Der Wochenkommentar

Ausblick 2024: Stabile Schwäche

November 2023 Die neue Normalität ist eine, die im Widerspruch steht zu den „guten alten Zeiten“ mit hohem Wirtschaftswachstum und niedriger Inflation.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Um es vorwegzunehmen: Die Weltwirtschaft wird aller Voraussicht nach in den kommenden Jahren fragil bleiben und ein unterdurchschnittliches Wachstum aufweisen. Nach 3,0 % in diesem Jahr, wird die Weltwirtschaft in 2024 voraussichtlich mit einer Rate von 2,9 % wachsen. Und obwohl es zahlreiche Bremsklötze und Risiken gibt, dürfte 2024 auch von einigen positiven Entwicklungen zu berichten sein. Dazu gehört, dass die Rezession, in der sich Deutschland und die Eurozone vermutlich derzeit befinden, bald zu Ende gehen sollte und einer wenn auch nur moderaten Erholung Platz machen wird.

Ein prägendes Element des derzeitigen Konjunkturverlaufs ist die Arbeitskräfteknappheit. Auf der einen Seite bedeutet dieses strukturelle Phänomen, dass die Unternehmen vom Personal her suboptimal ausgestattet bleiben werden. Im Ergebnis sind die Firmen weniger produktiv als sie es eigentlich sein könnten. Auf der anderen Seite führt diese Knappheit an Personal aber auch dazu, dass Abschwünge und Aufschwünge weniger ausgeprägt ausfallen. Das zeigt sich auch in unseren Wachstumsprognosen. So wird das deutsche BIP, das im laufenden Jahr vermutlich um etwa 0,3 % geschrumpft sein dürfte im kommenden Jahr nur ein Zuwachs von 0,5 % aufweisen. In der Eurozone ist die Situation nicht grundsätzlich anders. Hier wird man auf das Jahr gesehen eine Wachstumsrate von nur 0,8 % sehen nach einer Expansion von 0,5 % im laufenden Jahr. Die Dynamik ist dabei im Verlauf der kommenden Quartale aber höher als in den USA wo wir ein Jahreswachstum von 1,4% erwarten. Das hat damit zu tun, dass man in der Eurozone von einem sehr niedrigen Niveau aus in das neue Jahr startet. Man spricht hier von einem statistischen Unterhang und das ist so, als ob Sie 2023 beispielsweise 500 Meter ins Tal herabgestiegen sind und im nächsten Jahr 1000 Meter aufsteigen. Am Ende sind Sie zwar 2024 ein gutes Stück nach oben gelaufen und haben eine gute Dynamik an den Tag gelegt, aber sie befinden sich nur 500 Meter höher als zu Beginn des Vorjahres. Fundamentaler argumentiert erwarten wir ein Ende des Lagerabbaus, d.h. Unternehmen werden nach einem massiven Abbau ihrer Lagerbestände in diesem Jahr 2024 wieder beginnen, ihre Lager zu füllen, um diese auf ein normales Niveau zu heben. Dazu kommt, dass die höheren Lohnabschlüsse bei nicht mehr steigender Inflation zu realen Einkommensgewinnen führen und sich der Konsum daher wieder stabilisieren wird.

Ein wichtiger Risikofaktor für das Wirtschaftswachstum in Deutschland und der Eurozone ist das Bundesverfassungsgerichtsurteil, dass die Ausgabenpläne des deutschen öffentlichen Sektors etwa für den Energiesektor grundsätzlich in Frage stellt. Derzeit ist von einer Budgetlücke von 17 Mrd. Euro für 2024 die Rede (0,4% des BIP). 2025 dürfte diese noch deutlich höher ausfallen. Dieser juristische Budgetschock schafft Unsicherheit und wird möglicherweise auch die private Investitionstätigkeit bremsen.

