Der Wochenkommentar

Deutschland: Strukturell schwach aufgestellt

Oktober 2023 Der Sachverständigenrat stellt Deutschland ein maues Zeugnis aus. Es geht um Versäumnisse in der Vergangenheit, die sich bereits jetzt rächen und auch die Zukunft belasten können. Aber: Man kann etwas dagegen tun.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

The Fed is done. Das ist das, was die Finanzmärkte nach der gestrigen Sitzung erwarten. Gemäß den Forwardmärkten ist die Wahrscheinlichkeit, dass es im Dezember doch noch zu einer Zinsanhebung kommt, von 28 % vor der Sitzung auf 19 % nach der Sitzung gefallen.

In der Tat kann die Botschaft von Jerome Powell so interpretiert werden. Am wichtigsten war sicherlich der Hinweis, dass die Risiken für die Inflation nunmehr relativ ausgeglichen seien, was er in der Pressekonferenz gleich mehrere Male wiederholte.

Dies scheint den bisherigen Prognosen der Fed, die vor sechs Wochen in den sogenannte Dotplots noch einen weiteren Zinsschritt in diesem Jahr vorgesehen haben, zu widersprechen. Powell relativierte diese Dotplots jedoch und sagte sinngemäß, dass die Aussagekraft dieser Prognosen mit jedem Tag, an dem neue Daten erscheinen, sinke und man solle diese Prognosen nach sechs Wochen nicht mehr ganz so ernst nehmen. Und er verwies darauf, dass man ja im Dezember eine neue Prognose veröffentlichen werde. In der dann, so unsere Vermutung, die meisten Notenbankmitglieder keinen weiteren Zinsschritt prognostizieren werden.

Ein weiterer Hinweis dafür, dass die Fed auf erneute Zinserhöhungen verzichten dürfte, war auch, wie Powell die Situation am Arbeitsmarkt interpretierte. Zum einen stellte er fest, dass der Arbeitsmarkt zwar weiterhin angespannt sei, aber „Angebot und Nachfrage kommen kontinuierlich in ein besseres Gleichgewicht“. Vor allem aber wären die Lohnzuwächse in den vergangenen 18 Monaten zurückgegangen, „auf ein Niveau, das substanziell dichter an dem Niveau ist, dass mit einer Inflation von 2 % konsistent ist.“ Dem Arbeitsmarkt helfe die gestiegene Partizipationsrate bei den 25- bis 54-Jährigen und auch die Einwanderung. Das sei auch ein Grund für das gute Wirtschaftswachstum. Wir interpretieren diese Aussagen auch dahingehend, dass die Fed mehr denn je davon überzeugt ist, eine weiche Landung managen zu können. In unserem Basisszenario gehen wir ebenfalls davon aus.

Zuversicht schöpft der Fed-Präsident auch aus der Beobachtung, dass die Inflationserwartungen gut verankert bleiben. In diesem Zusammenhang ließ sich Powell auch nicht von den gestiegenen Einjahresinflationserwartungen beirren, die sich aus der Konsumentenumfrage der Universität Michigan ergeben. Zuletzt war dieser Wert von 3,2 % auf 4,2 % gestiegen. Mitte 2022 hatte Powell noch gesagt, dass der Anstieg dieses Indexes mit dazu beigetragen habe, die Zinsen damals um 50 Basispunkte anzuheben. Jetzt aber wischte er die Aussagekraft dieses Index beiseite. Durchaus zurecht, denn der Index zeigt einen hohen Grad an Volatilität und der Trend ist – auch nach dem letzten Anstieg – abwärts gerichtet.

Man kann aber nicht behaupten, dass die Aussagen von Powell aus einem Guss waren und alle in eine Richtung wiesen. Es gab durchaus auch einige Punkte, die den Analysten, die weiterhin eine oder mehrere Zinserhöhungen prognostizieren, etwas Unterstützung gaben.

So lehnte es Powell recht deutlich ab, den Anstieg der langfristigen Staatsanleiherenditen als Substitut für weitere Zinserhöhungen anzusehen. Die Renditebewegungen seien noch zu volatil, um von einem nachhaltigen Anstieg zu sprechen. Und nur ein nachhaltiger Anstieg bedeute letztlich, dass die Finanzierungsbedingungen von dieser Seite verschärft würden.

Weiter durfte natürlich auch nicht der Hinweis fehlen, dass man von „meeting to meeting“ seine Entscheidungen treffen werde. Man habe jetzt die Entscheidung getroffen, die man zu diesem Zeitpunkt für angemessen gehalten habe und im Dezember werde man die Entscheidung treffen, die man dann für angemessen halte. Bei der EZB fällt dies unter den Begriff „Datenabhängigkeit“, wodurch dem Komitee richtigerweise die Tür offen gelassen wird, doch noch den Zins anzuheben.

Grundsätzlich sind auch die Risiken, die sich aus dem Krieg zwischen der Hamas und Israel ergeben, relevant für den Kurs der Fed. Das Risiko wurde von Powell benannt, aber tatsächlich nicht sonderlich betont. Die Angst vor einem erneuten Ölpreisschock scheint bei der Fed weniger stark ausgeprägt zu sein als bei der EZB.

Unsere Sicht, dass die Fed die „Terminal Rate“ erreicht hat, stützt sich keineswegs zum größten Teil auf die Aussagen von Jerome Powell. Wir haben vor allem die Wachstums- und Inflationsperspektiven im Blick. Die gestrigen Daten des ISM-Einkaufsmanagerindizes, die eine stärkere Schwäche des Verarbeitenden Gewerbes zu Beginn des vierten Quartals anzeigten, unterstützen unsere Sicht, dass das sich das Wachstum in diesem und in den nächsten Quartalen kräftig abschwächen könnte. Eine entscheidende Rolle werden weiterhin die Arbeitsmarktdaten spielen und natürlich die Inflation, die sich im Oktober aber nur relativ zögerlich zurückbilden dürfte. Die Kernrate könnte sogar leicht steigen. Die Diskussion um weitere Zinssteigerungen ist insofern noch nicht beendet, aber die Fed hat die Grundlage dafür gelegt, dass alle Daten, die ein Ende des Zinsanhebungszyklus nahelegen, ein wesentlich größeres Gewicht erhalten als die Daten, die dagegen sprechen.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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