Der Wochenkommentar

Schuldenbremse: „Angst vor Freiheit“

November 2023 Das Urteil des Bundesverfassungsgericht zu dem Klima- und Transformationsfonds hat viele gute Seiten. Die Beste davon ist, dass es vor Augen führt, wie schädlich die Schuldenbremse in der jetzigen Form ist.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Ökonomisch ist die Sache klar: Deutschland hat mit Klimakrise, rückständiger Infrastruktur, einer Bildungsmisere und Krieg in der Nachbarschaft schwerwiegende Baustellen, die erhebliche öffentlichen Investitionen und Ausgaben bedeuten. Und wir haben bei einer Verschuldungsquote von vergleichsweise geringen 66 % des BIP den Spielraum, um diese Ausgaben zu tätigen.

Juristisch sieht die Angelegenheit leider anders aus. Demnach ist der Neuverschuldungsspielraum praktisch gleich Null. Denn die bisherige Strategie, über größtenteils mit Kreditermächtigungen geschaffene Sondervermögen die Folgen von Covid-19, kriegsbedingter Energiekrise und Klimamaßnahmen zu finanzieren, geht nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht mehr auf.

Konkret hat das Bundesverfassungsgericht Mitte November zunächst festgestellt, dass die Bundesregierung gegen die Verfassung verstoßen hat, als es Corona-Mittel von 60 Mrd. Euro (1,5 % des BIP) umgewidmet und dem Klima- und Transformationsfonds zugeschlagen hat. Das Urteil impliziert aber nach allgemeiner Interpretation, dass auch der Wirtschafts- und Stabilisierungfonds (WSF) – ein weiteres Sondervermögen – nicht verfassungskonform ist. Der WSF war zunächst als Corona-Hilfsfonds im Jahr 2020 aufgelegt worden. 2022 wurde dieser Fonds dann wiederbelebt und mit einer Kreditermächtigung von 200 Mrd. Euro ausgestattet, um die durch den Überfall Russlands auf die Ukraine ausgelöste Energiekrise abzudämpfen. Der Verfassungsverstoß besteht offensichtlich darin, dass 30 Mrd. Euro aus dem WSF erst 2023 ausbezahlt wurden. Denn das BVG betont in seinem Urteil, dass die Kreditermächtigungen in dem Jahr genutzt und ausgegeben werden müssen, in dem sie verbucht waren, und das war das Jahr 2022.

Im Kern geht es letztlich um die Forderung, haushaltspolitische Transparenz herzustellen, was durch eine Konsolidierung aller Schattenhaushalte geschehen würde. Die Bürger sollen nachvollziehen können, wie viel Geld eingenommen, wie viel Geld ausgegeben wird und wie viele Schulden aufgenommen werden. Das ist in der Tat löblich, hat aber natürlich eine sehr unangenehme Nebenwirkung. Konsolidiert man alle Nebenhaushalte, ergibt sich eine Neuverschuldung, die mit der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse nicht vereinbar ist. Immerhin addieren sich die Sondervermögen auf 780 Mrd. Euro, die Jahr für Jahr eine beträchtliche Neuverschuldung implizieren.

Wie soll man also mit dieser Budgetkrise umgehen? Natürlich kann und sollte man bei den Einnahmen und Ausgaben ansetzen und hier neue Prioritäten berücksichtigen. Das Bundesumweltamt beziffert beispielsweise den jährlichen Betrag an umweltschädlichen Subventionen auf 65 Mrd. Euro. Wenn allein die Hälfte dieser Subventionen abgebaut würden, wäre bereits ein erheblicher Betrag eingespart. Auf der Einnahmenseite läge es nahe, die CO2-Besteuerung zu erhöhen. Die Bedenken, dass die Belastung der Wirtschaft und der Bürger zu hoch ausfallen könnte, ist nicht unbedingt stichhaltig. Denn hier kann mit einem Klimageld für Bürger und Unternehmen wieder Entlastung geschaffen werden. Der Einwand, dass dann ja keine zusätzlichen Einnahmen generiert würden, ist schwach, denn worum geht es? Um die Klimatransformation. Genau diesen Anreiz würde eine höhere CO2-Steuer geben. Ein „Krisensoli“ wird ebenfalls ins Spiel gebracht. Der Umstand, dass davon auch viele Selbständige und Kapitalgesellschaften mit wenigen Mitarbeitern betroffen wären, macht eine Koalitionsmehrheit dafür aber sehr unwahrscheinlich.

Als kurzfristige Maßnahme wird auch die Erklärung einer Haushaltsnotlage für 2023 und 2024 ins Spiel gebracht. Für 2023 ist dies möglicherweise sogar zwingend, weil die Schuldenbremse unter den gegebenen Umständen schlicht nicht mehr für das laufende Jahr eingehalten werden kann. Daran wird auch der gerade erst erlassene Ausgabenstopp für weite Teile des Bundeshaushalts nichts ändern. Für 2024 eine Haushaltsnotlage festzustellen könnte jedoch wieder zu einem Verfassungskonflikt führen, da es einer überzeugenden Begründung bedürfte, warum die Schuldenbremse ausgesetzt wird.

Ein grundsätzliches Problem ist bei alledem ohnehin nicht gelöst: Die Schuldenbremse, die ein politischer Beobachter als „Angst vor Freiheit“ bezeichnet hat, bleibt erhalten. Diese Institution verhindert, auf die derzeitigen Krisen angemessen zu reagieren. Das Urteil des BVG macht dies transparent und daher ist zu hoffen, dass die Schuldenbremse durch eine vernünftige Reform – etwa das Ausklammern von Investitionen in Infrastruktur und Bildung – abgelöst wird. Dann hätten wir ökonomische und juristische Klarheit.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt

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