Der Wochenkommentar

Keine Angst vor Decentralized Finance

Januar 2024 Bitcoin ist derzeit wegen der Zulassung als Spot-ETF in den USA in aller Munde. Wichtiger erscheint uns aber, dass die Kryptowährung ein Gradmesser für die Zukunftsaussichten des gesamten Kryptosektors einschließlich der DeFi-Protokolle ist.

Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Bitcoin hat einen turbulenten Jahresstart erwischt. Der Kurs ist zeitweise auf knapp 48.000 US-Dollar gestiegen, nachdem die SEC auf X verkündet hatte, dass der lang ersehnte Spot ETF auf Bitcoin genehmigt worden sei. Es stellte sich wenige Minuten später heraus, dass der Account der SEC gehackt worden war, woraufhin der Kurs wieder einbrach. Am nächsten Tag kam es aber dann tatsächlich zu der ETF-Genehmigung. Wie dem auch sei: Es geht hier nicht einfach nur um die Frage, ob man jetzt in Bitcoin investieren sollte. Vielmehr ist Bitcoin ein Gradmesser für die Zukunftsaussichten des gesamten Kryptosektors. In diesem Zusammenhang ist auch zu fragen, ob Banken bei einer weiteren Expansion von Decentralized Finance Protokollen (DeFi) diese als Konkurrenz oder als Ergänzung zu ihrem traditionellen Geschäftsmodell verstehen sollten.

Bitcoin misst den Puls des Kryptosektors

Dass der Bitcoin-Preis gerne als Gradmesser für den gesamten Kryptosektor gewählt wird, hat neben der Tatsache, dass Bitcoin die mit Abstand größte Marktkapitalisierung unter den zahllosen Kryptowährungen hat, mehrere Ursachen.

Erstens liegt es ganz einfach darin begründet, dass die Aufmerksamkeit für diesen Sektor umso größer ist, je mehr Menschen davon berichten, dass sie mit ihren Investments in Bitcoin reich geworden sind. Das steckt an. In diesem Zuge begeben sich die Investoren auf die Suche nach Kryptoassets, die den Erfolg von Bitcoin wiederholen könnten. Beispielsweise bewegt sich der Wert von Ether, der zweitwichtigsten Kryptowährung, in weiten Teilen parallel zu Bitcoin.

Zweitens profitieren die zentralisierten Kryptobörsen, die trotz der FTX-Pleite in 2022 derzeit noch einen wichtigen Teil des Krypto-Ökosystems ausmachen, von dem Preisaufschwung. Privatanleger möchten an den Gewinnen partizipieren und der bequemste, wenn auch nicht unbedingt sicherste Weg, besteht darin, an einer der bekannten Kryptobörsen – beispielsweise Coinbase, Binance oder in Deutschland Bison – Bitcoin und andere Kryptowerte zu erwerben.

Decentralized Finance gewinnt an Attraktivität

Drittens kommt der höhere Bitcoinpreis auch den Decentralized Finance Protokollen (DeFi) zugute, in denen Kryptowerte unter anderem verwahrt, gehandelt und gestaket werden können. Steigende Kryptokurse heizen die Transaktionshäufigkeit bzw. die Nutzung dieser Protokolle an, während der Wertgewinn der Kryptoassets zusätzlich dazu führt, dass die von den DeFis verwalteten Kryptowerte steigen und damit auch der Wert der den jeweiligen DeFis zugeordneten Coins. Tatsächlich ist kürzlich der Total Value Locked von DeFi-Anwendungen wieder über 50 Mrd. US-Dollar gestiegen, vor einem halben Jahr lag dieser Wert noch unter 40 Mrd. US-Dollar. Dass der Bitcoin-Kurs die Aufmerksamkeit für den DeFi-Sektor erhöht, liegt auch daran, dass Bitcoin als das erste DeFi begriffen werden kann. Während DeFi wie Compound und Aave es erlauben, ohne Intermediär Kryptowerte anzulegen oder besicherte Kredite aufzunehmen, bietet die Bitcoin-Blockchain ein recht einfaches Produkt an: Es ermöglicht grundsätzlich, mit Bitcoin Zahlungen durchzuführen (was bislang relativ wenig geschieht) sowie Bitcoin als Wertaufbewahrungsmittel einzusetzen. Letzteres ist die dominierende Funktion dieser DeFi-Anwendung.

Konkurrenz oder Komplementarität?

Die Dynamik bei den DeFi-Protokollen steht noch ganz am Anfang. Ein Vergleich macht das deutlich: Der Total Value Locked aller globalen DeFi-Anwendungen liegt bei nicht einmal 0,5% der aggregierten Bilanzsummen der deutschen Kreditinstitute. Man kann daher derzeit noch nicht ernsthaft davon sprechen, dass DeFi den Kreditinstituten das Wasser abgräbt. Oder doch? Am Arbeitsmarkt ist die Lage tatsächlich gar nicht so eindeutig. Hier kommt es immer wieder vor, dass Bewerber:innen ein Blockchain Start-up einer Bank mit ihrem grundsätzlich konservativen Ruf vorziehen. Ebenso ist es kein Einzelfall, dass Bankmitarbeiter:innen in den Kryptosektor wechseln.

