Der Wochenkommentar

Die Resilienz der US-Wirtschaft

Februar 2024

Trotz gestiegener Zinsen und Preise zeigt die US-Wirtschaft erstaunliche Widerstandsfähigkeit. Staatliche Maßnahmen, hohe Lohnzuwächse und geopolitische Einflüsse spielen dabei eine Schlüsselrolle. Hinter der vermeintlichen Stabilität lauern jedoch potenzielle Risiken, vor allem im Immobiliensektor und in den bevorstehenden Wahlen.

Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Die US-Arbeitsmarktdaten haben bei vielen Investoren die Kinnlade herunterklappen lassen. Tatsächlich ist der Beschäftigungszuwachs in den vergangenen drei Monaten gestiegen und strafte damit all diejenigen Lügen, die fest von einer bevorstehenden Rezession ausgingen. In der Tat ist es angesichts des rapiden Zinsanstiegs der vergangenen beiden Jahre auf den ersten Blick verwunderlich, dass bislang noch keine Anzeichen einer Rezession erkennbar sind.

Denn in der Vergangenheit sind die meisten Rezessionen in den USA durch Zinserhöhungen ausgelöst worden. Dabei ist stets eine Verzögerung festzustellen, mit der sich die höheren Zinsen in der Wirtschaft bemerkbar machen. Das liegt daran, dass die Finanzierungskosten für Unternehmen im Wesentlichen erst dann steigen, wenn fällige Kredite abgelöst werden müssen. Nur wenn Unternehmen variabel finanziert sind, werden die höhere Refinanzierungskosten unmittelbar wirksam.

Zinserhöhungen lösen üblicherweise Rezessionen aus

Bei privaten Haushalten ist der Effekt ähnlich. Die Zinsbelastung von Hypothekenkrediten kommt auch mit Verzögerung zum Tragen, weil erst nach einem Auslaufen der Zinsbindungsfrist von bis zu 30 Jahren die Zinsen angepasst werden. Für Hauskäufer werden die höheren Zinsen natürlich unmittelbar schlagend und machen den Hauskauf unattraktiver. Gleichzeitig wird üblicherweise auch der private Konsum durch höhere Zinsen belastet, weil viele Amerikaner insbesondere langlebige Konsumgüter (Autos, Möbel usw.) auf Raten kaufen oder den Dispo ihrer Kreditkarte nutzen.

Bei der Antizipation von Rezessionen hat sich die Zinsstruktur in den USA eigentlich als besonders zuverlässiger Indikator erwiesen. Wenn die Zinsstruktur invers wurde, also die kurzfristigen Renditen höher stiegen als die langfristigen Renditen, konnte man bislang davon ausgehen, dass die Wirtschaft in den nächsten 12 bis 18 Monaten anfängt zu schrumpfen.

Nun hat die US-Notenbank die Zinsen innerhalb von nur eineinviertel Jahren um 5,25 Prozentpunkte angehoben, so aggressiv wie seit vier Jahrzehnten nicht mehr, und die Zinsstruktur ist seit 19 Monaten invers. Und dennoch ist die Wirtschaft 2023 um 2,5 % expandiert und macht auch bisher keine Anstalten, in eine Rezession abzugleiten. Für das erste Quartal sagt unser Nowcast-Modell einen Zuwachs von 3,2 % annualisiert voraus. Die Aktienmärkte haben eine Rezession schon gar nicht mehr auf der Rechnung, sondern gehen wahlweise von einer weichen oder gar keinen Landung aus.

Was also ist da los?

Im Vergleich zu früheren Phasen, in denen die Zinsen gestiegen waren, beispielsweise 1994 oder 2007/2008, gibt es gleich einige wichtige Unterschiede. So wurde in den Jahren 2022 und 2023 der Zinsanstieg bei den privaten Haushalten mehr oder weniger komplett aufgefangen durch die staatlichen Transfers, die in den Jahren zuvor im Rahmen der Covid-19 Krise so reichlich geflossen waren. Die Menschen legten dicke Reservepolster an, auf die sie dann in den Zeiten des inflationsbedingten Kaufkraftverlustes zurückgriffen. Unternehmen wiederum hatten sich in der lang anhaltenden Niedrigzinsphase mit langfristigen Anleihen in der Art refinanziert, dass ihre Zinsausgaben im Jahr 2023 kaum merklich stiegen und gegenüber dem Vorcoronajahr 2019 knapp 30 % niedriger ausfielen.

