Der Wochenkommentar

Deutsche „Hidden Champions“ vor China schützen!

Februar 2024

Die deutsche Industrie leidet unter Wettbewerbsnachteilen gegenüber globalen Konkurrenten. Eine wenig diskutierte Gefahr ist der chinesische Plan, durch Industriepolitik den deutschen "Hidden Champions" Marktanteile am Weltmarkt durch eigene "Kleine Riesen" zu entziehen. Es ist an der Zeit zu handeln.

Ein Kommentar von Dr. Tariq Chaudhry

Dr. Cyrus de la Rubia

Das Bundeswirtschaftsministerium hat kürzlich die deutsche Wachstumsprognose für das Jahr 2024 von 1,3 % auf 0,2 % gesenkt, nachdem das BIP im Jahr 2023 um 0,3 % geschrumpft war. Insbesondere das Verarbeitende Gewerbe verzeichnete im Jahr 2023 einen Rückgang von 0,5 %. Die HCOB PMIs für das Verarbeitende Gewerbe signalisierten im Januar die achtzehnte Schrumpfung in Folge, was auf eine anhaltende Schwäche der deutschen Industrie hinweist. Befragte Industrieunternehmen weisen regelmäßig auf Wettbewerbsnachteile durch zu hohe Zinsen, teure Energie und zu viel Bürokratie hin und beklagen geopolitische Risiken sowie eine schwache Weltkonjunktur. Es gibt aber aktuell eine viel größere Gefahr für die deutsche Industrie: Die deutsche Industriepolitik. Es ist wichtig, neben den Gefahren, die aus der Industriepolitik des US-amerikanischen „Inflation Reduction Act“ erwachsen, auch die potenziell viel umfassendere Bedrohung durch das chinesische Industriepolitik-Pendant „Made in China 2025“ zu beachten. Seit acht Jahren ist China Deutschlands wichtigster Handelspartner und spielt auch als Wirtschaftspartner eine bedeutende Rolle. Mit seiner aggressiven Industriepolitik hat China deutschen Anbietern im Bereich Photovoltaik und Elektromobilität zunehmend Konkurrenz gemacht. Nun strebt China nicht nur technologischen Fortschritt an, sondern möchte auch ein eigenes Ökosystem für kleine und mittlere deutsche Unternehmen (KMU) im eigenen Land aufbauen.

Deutschland als Vorbild

In China wird nichts ohne einen Plan gemacht. Bereits im Jahr 2015 wurde der Zehnjahresplan „Made in China 2025“ ausgerufen, der die Weiterentwicklung der chinesischen Industrie hin zu hochwertigerer Technologie vorsieht. Dieser Plan deutete bereits darauf hin, dass die Chinesen nicht nur zehn strategische Fertigungssektoren selbst übernehmen wollen, sondern auch das deutsche KMU-Ökosystem nachbilden möchten. Insbesondere wurden sog. deutsche „Hidden Champions“ ins Visier genommen – zahlreiche kleine und mittelgroße Unternehmen, die hierzulande mit Spezialprodukten in strategisch wichtigen Wirtschaftszweigen und -nischen erfolgreich sind. Peking ist der Ansicht, dass staatliche Eingriffe den Aufstieg lokaler „Hidden Champions“ fördern können, obwohl die sozialen und wirtschaftlichen Umstände in China andere sind als in Deutschland. Die Regierung unter Xi Jinping unterstützt dabei Tausende von kleineren und mittelgroßen Hightech-Firmen, vom Maschinenbauer bis zum Spezialisten für Elektromobilität. Das Fernziel besteht darin, ausländische Importe durch innovative Produkte, die auf dem heimischen Markt hergestellt werden, zu ersetzen.

