Der Wochenkommentar

Der digitale Euro kommt

April 2023 Die EZB hat eine weiteren Bericht zum digitalen Euro vorgestellt, der in sehr konkreter Form die Ausgestaltung der digitalen Zentralbankwährung beschreibt. Sie hätte etwas mutiger sein können.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Jetzt wird es allmählich ernst. Das ist die wichtigste Botschaft des dritten Fortschrittberichts der Europäischen Zentralbank (EZB) über den digitalen Euro. Denn während bislang die Öffentlichkeit im Dunkeln tappte, wenn es um die konkrete Ausgestaltung eines digitalen Euro ging, geht der vergangene Woche vorgelegte Bericht der EZB ins Detail.

Insbesondere wird deutlich, dass der digitale Euro – im Folgenden ist damit stets der von der EZB zu emittierende digitale Euro gemeint – in erster Linie ein Transaktionsmedium darstellen soll und alles dafür getan wird, dass er nicht in einem größeren Maßstab als Wertaufbewahrungsmittel eingesetzt werden kann. So ist für Individuen eine Obergrenze für das Halten der Zentralbankwährung vorgesehen, die sich vermutlich maximal bei 3.000 bis 4.000 Euro bewegen wird. Bei Zahlungen, die darüber hinausgehen, ist die sogenannte Wasserfallregelung vorgesehen: Bei einem Zahlungseingang, der über das Limit hinausgeht, wird das „überschüssige“ Geld unmittelbar nach Zahlungseingang in Giralgeld umgewandelt. Wenn man wiederum eine Zahlung machen möchte, die über das Limit hinausgeht, wird kurz vor der Transaktion der entsprechende Betrag vom Giralgeldkonto abgebucht, in den digitalen Euro gewandelt und dann überwiesen. Dieser Fall wird auch als „umgekehrter Wasserfall“ bezeichnet. Unternehmen und Gebietskörperschaften dürfen im Grunde genommen überhaupt nicht den digitalen Euro halten, hier gilt eine Obergrenze von 0 Euro. Ganz richtig ist das nicht, weil auch für sie die Wasserfallregelung gilt, so dass für eine gedankliche Sekunde diese Institutionen bei Transaktionen doch digitalen Euro halten, bevor der Betrag überwiesen wird bzw. kurz nach Empfang auf das Bankkonto weitertransferiert wird.

Kein Bargeldersatz

Schon an dieser Stelle lässt sich festhalten: Mit dem digitalen Euro soll eine parallele Zahlungsinfrastruktur aufgebaut werden. Die digitale Zentralbankwährung (CBDC bzw. Central Bank Digital Currency) ist keineswegs als Substitut für Bargeld geplant, denn Bargeld kann man theoretisch in unbegrenzter Menge halten, dem Halten des digitalen Euro dagegen sind dagegen enge Grenzen gesetzt. Individuen dürfen auch nur eine begrenzte Anzahl von CBDC-Konten halten.

Bedeutet das jetzt, dass Banken und anderen Zahlungsverkehrsanbietern (PSPs bzw. payment service providers) das Geschäft mit dem Zahlungsverkehr streitig gemacht wird? Mehrere Aspekte sprechen dagegen. Erstens sind Banken und PSPs als die Institutionen vorgesehen, die das Onboarding von Kunden durchführen, die ein Konto für den digitalen Euro einrichten wollen. In diesem Zusammenhang müssen die üblichen Überprüfungen (wie zum Beispiel das Know Your Customer-Verfahren) durchgeführt werden. Zweitens müssen Unternehmen weiterhin Giralgeld halten, ohne das sie Überweisungen nicht tätigen können, da die Obergrenze für das Halten des digitalen Euros bei 0 Euro liegt. Inwieweit es Banken und PSPs erlaubt sein wird – aus rechtlicher und / oder aus wettbewerblicher Sicht – für die Umsetzung der Wasserfallregelung und die Verwaltung des CBDC-Kontos ein Entgelt zu nehmen, ist noch unklar. Drittens soll die Zahlungsverkehrsanwendung der EZB lediglich die Kernfunktionen für den Zahlungsverkehr beinhalten. Wiederkehrende Zahlungen, Pay-Per-Use-Lösungen, Triggerlösungen für den Zahlungsverkehr oder andere Innovationen sollen hingegen den Privatanbietern überlassen werden. Überhaupt sollte klar sein, dass die üblichen Überweisungen von einem Girokonto auf ein anderes Girokonto (bei denen üblicherweise ebenfalls die Zentralbank zwischengeschaltet ist) weiterhin bestehen bleiben werden.

Keine Angst vor der Konkurrenz

Grundsätzlich ist es möglich, dass ein Teil der Privatkunden ihr Girokonto nicht nutzen und den Zahlungsverkehr ausschließlich mit ihrem CBDC-Konto durchführen, insbesondere falls diese Transaktionen dann kostenfrei sein sollten und die Transaktionen dieser Kunden das vorgesehene Limit von 3.000 bis 4.000 Euro nicht überschreiten. Die Wahrscheinlichkeit, dass das in einem größeren Umfang geschieht, scheint aber aus den oben genannten Gründen gering zu sein.

