Der Wochenkommentar

Deutschland: Strukturell schwach aufgestellt

November 2023 Die USA haben einen erneuten Shutdown abwenden können, aber das Problem ist nicht gelöst, sondern auf Anfang des nächsten Jahres verschoben. Anhaltende Blockaden in Washington sind langfristig schädlich für die USA.
Ein Kommentar von Dr. Tariq Chaudhry

Dr. Cyrus de la Rubia

Der neue, wenig erfahrene republikanische Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Mike Johnson, steht nun vor ähnlichen Herausforderungen wie sein Vorgänger McCarthy: Der Übergangshaushalt der Regierung wäre am 17. November dieses Jahres ausgelaufen, ohne dass sich die Republikaner auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen konnten. Johnson schlug eine zweistufige Überbrückungslösung vor, die die Finanzierung von militärischen Bauvorhaben, Veteranenangelegenheiten, Verkehr, Wohnungsbau und Energieministerium bis zum 2. Februar sicherstellt. Alle anderen Bereiche sollen nur bis zum 19. Januar finanziert werden. Beide Gesetzentwürfe enthalten keine zusätzlichen Hilfen für Israel oder die Ukraine.

Obwohl prominente Hardliner Johnsons Plan kritisierten, da dieser aus ihrer Sicht Ausgabenkürzungen aussparte und den Grenzschutz an der mexikanischen Grenze vernachlässigte, wurde sein zweistufiger Gesetzentwurf im US-Repräsentantenhaus mit 209 Demokraten- und 127 Republikaner-Stimmen angenommen. 93 Republikaner und zwei Demokraten votierten dagegen. Ersten Reaktionen republikanischer Hardliner zufolge droht Johnson allerdings nicht das Schicksal von Kevin McCarthy, aus dem Amt des Sprechers des Repräsentantenhauses geschasst zu werden. Offenbar wird der mögliche Imageschaden für die Republikaner, als nichtregierungsfähige Partei wahrgenommen zu werden, als zu groß empfunden. Zwar ist der Shutdown zum 17. November nun abgewendet, doch die Deadline für den nächsten Showdown steht Anfang nächsten Jahres an. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, insbesondere im Hinblick auf die politischen Konflikte in Washington bezüglich der Schuldenfrage.

Schuldenberg wächst

Wenn man einen Schritt von den aktuellen Auseinandersetzungen in Washington zurücktritt und eine erweiterte Perspektive einnimmt, wird deutlich, dass der Kern des Streits zwischen den verschiedenen Fraktionen der Umgang mit dem stetig wachsenden Schuldenberg der USA ist. Die aktuelle Verschuldung der USA beläuft sich auf knapp 34 Billionen USD und entspricht etwa 123 % des Bruttoinlandsprodukts. Das Defizit des Bundeshaushalts wird voraussichtlich im Haushaltsjahr 2023 auf etwa 2 Billionen Dollar ansteigen und sich im Vergleich zum Vorjahr damit etwa verdoppelt haben, so die steuerpolitische Überwachungsgruppe „Tax Foundation“. Dies ist das dritte Mal in der Geschichte der USA, dass das laufende Haushaltsdefizit die Marke von 2 Billionen USD durchbricht, zuvor war dies während der Jahre 2020 und 2021 zu beobachten. Durch einen entschlossenen fiskalpolitischen Impuls, der durch Schuldenaufnahme finanziert wurde, gelang es den USA, nach einer kurzen und schmerzhaften Rezession auf den Wachstumspfad der Vorpandemiezeit zurückzukehren.

Dieses Defizit ist anders

Das diesjährige Defizit gibt aus mehreren Gründen Anlass zur Sorge: Erstens ist der Zeitpunkt des Defizits beunruhigend, da hohe Haushaltsdefizite normalerweise nicht in Zeiten einer kräftig wachsenden Wirtschaft auftreten. Diese Entwicklung ist historisch gesehen ungewöhnlich, da Wirtschaftswachstum normalerweise zu höheren Steuereinnahmen führt. Zweitens sind die Steuereinnahmen ungewöhnlich stark gesunken, hauptsächlich aufgrund eines massiven Rückgangs um etwa 9 Prozent (455 Mrd. USD), während die Ausgaben sogar um etwa 1 Prozent gefallen sind (141 Mrd. USD). Dies resultiert aus umfassenden Steuersenkungen in den vergangenen Jahren, einschließlich der Trump-Steuerreform von 2017. Obwohl die Auswirkungen vorhersehbar waren, fielen die tatsächlichen Einnahmen niedriger aus als erwartet, bedingt durch verschiedene Faktoren wie deutlich gesunkene Kapitalertragsteuern (aufgrund von Schrumpfungen des Aktien- und Immobilienmarktes), geringere Zolleinnahmen sowie Steuerfristenänderungen. Der dritte Grund für das steigende Haushaltsdefizit ist der wachsende Anteil der Zinsausgaben an den Gesamtausgaben. Die Zinsen für 10-jährige Staatsanleihen liegen derzeit bei etwa 5 Prozent, deutlich höher als in den letzten Jahren. Dies belastet den Haushalt der US-Bundesregierung erheblich, besonders zu einem Zeitpunkt, an dem die Defizite und die Neuverschuldung ohnehin steigen. Allein im letzten Jahr gab die US-Regierung 659 Milliarden US-Dollar aus, um die Zinsen auf die Staatsschulden zu bedienen. Die höheren Zinskosten führen dazu, dass andere Ausgaben verdrängt werden.

