Der Wochenkommentar

Spanien lässt Deutschland alt aussehen

Februar 2024

Spanien hat in den vergangenen Jahren einiges richtig gemacht. Zum Teil hat es aber auch einfach Glück gehabt. Das Land steht in vielerlei Hinsicht heute besser da als Deutschland.

Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia und Jonas Feldhusen

Dr. Cyrus de la Rubia

Spanien Wirtschaft ist 2023 um 2,5 % gewachsen, in Deutschland wurde hingegen einen Schrumpfung von 0,3 % verzeichnet. Selten war der Performanceunterschied zwischen Spanien und Deutschland so groß wie im vergangenen Jahr. Spanien überrascht auch im europäischen Vergleich positiv, und die Aussichten sind für das aktuelle Jahr ebenfalls robust – die Banco de España erwartet 1,6 % Wachstum, für Deutschland wird im Allgemeinen hingegen eine Stagnation erwartet. Insbesondere im Mittelstand ist die Stimmung pessimistisch. Woraus ergeben sich die großen Unterschiede zwischen Spanien, das traditionell als eines der hochverschuldeten Problemkinder der Eurozone gilt, und dem ehemaligen Exportweltmeister und früher als ökonomisches Vorbild gepriesenes Deutschland?

Wirtschaftsstruktur entscheidend

Das Jahr 2020 hat Spanien in einer Härte getroffen wie kaum ein anderes Land. Das BIP brach um 11,2 % ein. In Deutschland hingegen nur um 2,1 %. Ende 2021 hatte Spanien aber so kräftig zugelegt, dass es Deutschland überholte. Mittlerweile liegt das BIP Spanien gegenüber Anfang 2020 um 9 % höher, das von Deutschland nur 2 %.

Ein entscheidender Faktor, der diese unterschiedliche Entwicklung angesichts Covid-19 Krise und Energiekrise verursacht hat, ist die unterschiedliche Wirtschaftsstruktur der beiden Länder.

Ein wesentlicher Faktor ist hierbei der Tourismus. Mit rund 4 % Bruttowertschöpfung in der Vor-Corona-Zeit spielt der Tourismus in Deutschland eine eher untergeordnete Rolle, in Spanien hingegen ist man mit rund 12 % als klassisches Urlaubs- und Reiseziel deutlich stärker vom Tourismus abhängig. Während der Covid-19 Krise hat sich die Stärke des Tourismussektors in Spanien allerdings als Schwäche entpuppt. Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus haben diesen Sektor ganz besonders stark getroffen – die Zahl der internationalen Besucher brach 2020 um rund 70 % ein und erholte sich zunächst nur schleppend. Erst 2023 wurde das Vor-Corona-Niveau erreicht. Deutschland hingegen hat einen traditionell hohen Anteil der Industrieproduktion am BIP. Zur Coronazeit war das eine große Stärke, denn die Produktion in den Fertigungshallen konnte selbst zu Zeiten harter Lockdowns weiterlaufen, auch wenn Lieferkettenengpässe immer wieder zu Schwierigkeiten führten.

Ukraine-Russland-Konflikt trifft Spanien und Deutschland unterschiedlich hart

Das Blatt wendete sich, als es im Zuge der der russischen Invasion in die Ukraine zu einem Stopp von Gaslieferungen aus Russland kam. Bis dahin importierte Deutschland bis zu 65 % des Erdgases, das für die Wärmeerzeugung, die Stromerzeugung und in der Industrie genutzt wurde, aus Russland. Die Gaspreise an Europas wichtigstem Spotmarkt, der Title Transfer Facility (TTF), erlebten einen dramatischen Anstieg von durchschnittlich rund 30 EUR/MWh (2015 – 2020) auf bis zu 300 EUR/MWh in der Spitze (August 2022). Mittlerweile hat sich die Gasversorgung normalisiert, die Gaspreise sind wieder deutlich gefallen und liegen in etwa auf dem Niveau des Durschnitts der Jahre 2013 bis 2019. Der Schock hat aber Spuren hinterlassen und die Produktion in der energieintensiven Industrie einbrechen lassen. Davon haben sich die Unternehmen noch nicht erholt.

