Der Wochenkommentar

Vor einem Ölpreisschock?

Oktober 2023 Mit dem Angriff der Terrorgruppe Hamas auf Israel ist auch der Ölmarkt kräftig durcheinander gewirbelt worden. Im Zentrum steht dabei die Drohung des Iran, die Straße von Hormus zu blockieren. Das hätte dramatische Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Wir beantworten dazu die wichtigsten Fragen.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Wo befindet sich die Straße von Hormus und wieso ist sie so wichtig für die Weltwirtschaft?

Die Straße von Hormus liegt zwischen der arabischen Halbinsel und dem Iran, die durch den Persischen Golf voneinander getrennt sind. Öltanker, die im Persischen Golf beladen werden, müssen durch die Straße von Hormus, wenn sie andere Länder beliefern wollen. Durch die Straße von Hormus werden etwa 20% des täglich verbrauchten Erdöls durchgeschleust. Das sind rund 20 Millionen Barrel vor allem an Rohöl aber auch Ölprodukten, also raffinierte Produkte wie beispielsweise Diesel. Hauptsächlich das Erdöl von den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien, Kuwait, Irak und dem Iran wird auf diesem Weg befördert. Katar transportiert auf diesem Weg aber auch sein LNG Gas. Katar hat immerhin einen globalen Marktanteil von rund 4%, das ist nicht unerheblich, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die EU kaum noch Erdgas aus Russland beziehen kann.

Die Straße von Hormus ist an der engsten Stelle nur 33 km breit – bei einer Breite der Spurrinne von nur 3 km. Sollte der Iran diese Durchfahrt blockieren wollen, ließe sich das also relativ leicht bewerkstelligen.

Mit einer Blockade der Straße von Hormus würde also der Ölpreis massiv in die Höhe springen und unter Umständen eine globale Rezession auslösen (Näheres dazu weiter unten).

Wie real ist diese Drohung vom Iran die Straße zu blockieren?

Da bewegt man sich in einem hochgradig spekulativen Bereich. Wenn man sich die Angelegenheit mit der ökonomischen Brille anschaut, dann macht es für den Iran natürlich wenig Sinn, die Straße von Hormus zu blockieren, weil seine Ölexporte die Straße passieren müssen. Allerdings muss man auch feststellen, dass die Ausfuhren Irans durch die Sanktionen wesentlich niedriger liegen als das früher der Fall war. Bisher hat der Iran seine Blockadedrohungen nie wahr gemacht.

Nun ist es so, dass ökonomische Gründe häufig nicht die entscheidende Rolle spielen. Es gibt in dieser Welt offensichtlich viele Entscheidungsträger, die sich von anderen Dingen leiten lassen, etwa von fanatischen Ideen, die sie wenig kalkulierbar machen. Der Krieg zwischen der Hamas und Israel macht irrationale Entscheidungen schlichtweg wahrscheinlicher. Daher kann man auch eine Blockade der Straße von Hormus nicht ausschließen.

Welche Rolle spielen da die Nachbarstaaten?

Auch das ist eine sehr spekulative Angelegenheit. Die Anrainerstaaten des Persischen Golfs, also Saudi-Arabien, der Irak, Kuwait, Iran selber, Katar mit seinem Erdgas und die Vereinigten Arabischen Emirate sind ganz offensichtlich auf funktionierende Schifffahrtswege angewiesen, das ist wenn man so will ihre Lebensader.

Insofern wäre es nur natürlich, wenn diese Länder Druck auf den Iran ausüben würden, um das Land von einer Blockade abzuhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Saudi-Arabien und der Iran Erzfeinde sind, beide streben die Hegemonie in dieser Region an. Es ist schwer vorstellbar, dass sich diese beiden Mächte zusammentun, selbst wenn sie beide Israel feindlich gesinnt sind.

