Deutsche Konjunktur: Stotternde Motoren

„Jetzt ist eine gute Gelegenheit, zukunftsweisende Investitionen anzustoßen", meint Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank

Der deutsche Konjunkturmotor ist ins Stocken geraten. Das hat jetzt auch der Rat der Weisen in seinem Kurzgutachten festgestellt, in dem das Beraterteam der Bundesregierung die Wachstumsprognose für dieses Jahr von 1,5 % auf 0,8 % revidiert hat. Ein Grund für diese Prognoseänderung ist buchstäblich der Motor. Einen wichtigen Anteil an der niedrigeren Expansionsrate hat nämlich die Autoindustrie, die es versäumt hat, ihre Modellreihen rechtzeitig für das neue internationale Abgastestverfahren WLTP zu zertifizieren. Dieses nachlässige Versäumnis hat zu einem massiven Produktionseinbruch geführt, so dass das BIP im zweiten Halbjahr 2018 praktisch stagnierte. Dazu kam noch der Sondereffekt eines niedrigen Rheinpegels, der die chemische Industrie belastet hat. Und dann ist es bei der Konjunktur ähnlich wie beim Auto: Wenn man abgebremst wurde, braucht man eine Weile, bis das alte Tempo wieder erreicht wird. Aber Ihnen dürfte auch bekannt sein: Analogien sind so lange gut, wie sie nicht überstrapaziert werden. Und so ist es auch bei diesem Bild: Die deutsche Konjunkturdynamik ist zwar von Sondereffekten beeinträchtigt worden, aber an das alte Wachstumstempo wird man erst mal nicht wieder herankommen. Eines darf man aber nicht übersehen: Die Wirtschaftspolitik ist an der Verlangsamung nicht vollkommen unschuldig.

Fakt ist, dass die Wirtschaftsaktivität nicht nur unter den beschriebenen Sondereffekten leidet. Vielmehr fordern Fachkräftemangel, eine Infrastruktur am Limit und ein ungewöhnlich hoher Auslastungsgrad im Verarbeitenden Gewerbe ihren Tribut. Irgendwann mussten diese wachstumshemmenden Faktoren ihre Wirkung zeigen. Zudem sind die Brexit-Unsicherheit, die von den USA losgetretenen Handelskonflikte sowie die langsamere Gangart Chinas für die deutsche Volkswirtschaft mit einer Exportquote von sagenhaften 47 % gleich drei Damoklesschwerter. Nun ist es so, dass das Rosshaar, an dem Dionysos von Syrakus über Damokles das berühmte Schwert aufgehängt hatte, gehalten hat. Ähnlich gehen wir davon aus, dass aus den angesprochenen Gefahren keine Katastrophen werden.

Wie geht es also weiter mit der deutschen Konjunktur? In jedem Fall zu träge. Das Potenzialwachstum dürfte in diesem Jahr und unseres Erachtens – hier weichen wir von der Meinung des Sachverständigenrats ab – auch im kommenden Jahr nicht erreicht werden. Das ist grundsätzlich nicht ungewöhnlich, sondern eher typisch für Konjunkturzyklen: Eine Weile wächst man über Potenzial und eine Weile unter Potenzial. Jedoch sollte die Bundesregierung angesichts der aktuellen Haushaltsdebatte in sich gehen, denn teilweise ist die wirtschaftliche Eintrübung auch hausgemacht – denken Sie an die Infrastruktur. Die Regierung könnte durch die richtige Politik dafür sorgen, dass die Konjunkturerholung rascher einsetzt und vor allem das Potenzialwachstum angehoben wird. Jetzt rächt sich der Fokus, den die große Koalition auf Sozialausgaben wie etwa die Mütterrente und die Absenkung des Rentenalters gelegt hat, die jetzt zum festen Ausgabenblock werden und zudem den Fachkräftemangel verschärfen.

Zwar ist durchaus die Bereitschaft zu erkennen, die Ausgaben auch im investiven Bereich zu erhöhen, aber wenn es hart auf hart kommt, sind die Investitionsausgaben stets die ersten Opfer von Kürzungen. Das gilt umso mehr, je verbohrter sich die Regierung der schwarzen Null verschreibt. Dabei gibt es eine klare Rechnung: Öffentliche Investitionen, deren Rendite höher ist als die Zinsen, die der Staat zu zahlen hat, lohnen sich, da sie letztlich die Einnahmen des Staates stärken. Bei einer Realrendite, die derzeit im negativen Bereich ist, sollte das nicht unmöglich sein. Im Niedrigzinsumfeld in die Schwäche hinein zu investieren, ist gute Wirtschaftspolitik, wenn die richtigen Projekte ausgewählt werden und der Bogen nicht überspannt wird. Zu diesen Projekten zählen die klassische Infrastruktur, der Ausbau der Digitalisierung, eine größere Abdeckung in der frühkindlichen Erziehung sowie mehr Engagement im Bildungsbereich inklusive besserer Betreuungsquoten für Schüler. Eine über mehrere Jahre laufende Investitionsoffensive in diesen Bereichen dürfte der Wirtschaft nachhaltig helfen. Dann würde der stockende Motor in einem Sektor nicht gleich die gesamte Volkswirtschaft in Mitleidenschaft ziehen.

Marketingmitteilung

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt

Zum Kontaktformular

Bei Interesse an älteren Ausgaben sprechen Sie uns gern unter economics@hsh-nordbank.com an.