Der Wochenkommentar

Deutsche „Hidden Champions“ vor China schützen!

Februar 2024

In China gehen die Preise zurück. Das sind im Grunde genommen gute Nachrichten für die Weltwirtschaft. Überschätzen sollten wir die disinflationären Effekte jedoch nicht.

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Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Preiskampf bei E-Autos geht weiter, die Preise für Fotovoltaikanlagen im Sinkflug, 40 % auf E-Fahrräder wegen Lagerräumung. Das sind aktuelle Zeitungsschlagzeilen, die tatsächlich mehr sind als gut platzierte Marketingaktionen. Und sie haben eine Gemeinsamkeit, die hier betroffenen Produkte werden zu einem großen Teil in China hergestellt, das seine überschüssige Industrieproduktion in den Weltmarkt drückt. Tatsächlich sind die Exportpreise Chinas zuletzt um rund 8 % gegenüber dem Vorjahr gefallen.

Zwei Fragen drängen sich auf. Erstens, sollte sich die Wirtschaftspolitik gegen die billigen Produkte aus China wehren? Und zweitens, in welchem Maße hat die Exportpolitik Chinas einen Einfluss auf die Inflation in der Eurozone und den USA bzw. was bedeutet dies für die Geldpolitik der EZB und der Fed?

Zum ersten Punkt: Wir Verbraucher können also jetzt das ersehnte E-Rad, das wir uns vorher nicht leisten wollten oder konnten, zum halben Preis erwerben. Auch der Weg zum guten Gewissen in Sachen erneuerbarer Energien ist nunmehr günstiger zu begehen, sind Solarpanels doch wesentlich preiswerter zu haben als beispielsweise vor einem Jahr. Das ist doch eine prima Sache, warum sollte man mit Zöllen oder anderen protektionistischen Maßnahmen dagegen vorgehen? Die EU-Kommission sieht das offensichtlich anders. Sie hat Ende letzten Jahres eine Untersuchung eingeleitet, ob China seine E-Autoproduktion subventioniert und ob entsprechend Zölle erhoben werden sollten. Die EU hat also nicht nur die Konsumenten im Blick, sondern auch die Produzenten, die hierzulande für Arbeitsplätze und die industrielle Basis sorgen. Klarer Fall, könnte man sagen. Tatsächlich haben sich einige Autoproduzenten aber ablehnend gegenüber Handelsrestriktionen geäußert. Der Grund ist einfach, sie profitieren mit Produktionsstätten in China selber von Subventionen und fürchten zudem Gegenmaßnahmen aus dem Reich der Mitte.

Preise unter Druck: E-Autos und Solarpanels als Beispiele

Bei Solarpanels lohnt es sich ebenfalls genauer hinzuschauen. In China sind mehr als 80 % der globalen Produktionskapazitäten für Fotovoltaik angesiedelt, die zudem nach Aussagen des Bundeswirtschaftsministeriums massiv subventioniert werden. Kritiker der Importschwemme aus China argumentieren mit der strategischen Abhängigkeit, in die man sich bei der Energieversorgung begibt. Das Argument leuchtet nicht ein. Anders als beim russischen Gas würde ein Exportstopp Chinas nicht dazu führen, dass der Solarstrom sofort wegbrechen würde. Man hätte Zeit, selber Produktionskapazitäten aufzubauen. Hier mag es eine Überlegung sein – das jüngste Aus des sächsischen Solarpanelproduzenten Meyer Burger regt zu dieser Diskussion an –, eine Mindestkapazität in der EU mit Subventionen aufrechtzuerhalten, um das Know How zu bewahren. Mehr aber auch nicht. Auf Zölle sollte man beispielsweise verzichten. Man muss nämlich auch berücksichtigen, dass eine Verteuerung der chinesischen Solarpanelimporte dazu führen würden, dass die Energiewende unnötig verlangsamt würde. Abgesehen davon ist eine derartige Politik gegen die Interessen der Handwerksbetriebe, die derzeit vom Solarboom profitieren.