Man kann jedoch in keinster Weise beobachten, dass Gewinnmargen der Banken durch DeFis unter Druck geraten oder dass gar ein negativer Einfluss auf die Geschäftsvolumina zu spüren wäre. Gedanken machen sollte man sich dennoch genau darüber. Denn die Geschäftsmodelle von zahlreichen DeFi-Anwendungen bieten im Prinzip das an, was klassische Kreditinstitute in ihrem Portfolio haben: Die Aufnahme von Krediten und die Refinanzierung über Einlagen. Der feine Unterschied besteht darin, dass man bei DeFis ausschließlich Kryptokredite aufnehmen und Kryptoassets anlegen kann. Nur, wie groß bleibt dieser Unterschied, wenn man etwas in die Zukunft denkt und dabei feststellt, dass rein technisch gesehen alle Wertpapiere und selbst Immobilien und andere Vermögenswerte auf der Basis der Blockchaintechnologie tokenisiert werden können? Wenn also Vermögenswerte in einzelne beliebig kleine digitale Einheiten auf der Blockchain geteilt, gehandelt und verwahrt werden?

Regulierung und Mangel an Anwenderfreundlichkeit

Die wichtigsten Gründe dafür, dass dies nur in wenigen Ländern in einem nennenswerten Ausmaß geschieht, sind die Regulierung, ein gewisses technisches Hinterherhinken sowie das Beharrungsvermögen, das jahrzehntelang eingeübte Prozesse mit sich bringt. Die deutsche Finanzaufsicht Bafin hat zwar die Tokenisierung von festverzinslichen Wertpapieren bereits 2021 ermöglicht, aber hat sich bei Aktien nur dazu durchgerungen, Namensaktien tokenisierbar zu machen. Immobilien könnten erst dann sinnvoll tokenisiert werden, wenn die Grundbücher auf der Blockchain sind – die Digitalisierungsfortschritte in Deutschland lassen grüßen. Dazu kommt, dass die DeFi-Anwendungen für technisch weniger affine Menschen schwer zugänglich sind, das muss und wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit ändern. Dies ist sicherlich auch ein Grund dafür, warum der Widerstand, sich auf die neue Technologie einzulassen, auf Seiten von Finanzinstituten relativ groß ist.

Chance für Banken

Neben der Frage nach dem Wettbewerb geht es für Kreditinstitute in Zukunft aber um etwas Spannenderes: Wie kann die Blockchaintechnologie von Kreditinstituten als Ergänzung zum eigenen Geschäftsmodell genutzt werden, statt sie nur als Bedrohung zu sehen? Banken könnten in Zukunft ihren Kunden anbieten, Investitionen nicht nur über Kredite, klassische Anleihen und Aktien zu finanzieren. Vielmehr können sie ihre Kunden dabei beraten, über Kryptokredite beispielsweise tokenisierte Windkraftanlagen oder tokenisierte Containerfrachter zu finanzieren. Für die Beratung und – wenn gewünscht – die Umsetzung ergeben sich neue Einnahmequellen. Bei ihren Kunden punkten können Banken auch, wenn sie ihren Kunden ermöglichen, Wertpapiertransaktionen über die Blockchain abzuwickeln und dafür eine entsprechende Stablecoin als Settlement-Währung zur Verfügung stellen. Bei der Verwahrung der Wertpapiere können Banken ihren Kunden günstigere Konditionen bieten als derzeit im Rahmen der Girosammelverwahrung der Fall ist. Und auch die Refinanzierung von Banken kann auf eine breitere Basis gestellt werden. Dies hat die französische Bank Société Générale vorgemacht, in dem sie Liquidität in Form von Stablecoins, besichert mit eigenen tokenisierten Wertpapieren, bei einer DeFi besorgt hat.

Grundlage für die Welt von morgen

Bei aller Kritik, die die Kryptowelt auf sich zieht, sollte man zwei Dinge nicht übersehen: Erstens, echte dezentralisierte Anwendungen waren von den Betrugsskandalen der vergangenen Jahre nicht betroffen. Das hängt mit dem hohen Grad an Transparenz zusammen, den DeFi-Protokolle aufweisen. Zweitens, sämtliche tokenisierten Vermögenswerte können auf der jetzt im Aufbau befindlichen Infrastruktur finanziert, gehandelt und verwahrt werden. Mit anderen Worten: Mit den Blockchains und Kryptoanwendungen von heute wird die Infrastruktur für die Finanzwelt von morgen aufgebaut. Diese Infrastruktur wird umso rascher ausgebaut werden, je stärker Bitcoin im Kurs steigt.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt

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