Neu ist auch, dass die Inflation von einem in den letzten 30 Jahren nicht dagewesenen Niveau zurückkommt, während die Löhne in einem ebenfalls in dieser Zeit kaum bekannten Ausmaß gestiegen sind. In der Spitze lag der Lohnzuwachs gemäß der Atlanta Fed Mitte 2022 bei 6,7 % und auch jetzt ist der Lohnzuwachs von 5,0 % immer noch höher als der dreißigjähriger Durchschnitt von knapp 4 %.

Überdurchschnittliche Lohnzuwächse

Während die Überschussersparnisse allmählich abschmelzen, wird der Konsum jetzt also durch eine höhere Kaufkraft unterstützt. Und dazu kommt – einer der wichtigsten Unterschiede überhaupt – ein demografiebedingt enger Arbeitsmarkt, der es den Arbeitnehmern erstens erlaubt, selbstbewusst nach höheren Löhnen zu fragen, und zweitens keine Angst vor Arbeitslosigkeit zu haben. Dies führt dazu, dass unbeschwerter Konsumausgaben getätigt werden, ein weiteres Plus für die US-Wirtschaft.

Dass in diesem Umfeld nicht nur die Aktien, sondern mittlerweile auch die Häuserpreise wieder steigen, befeuert das Ausgabeverhalten von Konsumenten und Unternehmen zusätzlich. Denn der sogenannte Vermögenseffekt – Menschen fühlen sich mit einem Blick auf Ihre Aktienportfolios und der Wertentwicklung ihrer Immobilie reicher – trägt dazu bei, dass mehr ausgegeben wird. Außerdem bedeutet ein boomender Aktienmarkt, dass die Finanzierungsbedingungen bei der Beschaffung von Eigenkapital lockerer werden. Die straffere Geldpolitik wird also konterkariert. Tatsächlich ist der US-Index für die Finanzierungsbedingungen NFCI Ende 2023 unter seinem 30-Jahres-Durchschnitt gefallen.

Geopolitik hilft

Dazu kommen noch geopolitische Entwicklungen, die bislang den USA wirtschaftlich in die Hände gespielt haben. Die in den USA reichlich vorhandenen Energievorkommen haben dazu geführt, dass die durch den Russland-Krieg ausgelöste Knappheit an Erdgas und Öl die Preise nach oben trieben und die Exporte beflügelten. Die mengenmäßigen Öl- und Erdgasexporte hat die USA 2023 gegenüber 2021 um 36% bzw. um 21% ausweiten können. Ein anderer Sektor, der überproportional von den internationalen Krisen profitiert, ist die Rüstungsindustrie. Hier hat die USA an den weltweiten Exporten einen Marktanteil von 40 % und konnte in den vergangenen zwei Jahren überdurchschnittlich viele Aufträge an Land ziehen.

Rezession unwahrscheinlich

Werden die USA ihre konjunkturelle Ausnahmestellung auch in den nächsten Monaten behaupten oder gibt es in den USA unter den gegebenen Umständen keinen Konjunkturzyklus mehr?

Natürlich ist der Konjunkturzyklus nicht tot, aber er könnte milder ausfallen als wir das gewohnt sind. Die höheren Zinsen werden sich irgendwann bemerkbar machen, nur dass die Effekte dieses Mal wegen des lang anhaltenden Niedrigzinsumfelds wesentlich später zum Tragen kommen als früher. In Bezug auf das von den Konsumenten aufgebaute Reservepolster, also die Überschussersparnisse, kann man ein deutliches Abschmelzen feststellen, was sich bald in einer geringeren Konsumdynamik niederschlagen sollte. Wir gehen davon aus, dass dieses Polster, das in der Spitze bei 2,25 Billionen US-Dollar betrug und gemäß unserer Schätzung jetzt bei 0,86 Billionen US-Dollar liegt, bis zum Jahresende weitestgehend abgeschmolzen sein wird. Negative Effekte auf den Konsum dürften schon vorher sichtbar sein. Insbesondere ist davon auszugehen, dass die Sparquote, die zuletzt bei 3,7 % des verfügbaren Einkommens lag, steigen wird. Im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2019 lag die Sparquote bei 5,2 %. Eine Rückkehr zu diesem Wert würde den privaten Konsum belasten, aber nicht abstürzen lassen.

