Der Wochenkommentar

Optimistischer IWF

April 2024

Der Internationale Währungsfonds versprüht in seinem neuen Ausblick eine überraschende Prise an Optimismus. Wir können uns dem leider nicht gänzlich anschließen.

Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Schaut man sich die Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) an, gewinnt man den Eindruck, man lebe nahezu in der besten aller Zeiten. Das weltwirtschaftliche Wachstum soll demnach um moderate 3,2 % wachsen, der Welthandel ebenfalls in dieser Größenordnung expandieren, während die Inflation in den USA und der Eurozone im Jahr 2025 wieder die Zielgröße von etwa 2 % erreicht haben wird. Wer will sich da beschweren, erlaubt dieses Szenario doch den Notenbanken, die Zinsen wieder nachhaltig zu senken – eine von vielen Unternehmen ersehnte Entwicklung.

Ja, aber

Sie werden nicht überrascht sein, wenn jetzt gleich mehrere Abers folgen. Ganz offensichtlich genügt es nicht, nur auf die nackten Zahlen zu schauen. Vielmehr lohnt ein Blick in die 202 Seiten lange Publikation des IWF und da wird klar, dass die Prognosen nicht in Stein gemeißelt sind. Wichtig ist auch, dass die Wachstumszahl alleine wenig über ihre Qualität aussagt.

Fangen wir mit letzterem Punkt an. Für China beispielsweise wird ein Wirtschaftswachstum von 4,6 % erwartet. Chinas Wachstumsbeitrag für die Weltwirtschaft liegt damit bei fast einem Drittel. Das klingt zwar viel, man übersieht jedoch leicht, dass das Wachstum Chinas sich ganz anders zusammensetzt, als das früher der Fall war. Zwar ist China nach wie vor der zweitgrößte Importeur, die etwa für Deutschland wichtigen Maschinenbauprodukte spielen dabei jedoch eine geringere Rolle als früher und generell nehmen die Importe seit Anfang 2022 ab. Gleichzeitig etabliert sich China zunehmend als Wettbewerber etwa für E-Autos, Batterien und Solarpanels. Im Ergebnis sind Länder wie Deutschland mit einem Doppelschlag konfrontiert: Chinas Wachstum nimmt strukturell ab – und der IWF warnt vor dem Risiko, dass das Wachstum kurzfristig noch deutlich niedriger ausfallen könnte –, und deutsche Exporteure müssen mit einem zunehmenden Wettbewerb aus China fertig werden.

Sehr konkrete Abwärtsrisiken

Der IWF vertieft diesen Aspekt nicht weiter, geht jedoch auf zahlreiche Risiken ein, die die globale Konjunkturentwicklung deutlich beeinträchtigen könnten. Vor dem Hintergrund der geopolitischen Krisen – Israel/Gaza/Iran-Komplex, Russlands Krieg gegen die Ukraine, Houthi-Attacken gegen Schiffe im Roten Meer – verweist der IWF auf die Gefahr höherer Öl- und Energiepreise. Abgesehen von den direkten Effekten einer derartigen Entwicklung auf die Kaufkraft von Konsumenten und die Produktionskosten von Unternehmen ist vor allem zu berücksichtigen, dass die Notenbanken in diesem Szenario weniger Zinssenkungen durchführen würden. Im Extremfall wäre es sogar möglich, dass es wieder zu Zinserhöhungen kommen würde. In jedem Fall käme es zu einer geringeren wirtschaftlichen Aktivität.

Der IWF diskutiert außerdem die immer deutlicher werdende Fragmentierung der Weltwirtschaft in Blöcke, die sich mit protektionistischen Maßnahmen, Sanktionen, Investitionsverboten, Kapitalverkehrsbeschränkungen usw. bekämpfen. Diese Entwicklung könnte sich noch verschärfen und würde mit deutlichen Effizienz- und Wachstumsverlusten einhergehen. In diesem Zusammenhang verweist der Fonds darauf, dass auch die Mobilität von Beschäftigten durch eine fortschreitende Blockbildung beeinträchtigt werden dürfte – ebenfalls eine aus konjunktureller Sicht potenziell sehr problematische Entwicklung.

Was ist mit dem Klimawandel?

Als ein Dilemma identifiziert der IWF die Kombination einer fragilen konjunkturellen Lage auf der einen Seite und einer hohen Staatsverschuldung auf der anderen Seite. So hält der Fonds eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte für nötig, damit der Anstieg der Zinslast gebremst wird und das Vertrauen der Investoren in die Anleihemärkte nicht untergraben wird. In der separat erscheinenden IWF-Publikation „Fiscal Monitor“ werden in diesem Zusammenhang die USA, China, Italien und Großbritannien explizit genannt. Gleichzeitig beeinträchtigt ein austeritärer Kurs das ohnehin schwache Wachstum in den meisten Regionen. Das betrifft vor allem die Eurozone, weniger die USA. Bei einem für die Eurozone prognostizierten Wachstum von 0,8 % fragt man sich, wie groß der Spielraum für eine Sparpolitik hierzulande wirklich ist. Es ist keineswegs klar, was von Investoren stärker „bestraft“ wird: Ein Anstieg der Schuldenquote zur Finanzierung von Investitionen oder eine Sparpolitik, die das Rezessionsrisiko erhöht.