Unversöhnliche Positionen

Die Lösungsansätze der beiden großen US-Parteien hinsichtlich der Defizitreduktion könnten nicht unterschiedlicher sein. Die Republikaner betonen seit über einem Jahrzehnt die Gefahren hoher Defizite in den USA, obwohl regelmäßig gerade unter republikanischen Präsidenten umfangreiche Steuersenkungen verabschiedet wurden, was zu einem fortgesetzten Anstieg der Defizite führte. Heutzutage fordern Republikaner, um das Haushaltsdefizit zu verkleinern, verstärkt die Reduzierung staatlicher Ausgaben und der Größe des Staates anzugehen sowie den Verzicht auf zusätzliche Einnahmenerhöhungen. Die Demokratische Perspektive tendiert hingegen zur Erhöhung von Steuern und Maßnahmen zur Verbesserung der Steuereinnahmen mit äußerst vagen Vorschlägen. Demokraten sehen langfristig höhere Steuereinnahmen als notwendig an und setzen auf Defizitreduktion durch diese Maßnahmen, insbesondere in Form von höheren Steuern für Unternehmen und Wohlhabende. Die Wahrheit liegt laut Steuerexperten allerdings dazwischen: Eine nachhaltige Lösung zur Stabilisierung des US-Haushaltsdefizits erfordert eine Kombination aus zwei Elementen: Erstens, einige Steuererhöhungen (bei Vermögen, Kapital und Arbeitseinkommen), die allerdings von den Republikanern grundsätzlich abgelehnt werden. Zweitens, Ausgabenkürzungen, die hingegen von den Demokraten tendenziell abgelehnt werden. Die unversöhnlichen Positionen stehen einer nachhaltigen Lösung des Defizitproblems im Weg, besonders im Zuge des anlaufenden Präsidentschaftswahlkampfes, in dem sich die Parteien traditionell in ihren dogmatischen Haltungen eher verfestigen.

Shutdowns sind schädlich

Die verhärteten Positionen, einerseits innerhalb der republikanischen Partei und andererseits zwischen Republikanern und Demokraten, deuten darauf hin, dass der nächste Konflikt um den Haushalt für Anfang 2024 vorprogrammiert ist. Der Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Mike Johnson, befindet sich in einer heiklen Situation: Zu viel Kooperation mit den Demokraten könnte – wie McCarthy im Oktober 2023 widerfahren – seinen persönlichen Rausschmiss bedeuten, während zu viel Kooperation mit den Hardlinern in den Reihen der Republikaner die Gefahr birgt, dass Entscheidungen des Repräsentantenhauses hinterher im demokratisch dominierten US-Senat blockiert werden, der die Beschlüsse des US-Repräsentantenhauses bestätigt muss. Solche Blockaden könnten zum Ausbleiben eines neuen Haushaltsbeschlusses und damit zu Shutdowns führen, die die Funktionsfähigkeit des Staates erheblich beeinträchtigten.

Die Auswirkungen von Shutdowns auf Bundesangestellte sind gravierend und unterschiedlich. Die meisten werden in den Zwangsurlaub geschickt, was zu geschlossenen Nationalparks und -wäldern führen kann. Zudem können staatlich veröffentlichte Daten zum Arbeitsmarkt und zur Inflation verspätet oder gar nicht erscheinen, was mögliche Auswirkungen auf Finanzmärkte, Politik und Zentralbanken weltweit hat. Einrichtungen, wie das Militär, die Flugverkehrskontrolle und die Strafverfolgung, gelten als essentiell und arbeiten ohne Gehaltszahlung weiter, erhalten jedoch nach Beendigung des Shutdowns rückwirkend ihr Gehalt. Im Falle eines Shutdowns rund um den Bundeshaushalt besteht jedoch nur sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass die USA ihre Staatsschulden nicht bedienen können. Das Finanzministerium kann voraussichtlich weiterhin pünktlich Zinsen auf die US-Staatsschulden zahlen und so einen Zahlungsausfall vermeiden. Denn die USA haben eine Vielzahl von Einnahmequellen, wie Steuereinnahmen und andere Einnahmen (Gebühren, Lizenzen, Zölle etc.) um die Schuldendienstverpflichtungen zu bedient.

Fazit

Die direkten Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum durch einen Shutdown sind nach neueren Schätzungen von Goldman Sachs gering und wurden für das Jahr 2019 mit nur einem negativen Einfluss von 0,02 Prozentpunkten auf das Gesamtjahreswachstum des Bruttoinlandsproduktes ermittelt. Der eigentliche Schaden für die USA liegt jedoch im (internationalen) Vertrauensverlust durch die andauernden politischen Querelen in Washington. Die Ratingagentur Moody's hat mit ähnlicher Begründung jüngst den Ratingoutlook als letzte der drei großen Agenturen, die noch ein AAA vergibt von "stable" auf "negative" gesenkt. Es müssen bald mehr vertrauensbildende Signale aus Washington kommen, was aber aktuell nicht erkennbar ist. Es scheint, als ob der Sprecher des Repräsentantenhauses im konfliktgeladenen Umfeld kaum mehr als Übergangs-finanzierungen des Haushalts erreichen kann. Das ist eine bittere Erkenntnis nach dem Schlagabtausch der letzten Monate: Die Funktionsfähigkeit des Staates ist entscheidend für das Vertrauen in demokratische Institutionen. Anhaltende Beeinträchtigungen könnten nicht nur das demokratische System aushöhlen, sondern auch weltweit Misstrauen gegenüber der Handlungsfähigkeit der US-Regierung schüren. In Anbetracht zunehmender geopolitischer Risiken und dem Gegensatz zu den sich ausbreitenden autokratischen Regierung wäre dies ein bedenkliches Signal.

Dr. Tariq Chaudhry

Dr. Tariq Chaudhry

Economist

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