts mit der Bonität Großbritanniens zu tun. Die Überlegung der Investoren war vielmehr, dass die von der Regierung Truss angekündigten massiven Steuersenkungen dazu führen könnten, dass die bereits zweistellige Inflation noch weiter steigen oder länger als erwartet auf dem hohen Niveau verharren könnte. Dazu kam, dass die Pensionsfonds – eine überaus wichtige Industrie in Großbritannien – starke Bewertungsverluste bei Derivatepositionen verzeichnen mussten, mit denen die Duration bzw. das Zinsrisiko ihrer Portfolien gesteuert werden sollte. Als Reaktion darauf sind viele Pensionsfonds dazu übergangen, Anleihebestände zu reduzieren, was den Renditeanstieg noch beschleunigt hat. Hier war der Zeitpunkt gekommen, wo schließlich die Bank of England eingegriffen und den Kauf von Anleihen angekündigt hat, um den Kursverfall an diesem Markt zu stoppen. Damit war die Notenbank erfolgreich, aber der Glaubwürdigkeitsschaden für die Regierung war angerichtet und sorgte schließlich dafür, dass ein neuer Premier gewählt wurde, Rishi Sunak.

Der Renditeanstieg in Großbritannien war auch deswegen so ausgeprägt, weil er durch die Ankündigung relativ ungezielter Steuersenkungen ausgelöst worden war, die lediglich den Konsum und die Inflation beleben, aber keinen Beitrag zur Beseitigung der Angebotsprobleme leisten würden. Jetzt mag man argumentieren, dass Deutschlands gewaltiges 200 Mrd. Euro Hilfspaket zur Bekämpfung der Energiekrise ähnlich eingeordnet werden sollte und entsprechend die Bondmärkte belasten könnte. Es gibt aber einen wichtigen Unterschied: Würden in Deutschland keine Hilfen an Unternehmen fließen, müssten viele Firmen ihre Produktion stoppen und die Angebotsprobleme würden sich sogar verschärfen, der Euro noch schwächer werden und die Inflation steigen. Die privaten Haushalte haben mit den voraussichtlichen Hilfen auch nicht wirklich mehr Geld in der Tasche, das sie inflationstreibend ausgeben könnten, sondern im Wesentlichen wird die Energierechnung nicht mehr ganz so hoch ausfallen (aber immer noch höher als 2021). Den Steuersenkungen in Großbritannien, die zudem die wohlhabende Bevölkerungsschicht bevorzugt hätten, konnten derlei Wirkungen nicht nachgesagt werden, sie hätten vor allem für mehr Nachfrage, aber nicht für mehr Angebot gesorgt.

Könnte die Pensionsfondsindustrie in Europa und den USA durch den Renditeanstieg in vergleichbarer Weise unter Druck geraten? Zunächst ist festzustellen, dass der Renditeanstieg in Großbritannien von der Ankündigung der Steuersenkungen (23. September) bis zu seinem vorläufigen Höhepunkt am 12. Oktober deutlich höher ausgefallen ist als in der Eurozone: Ein Anstieg von 109 BP bei 30-jährigen Gilts versus 60 BP bei 30-jährigen Bunds. In den USA lag der Anstieg bei den vergleichbaren T-Notes in diesem Zeitraum sogar nur bei 25 BP. Allerdings stellt die Investmentbank JP Morgan fest, dass die niederländischen Pensionsfonds bei einem mit Großbritannien vergleichbaren Renditeanstieg auch vor Herausforderungen stünden. Gleichzeitig ist positiv zu vermerken, dass der Verschuldungsgrad bei den niederländischen Pensionsfonds eher geringer ausfällt und das Exposure gegenüber den ultra-langfristigen Anleihen weniger ausgeprägt ist als bei den britischen Institutionen. Für die Pensionsfonds in der Eurozone lässt sich feststellen, dass die Zinsreagibilität (Bewertungsverluste im Fall eines Anstiegs der Renditen um 100 Basispunkte) im Verhältnis zu den Gesamtassets der Pensionsindustrie in der Eurozone deutlich geringer ist als in Großbritannien. Hilfreich ist derzeit auch, dass das Clearing der Derivatepositionen weniger zentralisiert als im Vereinigten Königreich ist, sodass bei Kursverlusten die Liquidierung von Sicherheiten nicht in dem gleichen Maße notwendig ist.

Für die USA, wo die Datenlage deutlich besser als für die Pensionsfonds der Eurozone ist, kann mit etwas mehr Zutrauen Entwarnung gegeben werden. Hier liegt die Duration der Verbindlichkeiten (je höher die Duration, desto stärker der Kursverlust bei einem etwaigen Renditeanstieg) bei nur 12 Jahren und damit deutlich niedriger als in Großbritannien mit 20 Jahren. Gleichzeitig sind die britischen Pensionsfonds mit dem zwei- bis vierfachen Hebel stärker verschuldet als die US-Counterparts. Zudem sind britische Pensionsfonds auch besonders stark gegenüber dem Markt für Gilts exponiert, von denen 30 % auf ihren Büchern liegen. Die vergleichbare Zahl in den USA ist 2 %, da vor allem Unternehmensanleihen und auch ausländische Titel gehalten werden. JP Morgan schließt zwar nicht aus, dass es einzelne US-Pensionsfonds gibt, die in Probleme geraten können, sieht aber hiervon keine systemischen Probleme ausgehen.

Da der Zinsanstieg in den USA und der Eurozone vermutlich nicht vorbei ist, ist das Risiko für Pensionsfonds und andere institutionelle Anleger noch nicht gebannt. Allerdings dürfte der Warnschuss aus Großbritannien dafür sorgen, dass die betroffenen Institute in den USA und der Eurozone die Zeit nutzen, um ihre Portfolien resilienter aufzustellen. Die Gefahr ist, dass der Anstieg der langfristigen Renditen deutlich höher ausfällt als die meisten Marktteilnehmer dies erwarten. Das wäre etwa dann der Fall, wenn die Teuerungsrate sich auch im kommenden Jahr nicht beruhigt bzw. die Preise stärker mit dem Markt fliegen als erwartet, um es mit den Worten von Obelix auszudrücken.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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