Der Wochenkommentar

Industriestrompreis: Besser ist das

August 2023 Die Industrie macht Lobby für einen Industriestrompreis, in seltener Einigkeit sprechen sich auch die Gewerkschaften für eine derartige Maßnahme aus. Tatsächlich spricht vieles für diese Forderung.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Die Wellen schlagen hoch bei der Debatte rund um einen subventionierten Industriestrompreis. Bundeskanzler Olaf Scholz lehnte diesen kürzlich dezidiert ab und ist sich dabei mit der FDP einig. Gewerkschaften und Arbeitgeber, aber auch die Grünen und die SPD-Fraktion sind dafür, ebenso Hendrik Wüst, CDU-Ministerpräsident von NRW. Man sieht, dass die politischen Farben hier etwas durcheinander geraten. In der Tat kommt man hier mit einem einfachen Schwarz-Weiß-Denken nicht weiter.

Das geplante Maßnahmenpaket

Konkret schlägt das Bundeswirtschaftsministerium unter Robert Habeck von den Grünen vor, dass ein sogenannter Brückenstrompreis von 6 Cent/Kwh ausschließlich energieintensiven Industrieunternehmen zugute kommen soll, die im internationalen Wettbewerb stehen. Die chemische Industrie sowie die Stahl-, Metall-, Glas- und Papierindustrie sind hier als typische Vertreter zu nennen. Dazu sollen noch die Branchen, die den klimaschonenden Umbau vorantreiben, also die Produzenten von Windrädern, Solaranlagen, Speicherkapazitäten usw. ebenfalls in den Genuss dieser Subventionen kommen. Dieser Brückenstrompreis soll spätestens 2030 automatisch auslaufen, wenn dann – so die Idee des Wirtschaftsministers – das Stromangebot durch andere Maßnahmen so weit hochgefahren wurde, dass die Marktpreise sich wieder normalisiert haben. Vorgesehen ist außerdem, dass der subventionierte Strompreis nur für 80 % des Verbrauchs gilt, um den Anreiz zum Energiesparen aufrecht zu erhalten. Diese Struktur nimmt dem Gegenargument etwas Wind aus den Segeln, wonach die ungebremste Nachfrage der deutschen Firmen die Preise in der gesamten EU nach oben treiben würden. Die SPD-Fraktion hat kürzlich einen leicht modifiziertes Konzept vorgelegt, dass einen Strompreis von 5 Cent/Kwh vorsieht, der bereits nach fünf Jahren automatisch auslaufen soll.

Die Unternehmen erhalten also für bis zu 80 % ihres Verbrauchs – dieser muss noch definiert werden – die Differenz zwischen dem Börsenstrompreis und den 6 Cent/Kwh. Derzeit gilt für die Industrie generell ein Strompreis von 13 Cent/Kwh für 70 % des Vorjahresverbrauchs. Diese Regelung soll allerdings Ende des Jahres auslaufen.

Brücke ins Nichts?

Die Gegner eines Brückenstrompreises behaupten, dass diese Brücke niemals enden wird. Letztlich gehen sie davon aus, dass die Energiepreise in Deutschland dauerhaft hoch bleiben werden. Dies sei darauf zurückzuführen, dass Deutschland kein sonnen- und windreiches Land sei – norddeutsche Bundesländer sehen Letzteres anders – und der Bedarf an erneuerbarer Energie in den nächsten Jahrzehnten weiter steigen wird, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. Dies ist unseres Erachtens etwas zu kurz gesprungen. Es ist möglich, dass die Energiepreise in den nächsten Jahren im Zuge der Umstellung der Wirtschaft auf eine klimaneutrale Produktion auf einem höheren Niveau bleiben werden als in den 2010er Jahren. Das ist aber grundsätzlich ein globales Phänomen, auch die USA haben das Pariser Klimaabkommen unterschrieben. Es kommt darauf an, ob die Preisdifferenz zu anderen Ländern zunimmt oder abnimmt, weil dies die Wettbewerbsfähigkeit beeinflusst. Und da kommt der zweite Punkt ins Spiel.

Integrierter Strommarkt

Die Tatsache, dass in Deutschland die Sonne nicht so häufig scheint wie in Spanien, heißt nicht, dass sich die Strompreise hierzulande von denen in Südeuropa zu unserem Nachteil abkoppeln werden. Vielmehr haben wir es in der EU mit einem zunehmend integrierten Strommarkt zu tun. Deutschland importiert Strom beispielsweise aus Frankreich und Dänemark, unser südlicher Nachbar bezieht häufig auch seinerseits einige Milliarden Kilowattstunden aus Deutschland, wenn hierzulande ein Überschuss entsteht und in Frankreich mal wieder die Hälfte der Atomkraftwerke abgeschaltet ist. Auf diese Weise gibt es einen gewissen Gleichlauf bei den Strompreisen, auch wenn es insbesondere durch unterschiedliche Steuern und Abgaben verschiedene Preisniveaus gibt. Kurz: Wenn beispielsweise Spanien seine Sonnenenergiekapazitäten ausbaut, kommt das auch Deutschland zugute. Dazu kommt, dass beim Ausbau der erneuerbaren Energien und der Nord-Südtrassen viel Luft nach oben ist. Genau hier will das Wirtschaftsministerium auch ansetzen.

Abwanderung verhindern

Im Idealfall sieht es also folgendermaßen aus: Die energieintensive Industrie stellt ihre teilweise schon geäußerten Abwanderungspläne zurück, weil sie mit einem Brückenstromtarif von 6 Cent/Kwh gut leben kann. Im Zuge eines aggressiven Ausbaus der erneuerbaren Energien, der Speicherkapazitäten und der Stromtrassen – hierzulande und vermutlich auch im Rest der EU – kommt es zu einer Reduktion des Börsenstrompreises, so dass in einigen Jahren die Subvention überflüssig wird. Die entsprechenden Unternehmen würden dann auch nach dem Auslaufen der Subventionen in Deutschland bleiben. Das schlechteste Szenario wäre, dass die Subventionen gezahlt werden, die Energiewende aber nicht in dem Maße und der Schnelligkeit vorankommt, wie angestrebt. Die Börsenstrompreise würden hoch bleiben oder sogar steigen, während außerhalb Europas das Stromangebot steigt und die Preise dort sinken. Schon vor dem Auslaufen des subventionierten Strompreises würden vermutlich viele energieintensive Firmen die Reißleine ziehen und sich nach alternativen Standorten umschauen. Der ganze Aufwand wäre umsonst gewesen und der Schuldenberg wäre weiter gewachsen.

Wie wird es kommen? Niemand weiß es. Sicher ist aber, wer auf der Anklagebank sitzt, wenn es zu einer größeren Abwanderung der Industrie kommt: Die „Politik“ und das Urteil wird besonders hart ausfallen, sollten die Strompreise in den nächsten Jahren wieder gefallen sein. Denn dann wäre die Abwanderung vermeidbar gewesen und die veröffentlichte Meinung wird fragen: Wie konnte man nur?

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt

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