Der Wochenkommentar

Powell macht den Volcker

November 2022 Der Fed-Präsident denkt in Dekaden, und das bedeutet, dass man sich auf mehr Zinserhöhungen einstellen sollte, als bislang gedacht. Für die Fed als Institution ist das eine gute Nachricht.

Dr. Cyrus de la Rubia

Hatten auch Sie darauf gesetzt, dass sich die Stimmen in der Fed durchsetzen, die für ein baldiges Ende der Zinserhöhungen sind? Tatsächlich hat Fed-Präsident Jerome Powell nach der Fed-Sitzung am 2. November unmissverständlich klar gemacht, dass der Weg noch weit ist, nachdem der Leitzins erneut um 75 Basispunkte erhöht wurde und nunmehr bei 3,75 bis 4,00 % liegt. Um diese Botschaft zu erfassen, reichte es allerdings nicht, nur den Beginn der Pressekonferenz zu verfolgen.

Zunächst schien Powell die Erwartungen vieler Marktteilnehmer zu erfüllen. So verwies der Notenbankchef darauf, dass die Zinserhöhungen in großen Teilen der Wirtschaft bereits spürbar seien, wie etwa im schwächelnden Immobiliensektor, was auf die höheren Hypothekenzinsen zurückzuführen sei. Außerdem habe sich das Wachstum des privaten Konsums verlangsamt, unter anderem bedingt durch die teureren Finanzierungsbedingungen. Darüber hinaus werde die Fed die Verzögerungen bei der Geldpolitik berücksichtigen, also die Tatsache, dass sich geldpolitische Impulse erst nach einer gewissen Zeit in der Inflationsrate niederschlagen. Beruhigend war auch die Botschaft, dass Powell die langfristigen Inflationserwartungen als gut verankert ansah. Und dann wiederholte er auch den Satz, dass es irgendwann angemessen sei, das Tempo der Erhöhungen zu verlangsamen. Wunderbar, das Ende der Zinserhöhungen ist nah, könnte man meinen. Aber ähnlich wie beim Fußballspiel im Fernsehen, den man nach einem Stand von 3:0 abstellt, weil ja jetzt nichts mehr schief gehen kann, war es bei der Pressekonferenz. Denn nach einigen Minuten, in denen diese scheinbar beruhigenden Botschaften aufgenommen worden waren, drehte sich das Blatt und aus „dovish“ wurde „hawkish“.

Die wichtigste Botschaft war nunmehr, dass das endgültige Zinsniveau (ultimate rate) höher ausfallen wird als bisher erwartet. Mit anderen Worten: Es mag schon sein, dass die Fed bei der nächsten Sitzung einen kleineren Zinsschritt durchführt, aber der Weg hin zu dem Zins, bei dem die Fed davon überzeugt ist, dass die Inflation wieder zurück auf die Zielinflationsrate von 2 % fällt, ist noch sehr weit. Der Notenbankchef unterstrich diese Aussage mit den Worten, dass es „viel zu früh sei, über eine Pause bei den Zinserhöhungen nachzudenken“. Und um jeden Zweifel zu beseitigen, dass die Fed trotz des Risikos, durch weitere Zinserhöhungen eine Rezession auszulösen, an diesem Kurs festhalten werde, ergänzte Powell: „Wenn wir die Geldpolitik zu sehr straffen, haben wir unsere Instrumente, um die Wirtschaft zu stützen. Wenn wir (hingegen) die Inflation nicht in den Griff bekommen, weil wir die Geldpolitik nicht ausreichend gestrafft haben, […] wird sich die Inflation verfestigen und die Kosten […] werden potenziell viel höher sein.“ Anders ausgedrückt: Lieber zu viele Zinserhöhungen als zu wenige. Im Übrigen warne ein Blick in die Historie eindringlich vor einer voreiligen Lockerung der Geldpolitik, womit sich Powell vermutlich auf die Erfahrungen insbesondere der 1970er Jahre bezogen haben dürfte, als die Inflation viele Jahre nahe bzw. im zweistelligen Bereich war.

Und dann kam der Satz, der an Paul Volcker erinnert, der seinerzeit Ende der 1970er Jahre/Anfang der 1980er Jahre mit Zinsen von bis zu 20 % die Inflation bekämpfte und dabei eine tiefe Rezession in Kauf nahm. Im Gegenzug stellte er dadurch jedoch eine lange Phase von Preisstabilität und Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Fähigkeit der Fed, die Inflation zu kontrollieren, sicher. Powell sagte: „Preisstabilität gehört zu den Dingen, die sich hoffentlich jahrzehntelang für unsere Wirtschaft auszahlen, auch wenn es schwierig ist, wieder dorthin zu gelangen. Denn sie ist etwas, das für die Menschen, denen wir dienen, einen Wert darstellt.“ Powell denkt also nicht nur an den Effekt seiner Geldpolitik in den nächsten zwölf bis 18 Monaten, sondern in den kommenden zehn bis 20 Jahren. Dass er so denkt ist wichtig zu verstehen, denn es bedeutet, dass eine Rezession von sechs oder neun Monaten, die das Resultat dieser Politik sein könnte, nicht besonders stark ins Gewicht fällt. Tatsächlich ist laut Powell die Wahrscheinlichkeit einer Rezession gestiegen. Er drückte dies etwas anders aus, indem er sagte, dass das Fenster für eine weiche Landung kleiner geworden sei. Und zwar deswegen, weil die Inflation sich nicht in dem Maße zurückgebildet habe, wie das von der Fed erwartet worden war.

Die Abwägung zwischen kurzfristigen und langfristigen Zielen ist immer eine schwierige Angelegenheit. Die Menschen, die als Folge von Zinserhöhungen etwa im Wohnimmobiliensektor ihren Job verlieren, haben wenig Verständnis für das Denken in Dekaden und die Fragen der Glaubwürdigkeit einer Institution wie der Fed. Es ist jedoch auch eine Abwägung zwischen dem schon jetzt zu beobachtenden (und zu bekämpfenden) Wohlfahrtsverlusten in der Folge einer historisch hohen Inflationsrate bei großen Teilen der Bevölkerung auf der einen Seite und den negativen Effekten von Zinserhöhungen auf der anderen Seite. In der Summe macht es in der jetzigen Situation in den USA daher Sinn, das Inflationsziel fest im Blick zu behalten und dafür kurzfristige Proteste aus bestimmten (zinssensitiven) Sektoren in Kauf zu nehmen. Paul Volcker ist zurück.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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