Der Wochenkommentar

Mit schwerem Gepäck nach China

März 2024

Olaf Scholz reist mit einer Delegation von Wirtschaftsvertretern nach China. Ihm steht ein Drahtseilakt bevor, denn geopolitisch sind die Fronten verhärtet - ökonomisch ist man in Deutschland aktuell mehr denn je auf gute Handelsbeziehungen ins Reich der Mitte angewiesen.

Ein Kommentar von Dr. Tariq Chaudhry

Dr. Cyrus de la Rubia

Wörtlich genommen mag es stimmen, dass Reisen mit leichtem Gepäck angenehmer sind, aber Bundeskanzler Olaf Scholz wird bei seiner zweiten Auslandsreise nach Fernost am 15. April 2024 wohl mit äußerst schwerem Gepäck nach Peking und Shanghai reisen. Schon vor der Pandemie waren China-Reisen nicht unbedingt von Leichtigkeit geprägt, insbesondere seit den Enthüllungen über Xinjiang und dem Umgang Chinas mit den Protesten in Hongkong. Nun hat sich zu all dem eine zunehmende Rivalität zwischen den der EU und USA gegenüber China entwickelt, die es noch schwieriger macht, diese Beziehung rein ökonomisch zu betrachten. Trotz dieser zunehmenden Rivalität ist das Interesse der deutschen Wirtschaft an China weiterhin sehr hoch. Zwölf Wirtschaftsvertreter werden den Bundeskanzler auf der zweitägigen Reise nach China begleiten. Der Andrang auf die Plätze war groß, da China sowohl als Produktions- und Absatzmarkt nach wie vor attraktiv ist. Zudem ist und bleibt China ein politisch autoritär geführter Staat, in dem der Marktzugang für ausländische Firmen stark vom Wohlwollen der chinesischen Führung abhängt.

Wirtschaft setzt weiter auf China

Das starke Interesse der deutschen Wirtschaft, Scholz auf seiner Reise nach China zu begleiten, verdeutlicht, dass hierzulande zumindest in der Wirtschaft wenig vom sogenannten "De-Risking" zu sehen ist, also Maßnahmen zur Identifikation und Auflösung einseitiger Abhängigkeiten. Vor allem deutsche Autohersteller und Chemiekonzerne sind jüngst mit ausgebauten Investitionen in China aufgefallen. Es ist nicht allzu lange her, dass Deutschland innerhalb der EU nach Ausbruch des Russland-Ukraine-Krieges enorme wirtschaftliche Einbußen verkraften musste, bedingt durch die starke politische und wirtschaftliche Verflechtung mit der russischen Wirtschaft. Bisher scheinen deutsche Unternehmer dies nicht als Präzedenzfall im Umgang mit China zu betrachten und proaktiv umfangreich zu diversifizieren. Der Business Confidence Survey der AHK für die Jahre 2023/2024 kommt sogar zum Schluss, dass die überwältigende Mehrheit der deutschen Unternehmen sektorübergreifend entweder ihre aktuellen Investitionen in China halten oder sogar mehr investieren möchte. Nur etwa jedes fünfte Unternehmen plant, in den kommenden zwei Jahren Investitionen aus China abzuziehen.

China bleibt wichtig

Daher bleiben die makroökonomischen Abhängigkeiten zwischen Deutschland und China weiterhin beträchtlich. Laut statistischen Auswertungen von DeStatis war China im Jahr 2023 zum achten Mal in Folge der wichtigste Handelspartner Deutschlands mit einem Handelsvolumen von knapp 255 Mrd. €. Auch in Bezug auf Importe stehen deutsche Unternehmen hoch im Kurs bei China, mit Waren im Wert von 157 Mrd. € im Jahr 2023. Hingegen hat China für die Ausfuhren deutscher Waren an Bedeutung verloren. Seit 2022 ist China nur noch die viertwichtigste Exportdestination für Deutschland mit einem Volumen von etwa 98 Mrd. €. Wie aus dem Survey der AHK deutlich wird, hat die Abnahme der Bedeutung Chinas für deutsche Unternehmen weniger mit geopolitischen Spannungen zwischen China, den USA und der EU zu tun. Stattdessen setzen immer mehr deutsche Firmen auf Lokalisierung "in China für China". Auch die aktuelle Nachfrageschwäche in der zweitgrößten Ökonomie der Welt spielt dabei eine Rolle. Daher ist der Importüberschuss Deutschlands zwar 2023 auf einem historisch hohen Niveau von 59 Mrd. € gelandet, aber im Vergleich zum Rekordniveau von 86 Mrd. € von 2022 deutlich abgeschwächt.

