Der Wochenkommentar

China: Immobilienblase darf nicht platzen

September 2023 Die Welt erwartet, dass Peking mithilfe eines großen Stimulus-Pakets das Wirtschaftswachstum wieder in Schwung bringt. Das große Paket wird nicht kommen, denn China möchte den Immobilienmarkt konsolidieren und die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Bausektor reduzieren.
Ein Kommentar von Dr. Tariq Chaudhry

Dr. Tariq Chaudhry

Das Herauslassen von Luft aus einer Blase, ohne sie zum Platzen zu bringen, ist eine komplexe Herausforderung. Daher hat die Führung in Peking seit 2020 intensiv darüber nachgedacht, wie sie mit den steigenden Immobilienpreisen, dem wachsenden Überangebot und den galoppierenden Schulden in China umgehen sollte. Präsident Xi Jinping führte seinerzeit die „drei rote Linien“-Kampagne ein, um den Schuldenabbau in der Immobilienbranche voranzutreiben und klarzustellen, dass Wohnraum für die Bevölkerung gedacht sei, nicht für Spekulationszwecke. Diese Maßnahmen hatten jedoch Auswirkungen auf die Immobilienentwicklerbranche zur Folge, die von zwei Seiten betroffen waren: Einerseits wurde es schwieriger, mehrere Immobilien zu erwerben, wodurch die Nachfrage gedrosselt wurde, und andererseits wurden die Kreditaufnahmemöglichkeiten für Immobilienentwickler eingeschränkt. Dies führte zu einem weiteren Rückgang der Nachfrage und der Immobilienpreise, was wiederum zu weniger neuen Bauprojekten führte und einige Entwickler in finanzielle Schwierigkeiten brachte. Nachdem bereits der Immobiliengigant Evergrande in Schwierigkeiten geriet, ist nun ein weiterer bedeutender Immobilienmarktakteur, Country Garden, in die Schlagzeilen geraten. Obwohl die Verbindlichkeiten von Country Garden nur 59 % der Verbindlichkeiten von Evergrande betragen, ist das Unternehmen mit 3.103 Projekten im ganzen Land präsent, während Evergrande nur etwa 800 Projekte betreibt. Dies verleiht auch Country Garden eine erhebliche Bedeutung für die Systemstabilität und schürt gleichzeitig Ängste vor einer möglichen branchenweiten Ansteckung.

Die Krise bei Country Garden

Das von Yang Guoqiang im Jahr 1992 gegründete Unternehmen war bis vor kurzem einer der größten Immobilienentwickler Chinas, der sich auf Wohnimmobilien spezialisiert hat. Das Unternehmen mit Sitz in Foshan, Guangdong, ist in Hongkong an der Börse gelistet und hat sich auch in andere Bereiche wie Gewerbeimmobilien, Robotik und landwirtschaftliche Dienstleistungen diversifiziert. Mit rund 300.000 Beschäftigten spielt Country Garden auch für chinesische Verhältnisse eine bedeutende Rolle für die inländische Wirtschaft.

In jüngster Zeit geriet das Unternehmen aufgrund von Liquiditätsproblemen ins Rampenlicht: Es verpasste zwei US-Dollar-Coupon-Zahlungen auf ausstehende Anleihen, was Bedenken im Hinblick auf dessen Finanzstärke und die möglichen Auswirkungen auf den chinesischen Immobilienmarkt aufwarf. Country Garden verschob auch die Frist für Gläubiger, um über die Verschiebung von Zahlungen für eine Inlands-Privatanleihe abzustimmen. Die Gesamtverbindlichkeiten des Unternehmens beliefen sich bis Ende Juni 2023 auf umgerechnet etwa 194 Mrd. US-Dollar, wobei Verbindlichkeiten von 14,8 Mrd. US-Dollar (ca. 8 % der Gesamtschulden) innerhalb eines Jahres fällig werden. Das Unternehmen verfügte jedoch Ende Juni nur über liquide Mittel von etwa 13,9 Mrd. US-Dollar.