Wie sieht es in den USA und China aus? USA hat einen überraschenden Lauf hinter sich und wird in diesem Jahr voraussichtlich ein Wirtschaftswachstum von 2,5 % ausweisen. Daran kann das Land in 2024 vermutlich nicht anknüpfen. Vielmehr dürften die USA im nächsten Jahr in kaum einem Quartal wachsen. In diesem Fall starten die Vereinigten Staaten aber anders als die Eurozone von einem hohen Niveau aus in das neue Jahr, so dass die Jahresrate mit 1,4 % höher ausfallen wird als die der Eurozone. Im Ergebnis kann man von einem Soft Landing sprechen, an einer Rezession schrammt das Land vermutlich vorbei. Der Grund für den Verlust an Dynamik ist in einem zwar immer noch robusten, aber sich abschwächenden Arbeitsmarkt zu sehen, dem Abschmelzen von Ersparnissen, die während der Covid-19 Pandemie aufgebaut wurden, sowie den verzögerten Wirkungen des steilen Zinsanstiegs der vergangenen beiden Jahre. Dass die Landung weich ausfallen sollte, sehen wir darin begründet, dass – anders als in früheren Rezessionen – keine Entlassungswellen drohen. Auch jetzt kommen auf einen Arbeitslosen immer noch 1,5 offene Stellen, was historisch gesehen weiterhin auf einen ungewöhnlich engen Arbeitsmarkt hindeutet. Daher ist auch nicht mit einem Einbruch des Konsums zu rechnen, zumal die im Durchschnitt niedrigere Inflation zusammen mit den relativ stark gestiegenen Löhnen die Kaufkraft der privaten Haushalte stützen.

Das politisch wichtigste und mit zahlreichen Risiken behaftete Ereignis ist in den USA die Präsidentschaftswahl, die am 5. November 2024 stattfinden wird. Während derzeit alles auf eine Wiederholung des Duells Biden gegen Trump hinauszulaufen scheint, kann auch alles noch vollkommen anders kommen. Auf republikanischer Seite bringt sich die frühere Uno-Botschafterin Nikki Haley in Position und bei den Demokraten ist es nicht ausgeschlossen, dass das hohe Alter dem amtierenden Präsidenten noch einen Strich durch die Rechnung macht. Sollte der nächste Präsident Donald Trump heißen, dürfte dies zu Steuersenkungen führen und der Wirtschaft so gesehen helfen. Eine Verschärfung des protektionistischen Kurses, der offensichtlich unter Trump zu erwarten wäre, könnte der Wirtschaft allerdings einen längerfristigen Schaden zufügen.

China hat weiterhin mit strukturellen Problemen zu kämpfen. Mit Mühe gelang es dem Land in diesem Jahr mit einer Rate von wahrscheinlich 5,6 % zu wachsen. Obwohl China mit einem statistischen Überhang von knapp 2 % in das nächste Jahr startet, erwarten wir nicht, dass das Wachstum mehr als 4 % betragen wird. Wichtige Gründe für die für chinesische Verhältnisse schwache Performance ist die schwerwiegende Krise am Immobilienmarkt, der eingeschränkte Zugang zu High-Tech-Produkten aus dem Ausland sowie der geringe fiskalische Spielraum. Gleichzeitig steckt die Notenbank in dem Dilemma, dass Zinssenkungen zu verstärkter Kapitalflucht führen könnten, so dass die Wirtschaft nur begrenzt über eine Lockerung der Geldpolitik stimuliert werden kann. Die demografisch schwierige Lage – die Bevölkerung ist in diesem Jahr das erste Mal seit Jahrzehnten geschrumpft und wird weiter zurückgehen – ist eine darüber hinausgehende Herausforderung. Sie wird noch durch einen vergleichsweise niedrigen Bildungsstand in der chinesischen Bevölkerung verschärft.

In China besteht weiterhin die Gefahr, dass der politische Konflikt mit Taiwan zu einem militärischen wird. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Präsidentschaftswahlen in Taiwan am 13. Januar 2024 zu achten. Der Konflikt mit den USA könnte sich zudem nach den US-Wahlen deutlich verschärfen.