Politik unter Druck

Es gibt bereits erste Anzeichen dafür, dass die Regierung in Berlin die komplexe Natur der Beziehung zu Peking erkannt hat, welche weit über wirtschaftliche Interessen hinausgeht. Die Bundesregierung hatte im Sommer 2023 eine China-Strategie vorgelegt, die zu der Zeit als fortschrittlich und mutig ausgelegt wurde. Darin bekräftigte Berlin die Wahrnehmung vieler Partner innerhalb der EU, quer über den Atlantik und Pazifik, dass China wirtschaftlich, geostrategisch, wie sicherheitspolitisch „zunehmend repressiv“ auftrete. Mutig verkündete man, dass China nicht nur als Partner und Wettbewerber, sondern auch als „systemischer Rivale“ zu betrachten sei. Deutschland gelobte sogar die eigene Chinapolitik im „Einklang mit der europäischen Agenda aktiv“ voranzutreiben. Bisher ist davon praktisch nicht viel zu sehen. Deutschland wird von seinen Partnern als zögerlich wahrgenommen. Daher drängen die Partner Deutschlands, vor allem in der EU, Chinas repressiven Aktionen praktische Schritte entgegenzusetzen. Die Niederländer haben dies getan, indem sie die Ausfuhr von Chipherstellungsanlagen in die Volksrepublik China (VRC) eingeschränkt haben. Eine Reihe osteuropäischer und skandinavischer Länder haben dies getan, indem sie sich dafür entschieden haben, chinesische Anbieter aus ihren 5G-Netzen zu verbannen oder auslaufen zu lassen. Und die Franzosen haben dies getan, indem sie offen auf eine Untersuchung der Europäischen Kommission über die Einfuhr von Elektrofahrzeugen aus China gedrängt haben.

Kein guter Zeitpunkt

Aufgrund der Attraktivität und des Nutzens für deutsche Konzerne in China scheint es für Deutschland keinen günstigen Zeitpunkt zu geben, sich China entgegenzustellen. China reagiert mittlerweile empfindlicher auf handelspolitische Einschränkungen und schreckt vor Vergeltungsmaßnahmen nicht zurück. Für Bundeskanzler Scholz ist der Zeitpunkt für eine Konfrontation möglicherweise besonders ungünstig, da die deutsche Wirtschaft derzeit unter einer Konjunkturflaute leidet. Im Jahr 2023 betrug das Wirtschaftswachstum -0,3 %, und die wirtschaftlichen Folgen des Russland-Ukraine-Konflikts belasten weiterhin die deutsche Wirtschaft. Das erste Quartal in 2024 wird wohl auch mit einem negativen Wachstum enden, darauf weist der zusammengesetzte HCOB PMI für Deutschland hin, der seit Jahresbeginn Schrumpfung anzeigt. Es könnte schwierig sein, in einer solchen Situation eine neue Konfrontation einzugehen. Dennoch muss Scholz klar sein, dass auch die chinesische Wirtschaft nicht in bester Verfassung ist. Sowohl Deutschland als auch China sind voneinander abhängig und haben Angst vor wirtschaftlichen Verlusten. Deutschland ist der wichtigste Partner Chinas innerhalb der Eurozone. Obwohl Chinas Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr bei 5,2 % lag, belasten anhaltende Nachfrageschwächen im Inland, der Abzug internationalen Investitionskapitals und der Zusammenbruch des Immobilienmarktes das diesjährige Wachstumsziel von 5 %. Ohne umfangreiche wirtschaftliche Stimulierungsmaßnahmen wird es schwerer als in 2023 sein, dieses Ziel zu erreichen.

Fazit

Bundeskanzler Scholz ist nicht zu beneiden. Die Reise nach China wird die Blicke der Partner wieder auf Deutschlands China-Politik richten. In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation braucht Deutschland die Nähe zu China, um die anhaltenden Folgen des Russland-Ukraine-Krieges zu überwinden. Wiederum braucht Deutschland eine gewisse Distanz zu China, um sich im Falle einer Invasion Taiwans durch China nicht noch einmal erpressbar zu machen. Kein leichter Balance-Akt, wenn in beiden Fällen wirtschaftliche Verluste wahrscheinlich sind. In diesen schweren Zeiten wird Bundeskanzler Olaf Scholz mit schwerem Gepäck in Peking vorangehen müssen und sich hoffentlich für die kurzfristigen Verluste entscheiden (De-Risking), um langfristig viel größere Verluste zu vermeiden (im Falle einer Taiwan-Invasion). Und im Rahmen der anstehenden China-Reise erste sichtbare Akzente setzen.

Dr. Tariq Chaudhry

Dr. Tariq Chaudhry

Economist

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