Bisher hat Country Garden eine Insolvenz vermieden, indem es inzwischen überfällige Zinsen in Höhe von 22,5 Mio. US-Dollar für die zwei oben genannten US-Dollar-Anleihen beglichen und die Zustimmung lokaler Gläubiger zur Verschiebung der Rückzahlung der oben erwähnten auslaufenden in Yuan denominierten Anleihe erhalten hat. Dies verschafft dem Unternehmen mehr Zeit, die ausstehende Tilgung zurückzuzahlen. Es muss jedoch weiterhin Zinsen auf Basis des ursprünglichen Zeitplans zahlen. Die Turbulenzen der Immobilienentwickler tragen zur Verunsicherung des Immobilienmarktes bei, der schon von schärferer Regulierung („drei rote Linien“) und immer noch von den Folgen der Corona-Pandemie gebeutelt ist. Während der Lockdowns fielen am Immobilienmarkt in die Investitionen und Verkäufe aufgrund der physischen Beschränkungen. Nun sind die Maßnahmen aufgehoben, aber die Vertrauenskrise ist geblieben.

Wie verhält sich der chinesische Staat?

Würde Peking im Fall einer Insolvenz einspringen? Bisher hat es die Zentralregierung seit Beginn der aktuellen Immobilienkrise vermieden. Im Fall von Evergrande griff jedoch die Provinzregierung der südlichen Provinz Guangdong ein, in der das Unternehmen seinen Hauptsitz hat, um die Folgen der Krise 2021 (im Zusammenhang mit der „drei rote Linien“ Kampagne) zu bewältigen. Pekings Zurückhaltung, individuelle Unternehmen zu stützen, steht im Kontrast zum erklärten Willen der Regierung, dem Immobilienmarkt insgesamt unter die Arme zu greifen.

Das neueste staatliche Unterstützungspaket für den Immobilienmarkt in China konzentriert sich hauptsächlich auf die Nachfrageseite: Dazu gehören Maßnahmen wie das Senken der Mindestanzahlung für Erstkäufer von 30% auf 20% des Kaufpreises, die Möglichkeit für Hausbesitzer, niedrigere Zinssätze mit Banken auszuhandeln, und eine Lockerung der Kaufbeschränkungen in den größten Städten. Zusätzlich haben Hauskäufer, die ihre bestehenden Hypotheken für den Kauf größerer Immobilien verwenden, jetzt Zugang zu bevorzugten Hypothekenkonditionen. Diese galten zuvor nur für Erstkäufer. Diese verschiedenen Maßnahmen sollen dazu beitragen, die Nachfrage anzukurbeln und den Immobilienmarkt zu stabilisieren.

Fazit und Ausblick

Die Tatsache, dass Immobilienentwickler wie Country Garden die Insolvenz gerade so vermieden haben und der Staat jetzt verstärkt Interesse an der Stimulierung des Immobilienmarktes zeigt, sollte kein Grund zur Beruhigung sein, denn der boomende Immobilienzyklus mit hohen Renditen, insbesondere außerhalb der Mega-Cities wie Peking, Shanghai und Shenzhen, scheint vorbei zu sein. In den kommenden Jahren werden zudem strukturelle Probleme den Markt für Wohnimmobilien verstärkt belasten: Schrumpfende Bevölkerung, eine verlangsamte Urbanisierung und eine niedriger prognostizierte Heiratsquote. Vielerorts scheint der Markt schon heute gesättigt. Nach Angaben des Datenanbieters Wind gab es in China im Februar 2023 3,5 Mrd. Quadratmeter fertiggestellte, aber unverkaufte Wohnungen. Das entspricht etwa 4 Mio. Wohnungen. Dies stellt das größte Überangebot in China seit 2017 dar.

Angesichts des Angebotsüberschusses am chinesischen Immobilienmarkt scheint es nachvollziehbar, dass in Peking gezögert wird, angebotsseitig den Bausektor zu stimulieren. Nach einem enttäuschenden Aufschwung im letzten Jahr infolge der Covid-Maßnahmen leidet die chinesische Wirtschaft derzeit an einem nur gedämpften Wirtschaftswachstum. Selbst das vergleichsweise moderate Ziel von 5 %-Wachstum für das Jahr 2023 scheint gegenwärtig gefährdet zu sein. Viele Marktbeobachter fragen sich, warum die chinesische Führung keinen umfangreicheren Konjunkturimpuls beschließt? Ein Teil der Antwort liegt vermutlich in den Herausforderungen des chinesischen Immobilienmarktes: Ein zu starker Stimulus würde, aus Sicht Pekings, den Immobilienmarkt noch weiter aufblasen. Kein Stimulus würde die vom Bausektor stark abhängige sonstige Wirtschaft schwächen. Die Balance zu finden, um den Immobilienmarkt zu stabilisieren, ohne die Gesamtwirtschaft zu gefährden, ist ein riskantes Unterfangen, dem sich die chinesische Führung nun stellen muss.

Dr. Tariq Chaudhry

Dr. Tariq Chaudhry

Economist

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