Darüber hinaus ist festzustellen, dass der Aufbau eines parallelen Zahlungssystems aus Stabilitätsgründen grundsätzlich sinnvoll sein kann. Wenn ein größerer Zahlungsanbieter ausfällt, kann das CBDC-Zahlungssystem eingesetzt werden. Tatsächlich wäre allerdings bei dem hier vorgesehenen Modell, bei dem Unternehmen und Regierungsstellen den digitalen Euro gar nicht halten, sondern nur damit Überweisungen tätigen dürfen, der Ausfall eines größeren Zahlungsanbieters weiterhin ein erhebliches Risiko für die Funktionsfähigkeit des Zahlungssystems. Eine echte Redundanz wäre erst geschaffen, wenn Unternehmen den digitalen Euro auf einem CBDC-Konto halten und von einem CBDC-Konto zu einem anderen CBDC-Konto Überweisungen tätigen könnten. Zugang zum digitalen Euro soll der Nutzer im Rahmen einer integrierten Lösung über bereits existierende Zahlungsverkehrsapplikationen erhalten oder durch eine App, die von der EZB bereit gestellt wird. In jedem Fall muss das Onboarding durch eine Bank oder einen PSP geschehen. Vorgesehen ist auch die Möglichkeit des kontaktlosen Bezahlens.

Internationale Zahlungen zu einem späteren Zeitpunkt

Der digitale Euro wird zunächst prioritär entwickelt, um Zahlungen innerhalb der Eurozone mit der Zentralbankwährung zu ermöglichen. Grundsätzlich ist auch daran gedacht, den internationalen Zahlungsverkehr mit Nicht-Euro-Staaten zu erleichtern, zumal dies unter den G20-Ländern als ein mögliches Ziel vereinbart wurde. Das hätte vor allem für ausländische Bürger:innen in der Währungsunion eine wichtige Bedeutung, die monatlich Zahlungen an ihre Familien außerhalb der Eurozone schicken. Wir gehen davon aus, dass derartige Lösungen erst einige Jahre nach der Implementierung des digitalen Euro verwirklicht werden.

Entscheidung ist faktisch gefallen

Festzuhalten ist noch, dass die EZB weiterhin von einer Untersuchungsphase spricht und erwähnt, dass eine endgültige Entscheidung über die Einführung des digitalen Euro noch nicht getroffen wurde. Tatsächlich ist schwer vorstellbar, dass das Projekt nicht realisiert wird. In jedem Fall ist es so, dass im nächsten Schritt die EU-Kommission bereits im laufenden Quartal eine Regulierung für einen zukünftigen digitalen Euro vorlegen soll und im Herbst die EZB entscheiden wird, ob das Projekt in die nächste Phase eintreten wird. Außerdem muss das Europäische Parlament und der Europäische Rat (Gremium der EU-Staats- und Regierungschefs) noch über die Einführung des digitalen Euro abstimmen. Der frühestmögliche Startzeitpunkt wäre dann vermutlich 2025.

Wo bleibt der Anker?

Eine grundsätzliche Frage stellt sich, wenn es um die zukünftige Ankerfunktion von Zentralbankgeld geht. Üblicherweise ist es so, dass Bargeld für jedes Zahlungssystem eine Ankerfunktion darstellt: Das Vertrauen darauf, dass 100 Euro Giralgeld auf der Bank – dies ist privates Geld – tatsächlich 100 Euro Zentralbankgeld entspricht, kann ich jeden Tag überprüfen, in dem ich zum Geldautomaten gehe und 100 Euro in Bar von meinem Konto abhebe. Für die Bürger ist Bargeld bislang die einzige Form, in der sie Zentralbankgeld halten können. Wenn in den nächsten Jahren Bargeld weiter an Bedeutung verliert und vielleicht irgendwann verschwindet, wo bleibt dann die Ankerfunktion, wenn gleichzeitig das Halten von Zentralbankgeld auf 3.000 bis 4.000 Euro begrenzt ist und Unternehmen sogar überhaupt kein Zentralbankgeld halten dürfen? Diese Frage bleibt unseres Erachtens ungeklärt.

Blockchain-Technologie kommt nicht zur Anwendung

Es ist gut, dass sich der digitale Euro allmählich konkretisiert. Andere Länder wie China bleiben nicht tatenlos und auch die privaten Zahlungsanbieter, insbesondere aus den USA, könnten ansonsten einen zunehmenden Teil des Zahlungsverkehrs kontrollieren. Der große Wurf scheint der digitale Euro dennoch nicht zu werden. Insbesondere wird die Chance vertan, die Blockchain-Technologie zu verwenden und auf diese Weise den digitalen Euro mit den entsprechenden Anwendungsmöglichkeiten – etwa die Tokenisierung von Assets, den simultanen Transaktionen mit digitalen Euro und Wertpapieren oder per-per-use-Lösungen – auszustatten. Vermutlich scheut man sich, einen zu großen Schritt zu gehen, der naturgemäß mit größeren Risiken behaftet ist. Tatsächlich könnte die EZB zu einem späteren Zeitpunkt Banken und Zahlungsanbietern erlauben, private Stablecoins auf der Basis des digitalen Euro zu emittieren, so dass auf diese Weise die Vorteile der Blockchain-Technologie gehoben werden können. Rein technisch wäre das bereits heute möglich, aber ohne die Rückendeckung der EZB scheinen sich Anbieter in dieser Beziehung eher zurückzuhalten.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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