Brutaler Brexit

„Noch könnten die Unternehmensabwanderungen im Vereinigten Königreich gestoppt werden“, stellt Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, fest.

Der von Honda angekündigte Rückzug macht klar, wie verwundbar die britische Wirtschaft ist und wie wenig die Politik sich dessen bewusst zu sein scheint. Noch könnte das Ruder herumgerissen werden.

Während sich das Regierungsviertel Westminster weiter um sich selbst dreht, verlieren die Unternehmen die Geduld und handeln. Der Autohersteller Honda ist das jüngste Beispiel. Das Unternehmen wird 2022 sein Werk in Swindon schließen. Unter Berücksichtigung der vor Ort präsenten Zulieferer dürften 7.000 Stellen verloren gehen. Gerade die Autoindustrie könnte den Briten mit aller Brutalität vor Augen führen, was der Brexit wirklich bedeutet.

Zunächst ein paar Zahlen. In Großbritannien sind hauptsächlich sechs Automobilproduzenten tätig, nämlich Jaguar Land Rover, Nissan, BMW Mini, Toyota, Vauxhall (PSA) und eben Honda. Der Sektor produzierte vergangenes Jahr rund 1,5 Millionen Autos und beschäftigt nach Angaben des britischen Industrieverbands SMMT 186.000 Menschen. Dazu kommen noch 856.000 Beschäftigte, die indirekt von der Automobilproduktion abhängen. Weltweit ist das Land der achtgrößte Autoproduzent und seine Ausfuhren von Autos und Autoteilen machen etwa 15% der Gesamtexporte aus. Kurz: Es steht viel auf dem Spiel.

Dies gilt um so mehr, als der Verflechtungsgrad mit dem EU-Binnenmarkt erheblich ist. Etwa 40 % der Exporte und Importe von Autos und Autoteilen wird mit der EU abgewickelt, das meiste davon mit Deutschland. Jeden Tag beliefern im Durchschnitt 1.100 Lastwagen von Kontinentaleuropa die Produktionsstätten der großen Hersteller in Großbritannien und fügen sich in die globale Wertschöpfungskette ein. Daher nimmt es kein Wunder, dass der amerikanische Hersteller Ford, der seit über 100 Jahren auf der Insel aktiv ist und bei dem etwa 13.000 Menschen in Lohn und Brot sind, laut über einen Produktionsabzug nachdenkt. Bei einem ungeregelten Brexit rechnet Ford mit Verlusten von bis zu einer Milliarde US-Dollar.

Die Frage liegt auf der Hand: Was hält die anderen Produzenten wie etwa BMW und Toyota davon ab, dem Standort Großbritannien den Rücken zuzukehren, sobald das Land keinen privilegierten Zugang mehr zum EU-Binnenmarkt hat? Etwa die Aussicht auf Freihandelsabkommen mit Ländern wie Indien und Japan? Die Geografie legt das nicht wirklich nahe. Subventionen? Davon profitieren die Produzenten ohnehin schon. Niedrigere Steuersätze? Können die Kosten durch Unterbrechungen in den Wertschöpfungsketten kaum kompensieren.

Die Automobilindustrie ist keineswegs der einzige Wirtschaftssektor, der allmählich aufwacht. Der Elektronikkonzern Sony verlegt seinen Europasitz von London nach Amsterdam, Panasonic hat diesen Schritt bereits 2018 vollzogen und der britische Staubsaugerhersteller Dyson wird fortan seine Geschäfte von Singapur aus steuern. Allein die Niederlande soll im vergangenen Jahr 42 Unternehmenshaupt- oder -nebensitze aus Großbritannien gewonnen haben. Insgesamt sei man mit 250 Firmen im Gespräch, so das holländische Wirtschaftsministerium.

Viele Konzerne haben sich bislang diplomatisch zurückgehalten und auf Drohungen, die Insel zu verlassen, verzichtet, um sich nicht dem Vorwurf der Erpressung auszusetzen. Ein Fehler. Denn auf die wirtschaftlichen Folgen politischer Entscheidungen hinzuweisen, ist nicht Erpressung, sondern zeugt von Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Mitarbeitern, den Aktionären und dem britischen Volk.

Es ist auf weitere laute Stimmen aus der Wirtschaft zu setzen, die dann hoffentlich von der Politik vernommen werden. Der angerichtete Schaden ist bereits immens, aber die Regierung könnte immer noch das Ruder herumreißen und mit einer parteiübergreifenden Strategie den harten Brexit verhindern. Darum muss sich jetzt alles drehen.

Marketingmitteilung

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt

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