Der Wochenkommentar

In der Liquiditätsfalle

Juli 2023 Die zuletzt wieder leicht steigenden Ölpreise sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die OPEC Plus massiv an Einfluss verloren hat und der Ölpreis perspektivisch fallen dürfte.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Die OPEC wird gerne mit einer Notenbank verglichen. Während letztere über die Variation der Geldmenge die Zinsen reguliert, versucht das Ölkartell die Ölpreise zu steuern, indem das Ölangebot verändert wird. Manchmal kommen Notenbanken in eine Situation, wo sie nicht mehr in der Lage sind, über Geldmengenerhöhungen die Zinsen weiter nach unten zu schrauben. Sie befinden sich dann in der Liquiditätsfalle – die Jahre der Nullzinsen lassen grüßen. In einer ähnlichen Falle scheint sich jetzt auch die OPEC zu befinden. Das Bündnis versucht die Ölmenge zu reduzieren, läuft damit jedoch ins Leere, die Ölpreise reagieren nicht wie gewünscht. Vielmehr ist festzustellen, dass die Preise nach der kräftigen Senkung der Produktionsquoten im November letzten Jahres und weiteren freiwilligen Produktionskürzungen gesunken sind, statt zu steigen.

Nachfragerückgang in der Industrie

Hier sind ganz unterschiedliche Faktoren am Werk. Erstens versuchen sich die OPEC Plus (OPEC plus Partner, wozu unter anderem Russland gehört) und Saudi Arabien als Hauptakteur der OPEC mit den von ihnen beschlossenen Kürzungen gegen eine schwächelnde Weltwirtschaft zu stemmen, in der der Durst nach Öl aber gerade abnimmt. Dies gilt umso mehr, als von dem globalen Konjunkturabschwung ganz besonders die Industrie betroffen ist, die für rund ein Drittel des globalen Ölverbrauchs verantwortlich ist. Dass Chinas Öffnung Ende letzten Jahres nur zu einem mäßigen Wachstumsimpuls geführt hat, ist ebenfalls wenig hilfreich, ist das Land mit einem Anteil von etwa 15 % am weltweiten Verbrauch doch ein entscheidender Akteur an diesem Markt.

Instabiles Kartell

Zweitens verliert Saudi-Arabien an Autorität und Durchsetzungskraft innerhalb der OPEC Plus Gruppierung. Das lässt sich unter anderem daran erkennen, dass das Land zuletzt nur freiwillige Förderkürzungen durchsetzen konnte, die unverbindlicher sind als Quotenkürzungen. Das wiederum liegt an der aktuellen schwierigen Gemengelage. Zum einen ist es so, dass die inhärente Instabilität eines Kartells bei fallenden Preisen am stärksten zum Tragen kommt. Denn die meisten OPEC Plus Länder sind auf die Öleinnahmen angewiesen. Wenn diese wegen niedrigerer Preise zurückgehen, dann wäre der normale Impuls, die Fördermenge auszuweiten, um so die Einnahmen zu stabilisieren. Hält man sich an die vereinbarten Fördermengen, schlägt das doppelt ins Kontor: Weniger Menge bei geringeren Preisen. Zum anderen hat Russland angesichts des von ihm gestarteten Angriffskrieges andere Interessen und wahrscheinlich auch einen anderen Zeithorizont als die durchschnittlichen OPEC Plus Länder. Das Land muss durch die Sanktionen und die von den G7-Staaten vereinbarten Preisobergrenzen ohnehin mit einem deutlich unter den üblichen Ölpreisen liegenden Ölbewertungen kalkulieren. Freiwillige Förderkürzungen sagt man unter diesen Umständen zwar zu, um zumindest verbal die Preise zu stabilisieren, aber sich an die Vorgaben halten, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Nachhaltige Zielverfehlung

Drittens befinden sich die OPEC Plus Länder schon seit Mitte letzten Jahres in der ungünstigen Lage, dass sie im Durchschnitt gar nicht mehr in der Lage waren, die Förderquoten zu erfüllen. Im Oktober 2022 sollten die Mitgliedsländer zusammen rund 44 Millionen Barrel pro Tag an Öl fördern. Tatsächlich haben sie nur knapp über 40 Millionen Barrel pro Tag produziert. Als es dann im November 2022 zu einer deutlichen Quotenanpassung nach unten kam, änderte das wenig an der tatsächlichen Förderung, in erster Linie sank die Zielverfehlung. Das ist in etwa so, als ob Ihnen ein Luftgewehr mit einer Reichweite von 80 Metern gegeben wird, um auf ein Ziel zu schießen, das 200 Meter entfernt ist und Ihnen wird jetzt gesagt, dass sie sich auf 150 Meter dem Ziel nähern sollen. Das Ziel werden sie in keinem der beiden Fälle treffen, sie nähern sich ihm nur an.

Des einen Leid ist des anderen Freud

Viertens ist natürlich festzustellen, dass andere Länder außerhalb von OPEC Plus nicht untätig zuschauen. Im Grunde genommen reiben sich die anderen Produzenten die Hände: Soll das Ölkartell doch ruhig seine Förderquoten zurückfahren, sie können dann spiegelbildlich Marktanteile gewinnen. Tatsächlich ist seit November die Produktion von OPEC Plus um rund 2 Millionen Barrel pro Tag gefallen, die Förderung der übrigen Länder dürfte - die Datenlage ist hier leider unvollständig - in einem ähnlichen Ausmaß gestiegen sein. Und die USA haben sich auch erfolgreich gegen die Verknappung von Erdöl gewehrt, in dem sie zeitweise einen Teil ihrer strategischen Ölreserve freigegeben haben.

Wann kommt der Kipppunkt?

Und schließlich ist die Politik dabei, das Ende der fossilen Brennstoffe einzuleiten. Am deutlichsten sieht man es bei uns auf den Straßen, wo immer mehr E-Autos fahren. Bedenkt man dass der Transportsektor etwa 60 % des weltweiten Öls verbraucht, sorgt der Trend hin zu mehr E-Mobilität zu einem Rückgang der Ölnachfrage oder zumindest zu einem langsameren Nachfragewachstum. Wird von den Ölproduzenten realisiert, dass das Öl irgendwann wertlos werden könnte, wäre es gut möglich, dass einige Staaten in Torschlusspanik „auf Deubel komm‘ raus“ versuchen, das Öl aus dem Boden zu holen, der Ölmarkt könnte dann zeitweise kollabieren. So weit sind wir noch nicht, aber wann genau dieser Kipppunkt erreicht wird, vermag auch niemand genau zu sagen.

Zurück zur Liquiditätsfalle. Ganze zehn Jahre war die Eurozone mehr oder weniger in der Liquiditätsfalle gefangen, nachdem die Einlagenzinsen sogar in den negativen Bereich geschraubt worden waren. Kann das auch am Ölmarkt passieren? Vieles spricht dafür. Das größte Risiko besteht darin, dass die Investitionen im Ölsektor massiv zurückgefahren werden, so dass es immer wieder zu Phasen von Ölknappheiten kommen kann. Eine nachhaltige Befreiung aus der Falle erwarten wir für den Ölsektor jedoch nicht.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt

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