Der Wochenkommentar

Klimawandel: Keine Ausreden mehr

September 2023 Es brennt an allen Ecken und Kanten. Dennoch verspürt die Politik keinen allzu großen Handlungsdruck, den Klimawandel zu bekämpfen. Warum ist das so?
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Die verheerenden Waldbrände in Griechenland, Kanada und Hawaii, die Hitzerekorde in diesem Sommer, ausgetrocknete Böden sowie die Häufung von Starkregenereignissen wie etwa in Spanien zeigen eines: Der Klimawandel hat exakt die Auswirkungen, die bereits seit Jahrzehnten auf jeder Klimakonferenz prognostiziert wurden. Eigentlich müsste die Politik jetzt "all-in" gehen und alle Ressourcen darauf konzentrieren, um den Klimawandel zu bremsen. In der Bevölkerung müsste sich die Erkenntnis durchsetzen, dass jetzt gehandelt werden muss, dass es keine Ausreden mehr gibt. Genau das geschieht jedoch nicht. Stattdessen finden in der Politik Machtspielchen statt, Parteien, die den Klimawandel leugnen, bekommen in Europa erheblichen Zulauf, und die – verständlicherweise umstrittenen – Klimakleber werden zum Staatsfeind Nummer 1 erkoren. Derweil bescheinigt der parteipolitisch unabhängige Expertenrat für Klimafragen, dass die Bundesregierung sowohl bei der Wärme- als auch der Mobilitätswende ihre selbst gesteckten Ziele deutlich verfehlt.

Politik kann eh‘ nichts ausrichten

Was ist da los? Der Klimawandel hat zwei Eigenschaften, mit denen die meist kurzfristig kalkulierende Politik nur schwer umgehen kann: Er ist erstens global und er reagiert zweitens auf heutige Maßnahmen mit einer Verzögerung von vielen Jahren. Dies passt scheinbar nicht zu dem Bestreben von Politiker:innen, bei der nächsten Wahl wiedergewählt zu werden.

Warum soll die Politik für Deutschland Umweltgesetze durchsetzen, die die Wirtschaft und die Menschen belasten, wenn China gleichzeitig den Bau mehrerer dutzend Kohlekraftwerke ankündigt und Deutschland ohnehin „nur“ für rund 2 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist, so wird gerne explizit oder implizit argumentiert.

Ähnlich ist die Argumentation beim zweiten Punkt: Selbst wenn die ganze Welt von heute auf morgen den CO2-Ausstoß auf Null reduziert, würde dies den Klimawandel erst in mehr als einem Jahrzehnt beginnen zu bremsen. Warum soll man sich jetzt also ins Zeug legen, Verzicht predigen und damit Wähler vergraulen?

Die üblichen Ausreden

Beide Argumente sind hochgradig problematisch. Das erste übersieht unter anderem, dass Deutschland aus gutem Grund dem Pariser Klimaschutzabkommen beigetreten ist und sich insofern verbindlich zu den Klimazielen verpflichtet hat. Denn nur mit einem multilateralen Ansatz lässt sich der global wirkende Klimawandel in Grenzen halten. Wenn jetzt sehenden Auges auf eine Zielverfehlung zugesteuert wird, beschädigt dies das Abkommen generell und das Ansehen Deutschlands. Wenn einzelne Politiker versuchen sich herauszureden, indem sie wahlweise darauf verweisen, es mangele an Geld, man wolle die Inflation nicht weiter nach oben treiben oder man müsse technologieoffen sein, dann ist dies nicht mehr als ein politisches Manöver. Denn tatsächlich geht es hier nicht in erster Linie um Geld, Inflation oder Technologie, sondern um den politischen Willen.