Ganz anders in Spanien. Das Land hat sein Erdgas 2023 zum größten Teil aus Algerien (29 %) und den USA (21 %) und über Flüssiggasterminals bezogen. Der Wirtschaft hat auch geholfen, dass die spanische Regierung mit dem sogenannten iberischen Gaspreisdeckel rasch auf die Preiserhöhungen reagiert hat und auf diese Weise Konsumenten und die Industrie stärker geschont hat. Dazu kommt, dass der Anteil der Industrie – diese ist stärker als der Dienstleistungssektor gegenüber höheren Energiepreisen exponiert – an der spanischen Bruttowertschöpfung nur bei 15 % liegt, in Deutschland hingegen bei 22 %. Pandemie und Krieg haben die beiden Volkswirtschaften also unterschiedlich getroffen – im akademischen Jargon würde man von asymmetrischen Schocks sprechen. Zwei Fragen drängen sich auf: Hat Spanien eine resilientere Wirtschaftsstruktur als Deutschland und wird Spanien auch in Zukunft stärker wachsen als Deutschland?

Mit der Resilienz ist das so eine Sache. Deutschland ist mit seinem überdurchschnittlich großen Industriesektor natürlich besonders stark gegenüber den globalen Konjunkturzyklen exponiert. Es liegt in der Natur der Dinge, dass die Industrie wiederum relativ energieintensiv ist und aufgrund ihrer Kapitalintensität auch stärker durch höhere Zinsen belastet wird als andere weniger kapitalintensive Sektoren. Gleichzeitig ist die deutsche Industrie durch mehr als 1500 so genannte Hidden Champions geprägt, das sind Weltmarktführer in unzähligen Nischen, die ihre Produkte in der ganzen Welt verkaufen. Es gibt kaum ein Land auf dieser Welt, in das deutsche Unternehmen nicht ihre Waren ausführen. Und wenn man sich den Verlust an Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe seit 2019 anschaut, dann liegt dieser bei relativ moderaten 5 %, was zu den vielen Schlagzeilen über eine Deindustrialisierung nicht passt. Kurz: Die Struktur unserer Industrie ist für sich gesehen relativ resilient. In den vergangenen Jahren ist mit gestiegenen Energiepreisen, höheren Zinsen und einem Einbruch der Weltkonjunktur aber viel zusammengekommen, was den Unternehmen das Leben ungewöhnlich schwer gemacht hat. Mittlerweile sind die Erdgaspreise wieder auf das Normalniveau von vor 2020 gefallen, die Europäische Zentralbank wird vermutlich ab Juni die Zinsen leicht senken und die Weltkonjunktur zeigt erste Zeichen einer Erholung. Davon könnte die die deutsche Industrie in den nächsten Monaten durchaus profitieren.

Strukturelle Probleme

Darüber hinaus gibt es aber durchaus schwerwiegende Strukturprobleme, die wirtschaftspolitisch angegangen werden müssen. An erster Stelle steht dabei der Arbeitskräftemangel, der andere Schwächen besonders schonungslos offenlegt. Dazu gehört die Belastung der Unternehmen und Bürger mit Bürokratie und Regulierung, die unzureichende Digitalisierung, die bei der Jobsuche häufig als Hindernis auftauchende Wohnungsnot sowie der sich verschlechternde Stand der Schulbildung.

