Der Wochenkommentar

Die Grenzen der Staatsverschuldung

September 2021 - Staaten geben Milliarden für Infrastruktur, Sozialausgaben, und die Rettung von Unternehmen aus und es wird immer mehr. Wo liegt vernünftigerweise die Grenze der Staatsverschuldung? Letztlich hängt das von der Art der Ausgaben ab, die man mit der Schuldenaufnahme finanziert.

Dr. Cyrus de la Rubia

Eine Milliarde hier, eine Milliarde da, und hast Du Dich nicht versehen, geht es auf einmal um richtig viel Geld. Dieses Zitat stammt vom Everett Dirksen, der in den 1950er und 1960er Jahren US-Senator war. Ersetzt man die Milliarden mit Billionen, passt das nach Peanuts schmeckende Zitat ganz gut auch in unsere Zeit.

So plant die US-Regierung in den kommenden vier Jahren Mehrausgaben von 4,5 Billionen US-Dollar, die amerikanische Notenbank hat in den vergangenen zwölf Monaten 1,6 Billionen US-Dollar an Anleihen erworben, die Europäische Zentralbank lässt sich auch nicht lumpen und hat ihren PEPP-Anleiheankaufrahmen im Dezember 2020 auf knapp 2 Billionen Euro ausgeweitet und die Europäische Union wird im Rahmen des NewGenerationsFunds 0,75 Billionen Euro verteilen. Gibt es denn gar keine Grenzen mehr?

Doch, es gibt Grenzen, und zwar in Form ökonomischer Beschränkungen und sie heißen Ressourcen und Vertrauen. Beides sind knappe Güter und hängen miteinander zusammen. Darüber hinaus gibt es in Gesetze und Verordnungen gegossene Limitierungen. Die europäischen Maastricht-Kriterien, Schuldenbremsen und das Verbot der direkten Staatsfinanzierung durch Notenbanken sind Beispiele dafür.

Inwieweit diese institutionellen Beschränkungen tatsächlich den Handlungsspielraumeinengen, ist jedoch eine Frage des politischen Willens. Diese Grenzen lassen sich – das zeigt die Erfahrung – stets nach außen verschieben.

Ressourcen und Vertrauen

Ab wann die ökonomischen Größen Ressourcen und Vertrauen hingegen zur harten Ausgabengrenze eines Staates werden, wird deutlich, wenn man sich existenzbedrohende Krisen vorstellt – Beispiele sind Klimawandel, Pandemie oder Krieg. Sie können die betroffenen Regierungen veranlassen, alles in die Waagschale zu werfen. So könnten beispielsweise die Länder, die von einem höheren Meeresspiegel bedroht sind, in einer Kraftanstrengung die Deiche widerstandsfähiger machen und aufstocken und dafür entsprechende Schulden aufnehmen bzw. über die Zentralbank finanzieren. Da letztere im Zuge von Anleiheankäufen am Kapitalmarkt das Geld praktisch drucken kann, gäbe es nominal für Ausgaben keine Obergrenze, real jedoch sehr wohl.

Nominal keine Ausgabengrenze

Angenommen, der Ausbau der Deiche müsste innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen werden, da die nächste Sturmflut nicht lange auf sich warten lassen wird. In diesem Fall werden nicht nur sämtliche im Hochwasserschutz tätigen Bauunternehmen mit Milliardenaufträgen überschüttet, sondern auch Firmen hinzugezogen, deren Kernexpertise vielleicht eher im Straßen- oder im Hochbau liegt. Vermutlich werden dann auch Menschen aus anderen Sektoren angeworben, einschließlich hochqualifizierter Ingenieure. Die Löhne dürften zunächst in der Bauwirtschaft steigen und dann auch in anderen Sektoren, weil es dort durch die Umlenkung der Ressourcen in den Deichbau zu Kapazitätsgrenzen kommt. Das Ergebnis ist ein Anstieg der Inflation.

Wenn der Punkt erreicht ist, wo die Erhöhung der staatlichen Nominalausgaben nicht mehr ausreicht, um Ressourcen weiter umzulenken, sondern sich nur noch in Preiserhöhungen niederschlägt, dann ist die Grenze erreicht.

Zweistellige Inflation, die man unter Umständen riskieren muss

Zur Ressourcengrenze gesellt sich jetzt auch der Verlust an Vertrauen, falls die öffentliche Hand an diesen Punkt gelangt, aber trotzdem weitermacht und vergeblich versucht, mit neuen Ausgabenerhöhungen den Deichbau zu beschleunigen. Die Inflation steigt weiter, die betroffenen Landeswährungen verlieren an Wert, wodurch die Preise über teurere Importe einen zusätzlichen Schub erhalten. Damit steigen auch die Zinsen, da die Investoren den Kaufkraftverlust wieder ausgleichen möchten, was wiederum Unternehmen und Banken in Schwierigkeit bringen wird. Der Vertrauensverlust ist da und schränkt den Handlungsspielraum des Staates ganz generell ein.

Vertrauen wird auch immer dann zum limitierenden Faktor, wenn ein Land sich in Fremddevisen oder einer anderen nicht beliebig vermehrbaren Währung wie Gold verschuldet und das Geld in unproduktive Verwendung fließt. Die Schuldenkrisen in Lateinamerika in den 1980er Jahren und die Asienkrise von 1997 unterstreichen dies.

Institutionelle Budgetbeschränkungen haben den Zweck, derartige Vertrauens- und Wirtschaftskrisen zu verhindern. Aber in diesem hier besprochenen Fall des Deichbaus ist es möglicherweise sinnvoll, die Risiken einer zweistelligen Inflation und eines massiven Wertverlustes der heimischen Währung in Kauf zu nehmen, wenn es dafür gelingt, den Deich für die nächste Sturmflut sicher zu machen und zahllose Menschenleben zu retten.

Fazit

Wenn man in normalen Zeiten mit Milliarden und Billionen um sich wirft, ist das fahrlässig und gefährlich. Wenn man im Fall von Jahrhundertkatastrophen institutionelle Budgetbeschränkungen im parlamentarischen Prozess modifiziert und den Handlungsspielraum dadurch erweitert, zeugt dies von Verantwortungsbewusstsein.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

Zum Kontaktformular