Stranded Assets

Die Argumentation hinkt nicht nur wegen der internationalen Verpflichtung, die unser Staat eingegangen ist. Auch wirtschaftliche Gründe sprechen dringend dafür, die Klimawende mit hohem Tempo voranzutreiben. Unternehmen, die an fossilen Strategien festhalten, werden aller Voraussicht nach ins Hintertreffen geraten und als „Stranded Assets“ nach und nach aus den Portfolien der institutionellen Anleger herausgefiltert werden. Oder nehmen Sie das Beispiel Immobilien. Ungedämmte schlecht isolierte Gebäude lassen sich nur noch mit hohen Abschlägen oder gar nicht mehr verkaufen. Kurz: Nachhaltigkeit wird zunehmend eine Grundvoraussetzung sein, um am Markt zu bestehen. Damit ist auch klar, dass Technologien und Investitionen, die eben zu dieser Nachhaltigkeit beitragen können, heute massiv gefördert werden sollten, um im internationalen Wettbewerb die Nase vorne zu haben.

Mal sind es die Lieferketten, mal die hohen Zinsen

Auch das Argument, mehr Investitionen würden die Inflation antreiben, greift zu kurz. Schaut man sich die Preisentwicklung an, dann herrscht bei vielen Gütern derzeit tatsächlich Deflation, denn die Lieferketten haben sich entspannt und der Post-Corona-Nachfrageboom nach Fitnessgeräten, Gartenmöbeln und neuen Küchen ist vorbei. Natürlich werden auch Arbeitskräfte benötigt, wenn mehr investiert werden soll und das kann grundsätzlich zu höheren Löhnen führen. Im Bausektor, der in diesem Zusammenhang stärker in Anspruch genommen werden dürfte, werden jedoch derzeit Menschen entlassen. Insgesamt dürfte in der jetzigen konjunkturellen Situation der durch die zusätzlichen Investitionen entstehende Preisdruck schwach sein bzw. überschaubar bleiben.

An die zukünftigen Generationen denken

Gerne wird auch darauf verwiesen, dass die Zinsen jetzt ja so hoch seien und die öffentlichen Haushalte übermäßig belasten würden. Abgesehen davon, dass Deutschland sich jahrelang geweigert hat, das lange bestehende Negativzinsumfeld für eine massive Investitionsoffensive zu nutzen, muss man nicht so tun, als ob das höhere Zinsniveau eine vorübergehende Erscheinung sei. Wir gehen vielmehr davon aus, dass die Europäische Zentralbank den Leitzins bis Ende 2024 auf dem derzeitigen Niveau von 4,25 % oder sogar etwas höher belässt und die langfristigen Renditen noch etwas Luft nach oben haben. Wir sollte uns an der Zinsfront an ein „New Normal“ gewöhnen.

Aber was ist mit der Verschuldung? Läuft die nicht vollkommen aus dem Ruder, wenn wir heute schuldenfinanzierte Klimainvestitionen tätigen und künftige Generationen dann mit den hohen Belastungen zurechtkommen müssen? Nein, im Gegenteil. Wenn wir nicht handeln, werden es uns künftige Generationen sicher nicht danken, dass sie Jahr für Jahr steigende klimabedingte Schäden in Milliardenhöhen beseitigen müssen.

Nicht alles ist schlecht

Nun ist es sicher nicht richtig, an dieser Stelle nur über das zu schreiben, was unterlassen wurde. Einiges ist durchaus passiert. Die EU hat beispielsweise mit dem EU Next Generation Programm, das Investitionen zum Klimaschutz und in die Digitalisierung mit insgesamt 750 Milliarden Euro fördert, einen wichtigen Aufschlag gemacht. Auch in Deutschland tut sich einiges in Bezug auf die Installation von Windkraft- und Solarkraftwerken und in anderen Staaten bewegt sich ebenfalls etwas. Ganz offensichtlich reichen die Maßnahmen aber bei weitem nicht aus, um die vereinbarten Reduktionen beim CO2-Austoß zu erreichen. Die Prozesse müssen auf nationaler und europäischer Ebene deutlich beschleunigt werden. Die beherzten Maßnahmenpakete, die nach der Finanzmarktkrise von 2008/2009, nach dem Ausbruch von Corona und auch als Reaktion auf den Ukraine-Überfall durch Russland durchgesetzt wurden, zeigen, dass die Politik kann, wenn sie will. Vielleicht haben die derzeitigen klimabedingten Wetterkatastrophen ja doch noch ihr Gutes und lösen entsprechendes Handeln aus.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt

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