Spanien ist demografisch insofern besser aufgestellt, als sich in den nächsten Jahren die Überalterung der Gesellschaft nicht so stark zunehmen wird wie in Deutschland. Gleichzeitig ist die Arbeitslosenrate in Spanien mit derzeit 11,8 % deutlich höher als in Deutschland, wo sie bei knapp 6 % liegt. In Spanien war die Arbeitslosenrate, die in den vergangenen Jahren kräftig gesunken ist, schon immer überdurchschnittlich hoch. Dieser strukturelle Nachteil wird in der heutigen Zeit des Arbeitskräftemangels zu einem strukturellen Vorteil. Tatsächlich klagen in Spanien nur 7,6 % der Unternehmen über fehlende Beschäftigte, in Deutschland sind es 31,8 %. Vor diesem Hintergrund erhalten die anderen Probleme – Stichworte Bürokratie, Wohnungsnot, Bildungsqualität – weniger Gewicht. Tatsächlich aber schneidet Spanien in den genannten Punkten keineswegs besser als Deutschland ab. Im „Ease of Doing Business“ Index der Weltbank, der das Ausmaß der Regulierung bei Unternehmensgründungen misst und leider seit 2019 nicht mehr aktualisiert wurden, steht Deutschland auf Platz 22 und Spanien auf Platz 31. Auf der Pisa-Skala haben sich sowohl Deutschland als auch Spanien im Jahr 2022 gegenüber 2015 verschlechtert. Und im Bereich der Wohnungsnot signalisieren die hohen Mietpreise in Madrid und Barcelona, dass Spanien hier keinen spürbaren Standortvorteil gegenüber deutschen Großstädten aufweist. Dennoch, die günstigere demografische Lage und der weniger angespannte Arbeitsmarkt verleiht Spanien eine größere Resilienz.

Wachstumsaussichten

Das wird bei der Wachstumsperformance der nächsten Jahre vermutlich eine positive Rolle spielen. Spanien dürfte relativ zu Deutschland auch davon profitieren, dass es sich mit einer Schuldenbremse die Hände gebunden hat. Das Budgetdefizit dürfte laut IWF in diesem Jahr bei 3,0 % des BIP liegen, während Deutschland in der Krise mit einem austeritären Haushalte gegen die Wirtschaftsschwäche gegenanspart. Die höhere öffentliche Verschuldung – sie lag in Spanien im Jahr 2023 bei 107,3 % des BIP, in Deutschland nur bei 65,9 % – geht zwar für Spanien mit höheren Finanzierungskosten einher. Der Risikoaufschlag gegenüber Deutschland von derzeit rund 0,8 Prozentpunkten bei zehnjährigen Staatsanleihen ist aber keineswegs ein Zeichen einer besonderen Beunruhigung auf Seiten der Investoren. Dazu kommt, dass Spanien noch die Next-Gen-EU Geldern nutzt, einer Mischung aus Darlehen und Zuschüssen. Diese Gelder wurde den Ländern zugewiesen, die besonders von der Pandemie betroffenen Ländern in Transformationsbereichen wie Green Transition und der Digitalisierung Investitionsspielräume zur Verfügung geben soll, die an Nachhaltigkeitsbedingungen geknüpft sind. Spanien soll für den Zeitraum von 2022 bis 2026 rund 180 Mrd. €, jeweils zur Hälfte als Darlehen und Zuschuss, erhalten können. Deutschland kann nur mit rund 25 Mrd. € aus dem Next-Gen-EU Programm rechnen.

Insgesamt spricht vieles dafür, dass Spanien auch in den kommenden Jahren ein höheres Wachstum als Deutschland ausweisen wird. Die deutsche Wirtschaftspolitik hat es aber in der Hand durch ein mutiges Konjunkturprogramm, einer durchgreifenden Reform zum Abbau von Bürokratie und Regulierung, einer Bildungsoffensive und einem Wohnungsbauprogramm das Wirtschaftswachstum nach oben zu hieven. Spanien kann empfohlen werden, sich die Probleme Deutschlands genau anzuschauen und rechtzeitig mit dem Gegensteuern zu beginnen, statt sie – wie in Deutschland geschehen – jahrelang schleifen zu lassen.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt

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