Der Wochenkommentar

Nervosität ersetzt Zinserhöhungen

März 2023 Die Kursturbulenzen von Banken in den USA und Europa unterscheiden sich voneinander. Die Schlussfolgerungen für die Geldpolitik sind aber ähnlich.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Christine Lagarde, Chefin der Europäischen Zentralbank, sagte bei der Pressekonferenz vom 16. März einen bemerkenswerten Satz: „Ich glaube, es gibt keine Wechselwirkung (trade-off) zwischen Preisstabilität und Finanzstabilität.“ Was die Notenbankpräsidentin zum Ausdruck bringen wollte, war, dass die Turbulenzen im Bankensektor die EZB nicht davon abhalten werden, die Inflation zu bekämpfen. Weitere Zinserhöhungen würden also durchgeführt, solange das Erreichen des Inflationsziels nicht absehbar sei. Insbesondere gäbe es für jedes Problem eigene Instrumente. Das Zinsinstrument werden für das Ziel der Preisstabilität eingesetzt, während die Liquiditätslinien dazu dienten, um Finanzstabilität zu erreichen. Das klingt lehrbuchhaft und erinnert an die Tinbergen-Regel, wonach es für jedes Ziel mindestens ein Instrument geben soll. Ist es so einfach?

Nein, so einfach ist es nicht. Schaut man in die USA, ruft die Behauptung es gäbe keine Wechselwirkung zwischen Preisstabilität und Finanzstabilität, vor allem Kopfschütteln hervor. Denn der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank ist ja genau wegen der Zinserhöhungen, die für Preisstabilität sorgen sollten, zustande gekommen. Das Kreditinstitut musste angesichts des deutlichen Renditeanstiegs massive Wertkorrekturen an seinem Portfolio festverzinslicher Wertpapiere vornehmen, was dann wiederum ein Beben im gesamten Bankensektor ausgelöst hat. Das Instrument der Zinserhöhung wird durch Notenbanken zwar eingesetzt, um Preisstabilität wieder herzustellen, aber manchmal gleicht es doch eher einer Schrotflinte und was genau getroffen wird, hängt davon ab, wer sich angesichts der Schrotsalven falsch positioniert hat.

Wendet man den Blick jedoch in die Eurozone und selbst in die Schweiz, wo die Credit Suisse gerade in einer Hauruck-Aktion von der UBS übernommen wurde, ist die no-trade-off-Behauptung etwas schlüssiger. Denn hier scheinen die verschärften Regulierungen der Aufsichtsbehörden gegriffen zu haben. In regelmäßigen Stresstests, die auch für relativ kleine Banken durchgeführt werden, wird unter anderem überprüft, ob und in welchem Ausmaß die Kreditinstitute sich gegen plötzliche Verschiebungen der Zinsstruktur nach oben oder unten gewappnet haben. Und so war es bei der Credit Suisse, nicht der Mismatch zwischen Aktiva- und Passiva-Laufzeiten, der dem Institut das Genick gebrochen hat. Vielmehr war es eine Kombination eines über Jahre währenden Reputationsverlustes als Folge von teilweise kriminellen Skandalen und einer durch die US-Turbulenzen hochschießenden Nervosität, die Anleger zum Rückzug von der Credit Suisse veranlasst hat. Man kann auch sagen: Die Lunte war bei dieser Bank ohnehin schon kurz und da waren die beunruhigenden Nachrichten vom US-Regionalbankensektor ein ausreichender Funke, um sie zu entzünden.

Bei der Deutschen Bank, dessen Aktienkurs Ende März zeitweise unter die Räder kam, gibt es keine öffentlich verfügbaren Hinweise dafür, warum die Bank innerhalb weniger Stunden 15 % weniger wert sein sollte. Im Übrigen werden in der Eurozone Kreditinstitute bereits ab einem Bilanzvolumen von 30 Mrd. Euro bzw. wenn sie im Heimatmarkt eine dominante Stellung haben, direkt von der EZB beaufsichtigt. Dieses engmaschige Netz sorgt offensichtlich dafür, dass der Sektor relativ resilient gegenüber Zinserhöhungen ist, was auch noch verstärkt wird durch den positiven Ertragseffekt der steigenden Zinsen, wie die zuletzt hohen Gewinne im Bankensektor demonstrieren. In den USA griffen strengere Regeln und regelmäßige Stresstests bis 2018 für Institute mit einem Bilanzvolumen ab 50 Mrd. US-Dollar. Dieser Wert wurde dann 2018 auf ein Bilanzvolumen von 250 Mrd. US-Dollar angehoben, so dass etwa die Silicon Valley Bank durch das Raster fiel.

Heißt das also, dass die EZB munter die Zinsen weiter anheben kann, ohne dass Lagarde ein Wanken des Bankensektors befürchten muss? Ein paar Zinserhöhungen wären sicherlich noch möglich, ohne das gleich die Welt untergeht. Jedoch sind zwei Punkte zu berücksichtigen. Erstens muss die EZB im Allgemeinen beachten, dass die Zinserhöhungen stets mit einer gewissen Verzögerung Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen nehmen. Der Tequila-Vergleich liegt hier nahe: Die Wirkung zeigt sich in der Regel erst später. Wenn also innerhalb von kurzer Zeit die Zinsen angehoben werden, bereitet das den meisten Unternehmen noch keine großen Schwierigkeiten. Zwar wird die Finanzierung des Betriebskapitals teurer, aber erst die Refinanzierung längerfristiger Kredite, die in der Vergangenheit zu unschlagbar günstigen Bedingungen aufgenommen wurden, trifft viele Unternehmen schmerzhaft. Das wiederum kann zu einem Anstieg von Kreditausfällen führen und damit auch die Ertragskraft von Banken schmälern, die leistungsgestörte Kredite abschreiben müssen.

Zweitens ist ein Punkt zu beachten, den der Chef der US-Notenbank bei der Fed-Pressekonferenz ins Spiel gebracht hat. Die Turbulenzen erledigen einen Teil des Jobs der Notenbanken, so sagte es Jerome Powell sinngemäß. Anders ausgedrückt: Da Banken und Investoren angesichts der Turbulenzen bei der Vergabe von Kredit bzw. der Anlage von Vermögen vorsichtiger werden, wird es für Unternehmen teurer, Kapital aufzunehmen. Dadurch werden Investitionen und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage gebremst. Genau das ist der Effekt, den die Fed durch Zinserhöhungen erreichen will. Wenn die Nervosität den gleichen Effekt hat, muss die Fed weniger aggressiv vorgehen. Es ist davon auszugehen, dass auch hierzulande die Bedingungen für Kreditvergabe, die laut EZB-Umfrage schon seit einigen Quartalen restriktiver wird, verschärft werden. Daher wird auch die EZB bei ihren Zinserhöhungsplänen vermutlich Abstriche machen und nur noch ein Mal den Zins anheben.

Es gibt also einen trade-off, aber in umgekehrter Richtung als von Lagarde thematisiert. Es ist weniger die Zinserhöhung, die die Finanzmarktstabilität gefährdet, sondern vielmehr die Angst vor der Instabilität der Finanzmärkte, die weitere Zinserhöhungen weniger dringlich erscheinen lässt.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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