Früher war alles besser

Beim zweiten Punkt geht es um die Wirkung der chinesischen Exportpolitik auf die Inflation und auf die Geldpolitik. Einige Beobachter ergehen sich in der Hoffnung, dass hier die „schöne“ Erfahrung aus den 2000er Jahren wiederholt werden könnte, als Chinas Integration in die Weltmärkte einen ausgesprochen disinflationären Effekt auf die Weltmärkte hatte. In der Folge fiel es den Notenbanken relativ leicht, für Preisstabilität zu sorgen. Die Zinsen blieben niedriger als das ohne den China-Effekt der Fall gewesen wäre. Es wäre ein Irrtum erneut auf eine derartige Entwicklung zu setzen, die Welt ist heute eine komplett andere als vor 20 Jahren.

Überschätzter Effekt

Denn der rein quantitative Effekt Chinas auf die Preise in der Eurozone und den USA ist niedriger als früher. Im Jahr 2016 importierte die USA knapp ein Fünftel seiner Güter aus China, aktuell sind es nur noch ein gutes Zehntel. Gemäß unserer Schätzung liegt der Anteil der Konsumgüter, die aus China eingeführt werden, in den USA bei rund 5 % und in der Eurozone sogar unterhalb von 5 %. Dazu kommt, dass zwischen der Produktion in China und dem Endabnehmer in einem Industrieland zahllose Zwischenhändler geschaltet sind, die ihre Margen geltend machen, so dass Preissenkungen nur in gedämpfter Form ankommen.

Nicht mehr die Werkbank der Welt

Der wichtigste Unterschied zu früher ist, dass in den 2000er Jahren strukturelle Faktoren die Disinflation anheizten. China war zu Beginn des Jahrtausends der Welthandelsorganisation beigetreten, integrierte sich in die Weltmärkte und in diesem Umfeld industrialisierte sich das Land in einem atemberaubenden Tempo. In dieser Entwicklungsphase wurde China zur Werkbank der Welt, wobei die hunderte von Millionen Wanderarbeiter:innen, die vom Land in die Städte gingen, als Katalysator wirkten. Heute ist China aus dieser Phase herausgewachsen. Billige Handarbeit ist nicht mehr der Wachstumstreiber, zusätzliche ungelernte Personen kann der Arbeitsmarkt in China kaum noch absorbieren. Stattdessen werden Menschen mit Fachkenntnissen benötigt, die Löhne sind insgesamt kräftig gestiegen und Unternehmen aus dem Ausland überlegen es sich mittlerweile drei Mal, ob sie Produktionsstätten in China aufbauen, oder ob sie nicht lieber in Vietnam oder Malaysia oder anderen Standorten produzieren.

Falsche Hoffnung

Erschwert wird die Lage für China noch dadurch, dass die Bevölkerung insgesamt schrumpft, überaltert und daher weniger produktiv wird, die Produktion daher verteuert wird. Mit anderen Worten: Der eigentliche strukturelle Trend ist inflationär. Es ist nur der derzeitigen schwachen Inlandsnachfrage zu verdanken, dass viele Konsum- und Investitionsgüter aus China derzeit Preisrückgänge erleben. Auf lange Sicht können es sich die chinesischen Anbieter nicht leisten, den Unterbietungswettbewerb, der auch mit Konkurrenten aus dem Inland stattfindet, durchzuhalten. Der zyklische Disinflationsdruck dürfte über kurz oder lang in einen zyklischen Inflationsdruck münden, der zudem von strukturellen Faktoren noch unterstützt wird.

Selbst wenn einige Monate disinflationärer Druck aus China zu erwarten wäre, würde dies vermutlich nicht ausreichen, um den weiter bestehenden inflationären Trend in der Eurozone und den USA zu kompensieren. So haben die jüngsten HCOB PMI beispielsweise gezeigt, dass die Inflationsrate im Dienstleistungssektor – dieser Sektor ist so gut wie unabhängig von der Inflationsentwicklung in China – beständig hoch bleibt. Hier schlägt sich die Arbeitskräfteknappheit nieder, die den Arbeitnehmern mehr Verhandlungsmacht in den Lohnverhandlungen verleiht. Die überdurchschnittliche Streikaktivität in Deutschland legt dafür Zeugnis ab.

Insgesamt ist daher ist die Hoffnung, China könne nachhaltig dazu beitragen, die Inflation einzudämmen und stärkere Zinssenkungen der Notenbanken auslösen, eine falsche Hoffnung. EZB und Fed tun gut daran, die strukturellen Gründe für die Inflation weiterhin im Blick zu behalten und nur vorsichtig Lockerungsschritte zu unternehmen.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt

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