Der Wochenkommentar

Unorthodox war gestern

März 2024

17 Jahre nach der letzten Zinserhöhung hat die Bank of Japan erstmals ihren Leitzins für Übernachtkredite auf 0,0-0,1 % angehoben. Yield Curve Control, gehört jetzt der Vergangenheit an, da man die Deflation nun als erfolgreich bekämpft ansieht.

Ein Kommentar von Christian Eggers

Christian Eggers

Lange wähnte man sich an Samuel Beckett’s absurdes „Warten auf Godot“ erinnert, also an jemand, der niemals erscheinen sollte. Nun kommt manchem der Begriff Zeitenwende in den Sinn. Wie wir hierzulande kennen gelernt haben, bedeutet das aber noch lange nicht, dass die Finanzmärkte daraus auch unmittelbar entsprechende Konsequenzen ziehen. Von Unterstützung für den Yen – das wäre bei höheren Zinsen eigentlich zu erwarten gewesen - kann aktuell jedenfalls ganz und gar nicht gesprochen werden. Ganz im Gegenteil erreicht der real effektive Wechselkurs des Yen neue Rekordtiefstände. Das ist erklärungsbedürftig. Zuerst schauen wir aber mal auf die Grundlagen für diesen am Ende doch historischen Schritt.

Lohn-Preis-Spirale

Erklärtes Ziel der BOJ war es immer, die seit Mitte der 1990er Jahre währende Deflation zu überwinden. Unorthodox wurde es schließlich mit der quantitativ wie qualitativ expansiven Geldpolitik – Quantitative Qualitative Easing, QQE. Deren Architekt und langjähriger Zentralbankchef Haruhiko Kuroda rührte bis zu seinem Ausscheiden im April 2023 nicht daran, obwohl selbst in Japan die Inflationsraten das Ziel von 2 % um bis zum Doppelten überstiegen. Mit dem amtierenden BOJ-Gouverneur Kazuo Ueda richtete sich der Fokus dann auf die Entwicklung der (Real-)Löhne.

Bereits im vergangenen Jahr wurden Lohnzuwächse von durchschnittlich 3,6 % erzielt, was da schon der größten Steigerung seit 30 Jahren entsprach. Eine Nachhaltigkeit wurde dieser Entwicklung aber noch nicht zugetraut. Erst als die größte Gewerkschaft Rengo in den entscheidenden Frühjahrsgehaltsverhandlungen, Shunto auf Japanisch, nach der ersten Runde dieses Jahres mit den großen Industrieunternehmen von Zuwächsen um 5,2 % berichtete, pfiffen es die Spatzen von den Dächern, dass es endlich so weit sei.

Apropos Industrieunternehmen, ließ der Nikkei 225 Aktienindex bereits am 22. Februar aufhorchen. Mehr als dreißig Jahre nach dem Platzen der japanischen Immobilienblase, wurde mit dem Sprung über die Marke von 39.000 Indexpunkten ein neues Allzeithoch (inzwischen 41.087) gesetzt. „Japan Corp.“ geht es gut mit ihrer wieder erwachten Preissetzungsmacht und im internationalen Vergleich sind die Unternehmen vor allem eines, nämlich günstig. Daran trägt der schwache Yen gehörigen Anteil. Nach außen hin schafft dies Wettbewerbsvorteile, nach innen wird Inflation importiert, welche an die Konsumenten weitergegeben werden kann. Höhere Löhne werden in der Folge durchsetzbar, da auch verkraftbar. Dies kommt einem Aufruf an die Geldpolitik gleich.

Dovish Hike

Die Zinserhöhung war also weithin erwartet worden. Außerdem erhielt die Entscheidung auf der anschließenden Pressekonferenz einen taubenhaften Deckmantel. Die Geldpolitik soll nämlich vorerst großzügig bleiben. Kommt es zu übermäßigen Renditesteigerungen, werde man nicht zögern, mit weiteren Anleihekäufen dagegen vorzugehen.

Außerdem steht der Vorwurf im Raum, dass es vor der maßgeblichen Sitzung am 19. März undichte Stellen gegeben haben soll. Ein Überraschungsmoment, das dem Yen hätte zugutekommen können, war also auch nicht gegeben. Damit wird die prompte Marktreaktion mit sinkenden Renditen, steigenden Aktienkursen sowie schwächerem Yen zunächst nachvollziehbar.

Überhaupt kommt die Abkehr zu einer Zeit, da die anderen großen Zentralbanken Zinssenkungen in Aussicht stellen. Ein massiver Schritt in die entgegengesetzte Richtung war für die BOJ vielleicht auch gar nicht möglich, ohne eine ungewollt krasse Marktreaktion zu provozieren.

Die Sache mit dem Risikoappetit

Dass die Fed und die EZB im Laufe des Jahres Zinssenkungen in Aussicht stellen, schafft ein risikofreudiges Umfeld. Die niedrigen Volatilitäten an den Finanzmärkten legen davon Zeugnis ab. Werden Risiken global als niedrig eingeschätzt, wertet der Yen in der Regel ab. Dieser Faktor wiegt derzeit einfach stärker, als es dieser kleine Zinsschritt vermag, die Zinsdifferenz ein wenig einzuengen. Dem Status als Funding-Währung ist also längst noch kein Abbruch getan. Um sogenannte Carry-Trades, die Yen „short“ gehen, unattraktiv zu machen, muss schon einiges mehr passieren. Entweder hebt die BOJ ihren Zins weiter an, oder die anderen machen mit Zinssenkungen Ernst. Da sprechen wir uns vielleicht in Juni wieder.

Die Kehrseite bildet ein unvorhersehbares Ereignis, durch das die Volatilität bzw. die Risikoaversion womöglich explodiert. In dem Moment käme es zu einem Run zurück in den Yen und einer entsprechenden Aufwertung.

Wirkung auf Haushalte und Unternehmen

In welchem Ausmaß die Zinserhöhung(en) durch die BOJ auf Haushalte einerseits und Unternehmen anderseits wirken, hängt ebenfalls zu großen Teilen vom Pfad der Währung ab. Für die Konsumenten sind letztendlich die Reallöhne entscheidend. Werden höhere Nominallöhne aus der Shunto-Runde durch aus Yen-Schwäche importierte Inflation aufgezehrt, wird es schwierig mit Wachstum im Konsum. Der größte Stimulus käme hier also von einem stärkeren Yen. Auf Seiten der Unternehmen ist der Yen real derart unterbewertet (siehe oben), dass selbst eine Aufwertung um 20 % den Exportsektor immer noch wettbewerbsfähig ließen.

Fazit: Boomerang Yen

Bis dato hören wir lediglich vom japanischen Finanzministerium Warnungen vor einer übermäßigen Abwertung des Yen. Interventionen am Devisenmarkt wie zuletzt im November 2022 sind zwar Sache des Finanzministeriums, aber eine ungezügelte Abwertung mit USD/JPY-Kursen jenseits der Schallmauer von 152 JPY per USD dürfte die BOJ in diesem Stadium nicht mehr kalt lassen. Entsprechend gab es auf der Pressekonferenz wenn auch in einem Nebensatz den Hinweis, dass dieses Mal auch mit einer Zinserhöhung reagiert werden dürfte. Der Markt geht angesichts der positiven Erwartung zum Wachstum in Japan durch die BOJ davon aus, dass im Juli und/oder Oktober weitere Zinsanhebungen anstehen könnten. Der Yen dürfte dann auch eher zur Trendwende bereit sein.

Christian Eggers

Senior FX Trader

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