Was aber unseres Erachtens bleibt bzw. sich tendenziell verschärfen wird, ist die demografisch bedingte Arbeitskräfteknappheit. Während sich dieses Problem negativ auf die Produktivitätsentwicklung niederschlägt, dämpft diese Entwicklung negative Reaktionen des privaten Konsums. Denn wenn das Risiko der Arbeitslosigkeit durch eine strukturelle Arbeitskräfteknappheit sinkt, wird es auch unwahrscheinlicher, dass die Wirtschaft eine Abwärtsspirale aus höherer Arbeitslosigkeit, niedrigeren Konsum, weniger Gewinnen und geringeren Investitionen usw. hineingezogen wird.

Und dann ist da noch die Fed, die versuchen wird, durch Zinssenkungen eine Rezession zu verhindern. Wir gehen jedoch davon aus, dass nicht mehr als drei Zinssenkungen in diesem Jahr stattfinden werden, bevor dann die Inflation wieder anzieht und eine weitere Lockerung der Geldpolitik unangemessen erscheinen lassen wird. Aber allein diese Lockerung kann dazu beitragen eine Rezession zu vermeiden.

Risiken gibt es dennoch

Ist somit eine Rezession und vor allem eine etwas tiefere Rezession komplett ausgeschlossen? Nein, in den nächsten 12 bis 18 Monaten liegen im wesentlichen zwei Stolpersteine auf dem Weg. Aktuell ist die Krise im US-Gewerbeimmobilienmarkt zu nennen. Im Frühjahr 2023 wurde durch die Kombination steigender Zinsen und erhöhter Leerstandsraten bei Büroimmobilien eine Krise bei den Regionalbanken ausgelöst, die ein besonders hohes Exposure gegenüber Gewerbeimmobilien haben. Aktuell sind die Regionalbanken erneut unter Beschuss. Die Regionalbank New York Community Bancorp ist von der Ratingagentur Moody’s unter anderem wegen seines hohen Exposures gegenüber Büroimmobilien auf Junk-Status heruntergestuft worden. Die Probleme bei den Gewerbeimmobilien haben sich noch nicht entspannt, trotz der guten konjunkturellen Lage.

US-Wahlen als mittelfristiges Risiko

Das zweite Konjunkturrisiko ist die Präsidentschaftswahl Ende 2024. Im laufenden Jahr wird hier nicht viel passieren, weil die Wahl erst am 5. November und der Regierungswechsel Anfang 2025 stattfinden wird. Sollte Donald Trump die Wahl gewinnen, sind wirtschaftlich ab 2025 eine Mischung aus positiven und negativen Effekten zu erwarten. Die Unternehmen werden sich freuen, dass die von der ersten Trump-Amtszeit stammenden Steuersenkungen für Firmen verlängert werden. Deregulierung, insbesondere die Reduktion von Umweltstandards in der Öl- und Gasindustrie wird den Output in diesem Sektor beflügeln. Belastend könnte im Wesentlichen ein Faktor sein: Handelspolitische Maßnahmen. Trump sagte vor einigen Tagen, dass er neue Zölle gegenüber China erheben werden und diese 60 % überschreiten könnten. Auch wenn heute nur noch rund 11 % der importierten Güter aus China stammen – vor zehn Jahren waren es knapp 20 % – würde die etwa von der Trump-treuen Heritage Foundation geforderte Abkoppelung von China einen wirtschaftliche Schock darstellen. Darüber hinaus muss man sich vermutlich auf eine relativ erratische Wirtschaftspolitik einstellen.

Fazit

Insgesamt gehen wir davon aus, dass sich das Wachstum der US-Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte verlangsamt, aber eine Rezession vermieden werden kann. Ein Konjunkturzyklus dürfte noch erkennbar sein, aber milder ausfallen als in der Vergangenheit, da trotz der konjunkturellen Schwäche nicht mit Massenentlassungen in der Breite zu rechnen ist. Ein Wirtschaftswachstum von knapp 2 % – das ist angesichts eines statistischen Überhangs von 1,3 Prozentpunkten nicht viel – sollte möglich sein.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt

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