Der Wochenkommentar

Mehr auf Löhne und weniger auf den Sommer achten

Januar 2024 Christine Lagarde versucht Spekulationen über frühzeitige Zinssenkungen zu dämpfen. Sie könnte es geschickter tun.

Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Wann wird’s mal wieder (richtig) Sommer? Diese Frage stellt sich nicht nur angesichts des gefühlt ewigen Winters, sondern auch wegen einer Äußerung der EZB-Chefin Lagarde. Sie sagte nämlich eine gute Woche vor der nächsten EZB-Sitzung am 25. Januar, dass die Märkte zu optimistisch seien und eine Zinssenkung nicht vor dem Sommer kommen werde. Schaut man sich die aus den Forward-Sätzen abgeleitete Zinserwartungen an, dann hatten diese kurz vor der Äußerung von Lagarde noch eine erste Zinssenkung bereits im März antizipiert. Nach der Äußerung wurde die Zinssenkung von den Terminmärkten auf den April verschoben.

Die erste Sitzung im Sommer ist am 18. Juli. Unsere Erwartung ist bislang, dass die EZB im Juni agiert. Hier findet die Sitzung am 6. des Monats statt und sie hätte den Vorteil, dass anlässlich dieser Sitzung auch neue Projektionen der EZB-Experten präsentiert werden. Aber es ist später Frühling und würde daher nicht zu den jüngsten Äußerungen von Lagarde passen. Nun gibt es mehrere Möglichkeiten, wie die Äußerungen von Lagarde zu verstehen sind. Erstens ist zu fragen, wie verbindlich die Aussage der Notenbankpräsidentin tatsächlich ist. Es handelt sich nicht um eine Forward Guidance, sondern um eine interpretierbare Äußerung von Lagarde in einem Interview. Die Äußerung hat Gewicht, aber man sollte sie auch nicht überbewerten. In der Tat hat Lagarde sich auch nicht komplett festgelegt, sondern sie sagte wörtlich auf die Frage, ob sie mit ihren Kolleg:innen, die eine Zinssenkung im Sommer signalisiert hätten, übereinstimme: „Ich würde sagen, das ist wahrscheinlich, aber ich muss etwas zurückhaltend sein“. Die zweite Möglichkeit ist, dass man erst im Spätsommer bzw. bei der Sitzung am 12. September agiert, das würde zu der Lagarde-Bemerkung passen. Die dritte nicht ganz ernst gemeinte Alternative ist schließlich ein sommerlicher Juni, der es Lagarde erlaubt quasi ohne Wortbruch die erste Zinssenkung durchzuführen.

Natürlich hat Lagarde ein wichtiges Anliegen. Sie will die Spekulation einer frühzeitigen Zinssenkung bremsen, weil eben diese zu großzügigeren Finanzierungsbedingungen führt, was dann wiederum die Konjunktur und die Inflation anheizen könnte. Man muss aber auch feststellen, dass Lagardes Äußerungen zu Überlegungen führen, die von den eigentlichen wichtigen Faktoren ablenken.

Hört man den anderen EZB-Mitgliedern zu, dann wird klarer, worauf jetzt besonders stark zu achten ist, es ist die Lohnentwicklung. Chefvolkswirt Lane sagte, „bis zur Juni-Sitzung werden wir diese wichtigen [Lohn-]Daten haben“. Auch der belgische Notenbankchef Pierre Wunsch sowie das Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel argumentierten in diese Richtung. Weiter ist aus den Reden der EZB-Mitglieder zu erkennen, dass der jüngste Wiederanstieg der Inflation im Dezember nicht auf die leichte Schulter genommen wird. Zwar sind recht eindeutig identifizierbare einmalige Effekte zu erkennen – im Dezember waren das in Deutschland Basiseffekte wegen der Preisentlastung bei Strom und Gas vor einem Jahr gewesen, im Januar kommen nach unseren Berechnungen unter anderem wegen der höheren Mehrwert- und CO2-Steuer rund 0,4 Prozentpunkte auf die Jahresinflation dazu. Man fürchtet jedoch, dass neue Effekte dazukommen könnten – ein Ölpreisschock ist jederzeit möglich – und der Inflationsrückgang sich dann doch noch weiter verzögert. Das hat man 2022/23 erlebt und man möchte nicht ein weiteres Mal in eine derartige Situation laufen. Eine ausführliche Auswertung der jüngsten Äußerungen der EZB-Mitglieder können Sie in unserer Publikation „ECB Watcher“ nachlesen, die morgen (19.01.) in Vorbereitung auf die EZB-Sitzung erscheinen wird.

Rudi Carrells Sommersong war 1975 der große Hit. 1975 war in Deutschland ein Rezessionsjahr, aber das sollte uns an dieser Stelle nicht weiter irritieren. Denn die Rezession haben wir möglicherweise schon hinter uns, nachdem das BIP im dritten und vierten Quartal 2023 gefallen ist. Wir erwarten für 2024 ein moderates Wachstum und von der EZB zwei Zinssenkungen, die zweite davon im Spätsommer.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt

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