Interessanterweise bleibt in dem Report die Gefahr von Extremwetterereignissen bei der Aufzählung der Risiken unerwähnt, vor denen wegen des Klimawandels viele Institutionen warnen. So hat beispielsweise das renommierte Potsdam-Institut für Klimafolgeforschung erst gestern eine Studie in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht, wonach das Pro-Kopfeinkommen bereits 2050 um knapp 20 % niedriger ausfallen wird als ohne Klimaschäden – und das ist nach Angaben der Forscher eine konservative Schätzung. Sollte es in den kommenden Jahren in geballter Form zu Extremwetterereignissen kommen, würde dies zu Ernteausfällen und einer Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Aktivität – etwa im Tourismus, bei Produktionsstätten und Transportinfrastruktur – führen. Lieferkettenunterbrechungen, Lebensmittelengpässe und im Ergebnis eine höhere Inflation wären die Folge. Die Notenbanken wären mit einer ähnlichen Situation wie im Fall eines Anstiegs der Öl- und Energiepreise konfrontiert, mit negativen Folgen für Konsum und Investitionen.

Es gibt auch Chancen

Der IWF konzentriert sich aber nicht nur auf die Abwärtsrisiken, sondern geht auch von einer positiven Wahrscheinlichkeit aus, dass das Wachstum doch höher ausfällt, als erwartet. Und nicht nur das, in der Abwägung sieht der IWF die Risiken sogar als ausgeglichen an, d.h. die Risiken eines Unterschreitens des prognostizierten Wachstums sind etwa so hoch wie die Chancen, dass ein höher als erwartetes Wachstum erreicht wird. So weit würden wir nicht gehen, aber wir schließen eine bessere konjunkturelle Entwicklung auch nicht komplett aus.

Möglich ist es laut IWF, dass die Inflation sich doch schneller zurückbildet als erwartet und damit stärkere Zinssenkungen der Notenbanken ermöglicht werden. Unseres Erachtens müsste der Inflationsrückgang von den Energiepreisen ausgehen, die am raschesten auf die Teuerungsrate durchschlagen. Das wäre zwar nicht sonderlich nachhaltig, aber würde die Zentralbanken vermutlich trotzdem zu stärkeren Zinssenkungen veranlassen. Dass die Kernrate der Inflation – sie schließt Energie- und Lebensmittelpreise aus – sich stärker zurückbildet als erwartet, halten wir für eher unwahrscheinlich, vor allem wegen der demografiebedingten Arbeitskräfteknappheit. Sie wird unseres Erachtens dafür sorgen, dass Arbeitnehmer:innen auch in Zukunft relativ hohe Lohnzuwächse werden durchsetzen können.

Künstliche Intelligenz als Upside

Der IWF sieht zudem die Chance, dass es in den Volkswirtschaften, in denen 2024 gewählt wird, in diesem und im folgenden Jahr zu einer relativ expansiven Fiskalpolitik kommt. Das würde zu einer Wachstumsbelebung führen. Aber hier wird auch gleich davor gewarnt, dass eine derartige Politik die Inflation und die Zinsen wieder nach oben treiben könnte. Es ist die Frage, ob der Nettoeffekt auf die Konjunktur überhaupt positiv ausfallen würde. Wichtig ist in diesem Zusammenhang sicherlich die Qualität der staatlichen Mehrausgaben – Investitionen haben eine bessere Chance als Konsumausgaben, für ein inflationsfreies Wachstum zu sorgen.

Am spekulativsten ist sicherlich die Thematik, dass es durch den verstärkten Einsatz von künstlicher Intelligenz zu einem Produktivitätsschub kommt und das Wachstum dadurch – davon wären vor allem die entwickelten Volkswirtschaften betroffen – höher ausfällt.

IWF steht mit Optimismus nicht alleine da

Unter dem Strich verwundert es etwas, dass der IWF Risiken und Chancen tatsächlich als ausgeglichen ansieht. Denn die genannten Risiken sind größtenteils konkret und teilweise schon dabei, sich zu realisieren, während die Vorstellung, dass die genannten Chancen realisiert werden, doch eine relativ lebhafte Phantasie erfordert. Aber klar ist auch, der IWF steht nicht alleine da: Ein Blick auf die Aktienmärkte, die in den vergangenen Wochen von Allzeithoch zu Allzeithoch geeilt sind, zeigt, dass viele Investoren den Optimismus des IWF teilen. Wir zählen nicht dazu, was sich an einer nackten Zahl ablesen lässt: Unsere Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft liegt mit 3,0 % etwas niedriger als die des IWF.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt

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