Kleine Riesen

Das Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin hat in seiner Studie „Accelerator state: How China fosters 'Little Giant' companies“ detailliert analysiert, wie Chinas Innovationspolitik einen klaren Fokus auf kleinere Unternehmen legt. Durch die Analyse staatlicher Dokumente und Kennzahlen zeigt die Studie anschaulich, dass staatlich zertifizierte High-Tech-KMU in China von einem umfassenden Unterstützungssystem profitieren. Dieses System, bekannt als „Pyramiden-Kultivierungssystem“, ist hierarchisch strukturiert und basiert auf einem Wettbewerbsmechanismus, um sicherzustellen, dass die Unterstützung den wettbewerbsfähigsten und vielversprechendsten Unternehmen zugutekommt. Es umfasst verschiedene Ebenen wie „innovative KMU“, „spezialisierte KMU“ und „Kleine Riesen“ oder „Fertigungschampions“. Unternehmen werden anhand ihrer wirtschaftlichen und innovativen Leistung bewertet und erhalten staatliche Titel sowie Unterstützung für einen Zeitraum von drei Jahren. Diese Hilfen beinhalten den erleichterten Zugang zu Finanzmitteln, Börsen, Anleihemärkten, Subventionen, Forschungsgeldern und staatlicher Zusammenarbeit.

Systemischer Rivale

Große und kleine deutsche Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe müssen wachsam sein, da über 70.000 spezialisierte Mittelständler und mehr als 12.000 „kleine Riesen“ in China potenzielle Wettbewerber sind, die ihre (Welt-)Marktanteile gefährden könnten. Die Exporte von Deutschland nach China, insbesondere von Maschinen und Fahrzeugen, beliefen sich 2023 auf etwa 67 Mrd. Euro und machen einen beträchtlichen Teil der deutschen Gesamtexporte nach China von 98 Mrd. Euro aus. Dies macht somit alle deutschen Firmen anfällig für die chinesische Industriepolitik, was auch in Berlin erkannt wurde. Die neue China-Strategie der Bundesregierung bezeichnet Peking nun als „systemischen Rivalen“ und auf EU-Ebene werden erste Schritte unternommen, um den europäischen Markt vor stark subventionierten chinesischen E-Autos zu schützen, die für den Endkunden etwa 20 Prozent günstiger sind als in der EU produzierte Modelle. Deutsche Autobauer sind angesichts des EU-Vorgehens besorgt über mögliche Gegenmaßnahmen seitens Chinas, da sie das Land nicht nur als Absatzmarkt für Verbrennungsmotoren, sondern auch als Schlüsselmarkt für den technologischen Wettbewerb betrachten, um von chinesischen Herstellern nicht langfristig abgehängt zu werden.

Fazit

Die MERICS-Studie betont sowohl Chancen als auch Risiken des chinesischen Förderansatzes. Dieser führt zu verstärkten Mittelzuweisungen an erfolgreiche High-Tech-KMU, wie BWT Beijing, Leaderdrive und Endovastec, die chinesische Alternativen zu ausländischen Vorprodukten entwickelt haben. Es besteht jedoch die Gefahr, dass chinesische Verwaltungsbeamte möglicherweise fehlerhaft vielversprechende Unternehmen identifizieren, was zu Fehlinvestitionen und Missbrauch von Mitteln führen könnte. Trotz Milliarden schwerer chinesischer Fehlinvestitionen in der Vergangenheit muss Deutschland die heraufziehende Gefahr aus China als Weckruf betrachten. Die Zeiten, in denen europäische Unternehmen aufgrund ihrer Spezialisierung und ihres technologischen Vorsprungs in China unanfechtbar waren, gehen zu Ende. Das bedeutet nicht, dass Deutschland vor Chinas mächtiger Industriepolitik erstarren muss. Vielmehr muss abgewogen werden, welche deutschen Produkte durch Handelsbarrieren vor chinesischem Dumping geschützt und/oder durch gezielte Fördermaßnahmen sowie staatliche Investitionen unterstützt werden müssen. Angesichts der wirtschaftlichen Potenz Chinas ist eine koordinierte EU-weite Vorgehensweise wahrscheinlich effektiver als nationale Maßnahmen zum Schutz der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Es bleibt zu hoffen, dass Bundeskanzler Scholz dies bei seinem für Mitte April angekündigten Besuch in Peking berücksichtigen wird. Denn es geht auch hier langfristig um nichts weniger als um den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Dr. Tariq Chaudhry

Dr. Tariq Chaudhry

Economist

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