Die Inflation hat weltweit ihren Höhepunkt hinter sich gelassen. Für eine Entwarnung ist es aber weiterhin zu früh. Der wichtigste Grund dafür ist die mit der demografischen Entwicklung verbundene Arbeitskräfteknappheit. Sie hat zur Folge, dass die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer deutlich höher ist als in der Vergangenheit. Wir haben dies in der Form erhöhter Streikaktivitäten gesehen – selbst die USA waren betroffen, wo Gewerkschaften in den vergangenen Jahrzehnten kaum noch eine nennenswerte Rolle bei der Lohnfindung gespielt haben. In der Eurozone sieht man das besonders deutlich anhand der PMI Inputpreise, in die Löhne einfließen. Diese Indizes befinden sich auf einem ungewöhnlich hohen Niveau, insbesondere vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Schwäche. Wir werden daher im kommenden Jahr die Tarifauseinandersetzungen in Deutschland – für knapp 12 Millionen Beschäftigte laufen 2024 die Tarifvereinbarungen aus – beobachten. Auch in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone, Frankreich, werden wir die Lohnverhandlungen, die überwiegend im Januar stattfinden, genau analysieren. Die unter anderem durch die Demografie bedingte nachlassende Produktivität und gleichzeitig überdurchschnittlichen Lohnabschlüsse lassen uns erwarten, dass die Inflation relativ hoch bleibt. In der Eurozone wird die durchschnittliche Inflation 2024 voraussichtlich bei 3,2 % (Gesamt) und 2,9 % (Kernrate) liegen, in den USA 3,2 % (PCE gesamt) und 2,9 % (PCE Kernrate) betragen. Wir gehen also davon aus, dass das Inflationsziel von 2 % erneut verfehlt wird. Eine tiefe Rezession würde hingegen zu deutlich niedrigeren Teuerungsraten führen.

Angesichts der Abschwächung der Konjunktur in den USA rechnen wir mit zwei Zinssenkungen beginnend Mitte nächsten Jahres. Damit würde die Fed Fund Rate Ende 2024 in der Bandbreite von 4,75 % bis 5,00 % liegen. Die Fed wird vermutlich, anders als in früheren Zinssenkungszyklen, von einer Salve von Zinssenkungen absehen, weil die Inflation sich nicht wunschgemäß verringert. Die EZB wird unserer Prognose gemäß gar nicht erst mit Zinssenkungen beginnen, auch aus Furcht, dass Preisschocks die Lage erneut verschärfen könnten. Der Hauptrefinanzierungssatz würde also Ende 2024 weiterhin bei 4,50 % liegen, der Einlagenzinssatz bei 4,00 %. Dass es zu Preisschocks kommen könnte, ist alles andere als abwegig. Der Konflikt im Nahen Osten ist noch nicht ausgestanden und damit ist auch nicht entschieden, ob es zu einem Flächenbrand kommt. Gleichzeitig macht sich schon jetzt das Wetterphänomen „El Niño“ bemerkbar und verschärft die Problematik der ohnehin schon überdurchschnittlichen Meerestemperaturen. Letztere haben im abgelaufenen Jahr für zahlreiche Wetterkatastrophen gesorgt. Die Gefahr besteht darin, dass Dürren und Überschwemmungen zu Missernten führen und dadurch die Lebensmittelpreise nach oben getrieben werden. Die EZB hat signalisiert, dass sie aus Furcht, dass derartige Preisschocks auf die Inflationserwartungen durchschlagen könnten, diesen Entwicklungen nicht tatenlos zusehen würde.

Vor dem Hintergrund unserer Erwartung, dass die Fed per Mitte kommenden Jahres die Zinsen senkt, während die EZB die Füße still halten sollte, prognostizieren wir einen weiter aufwertenden Euro. Mitte des nächsten Jahres könnte ein Euro 1,19 US-Dollar kosten. Für Ende 2024 erwarten wir einen Kurs von 1,15 US-Dollar.

Der Ölpreis wird tendenziell fallen. Eine nachlassende Disziplin der OPEC Plus Gruppe und eine zunehmende Elektrifizierung des Verkehrs in den Industrieländern – generell ist der Transportsektor der größte Verbraucher des fossilen Brennstoffes – sind die wichtigsten Gründe für diese Einschätzung.

Insgesamt erwarten wir 2024 eine relativ stabile Lage mit wenig Potenzial für eine bedeutende Expansion, bedingt durch bremsende strukturelle und geopolitische Faktoren.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt

Zum Kontaktformular