Aber es spielen hier nicht nur die Anrainerstaaten des Persischen Golfs eine Rolle, sondern auch die Länder, die das Öl von dort beziehen. Früher waren das Europa und die USA, heute ist es vor allem Asien und hier spielt China eine wichtige Rolle. China hat zwar Interesse an einer neuen Weltordnung, aber überhaupt kein Interesse daran, dass es auf einmal beispielsweise das Doppelte für Ölimporte zahlen soll und seine ohnehin fragile Wirtschaft noch stärker in Mitleidenschaft gezogen wird. Insbesondere China dürfte daher erheblichen Druck auf den Iran ausüben.

Gibt es alternative Handelsrouten, um das Erdöl am Weltmarkt zu verkaufen?

Ja. In der Vergangenheit gab es viele kritischen Vorfälle in der Straße von Hormus, aber eine dauerhafte Blockade dieser Meerenge hat es nie gegeben. Was es allerdings gab, war der Tankerkrieg im Persischen Golf während des Iran-Irak-Krieges, der fast die gesamten 1980er Jahre beherrscht hat. Hier sind hunderte von Tankern auf der irakischen und der iranischen Seite angegriffen worden, der Persische Golf war kein sicheres Gewässer mehr. Das war die Zeit, in der Saudi Arabien die Ost-West-Pipeline zum Roten Meer gebaut hat, mit einer Kapazität von anfangs 5 Millionen Barrel pro Tag, die aber mittlerweile offensichtlich auf 7 Millionen Barrel pro Tag ausgebaut wurde. Das ist ein bedeutendes Volumen, bedenkt man, dass Saudi-Arabien derzeit 9 Millionen Barrel pro Tag fördert und davon knapp 6 Millionen Barrel pro Tag exportiert.

Jedoch produzieren der Irak, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait zusammen etwa so viel wie Saudi- Arabien und deren Infrastruktur ist - soweit das uns aus Berichten ermittelbar war – weniger umfassend ausgebaut als die von Saudi-Arabien.

Außerdem ist zu bedenken, dass auch Pipelines verletzlich sind. Zuletzt haben die Houti-Rebellen aus dem Jemen 2019 die Pipeline Infrastruktur Saudi-Arabiens angegriffen. Die Saudis haben die Schäden innerhalb weniger Tage wieder reparieren können, aber es zeigt eben, dass auch hier Schaden angerichtet werden kann.

Welche Folgen hätte eine Blockade der Straße von Hormus für die Weltwirtschaft?

Zunächst stellt sich die Frage, wie stark der Ölpreis steigen würde. 2008 wurde das bisherige Allzeithoch erreicht, das waren knapp 150 US-Dollar pro Barrel der Sorte Brent. 2022 nach dem Überfall der Ukraine durch Russland und der daraus resultierenden Energiekrise erreichte der Ölpreis rund 130 US-Dollar pro Barrel. Könnte der Ölpreis bei einer Blockade der Straße von Hormus jetzt noch darüber hinaus steigen? Sicher, das ist vorstellbar, denn wir haben eine derartige Blockade noch nie gesehen, in einer ersten Reaktion ist ein Ölpreis von 200 US-Dollar sicher denkbar.

Weiter ist zu differenzieren, ob dieses Preisniveau über einen längeren Zeitraum anhält oder nur vorübergehend ist. In der Vergangenheit war häufig zu beobachten, dass der Ölpreis in kürzester Zeit auf Rekordwerte stieg. Kurz danach ist der Ölpreis aber auch wieder deutlich gefallen. Denn Ölpreise auf Rekordniveaus zerstören auch Nachfrage, d.h. die Menschen weichen dann, wenn es irgend möglich ist, auf öffentliche Verkehrsmittel aus, fahren langsamer und sparen dadurch Benzin und Industrieunternehmen stellen zeitweise auch die Produktion ein, um auf bessere Zeiten zu hoffen. Unter anderem deswegen war dann in der Vergangenheit der Spuk der extrem hohen Ölpreise innerhalb von wenigen Monaten wieder vorbei. Einen derart begrenzten Zeitraum können die meisten Unternehmen noch ganz gut überbrücken. Wenn also der Ölpreis nur für ein oder zwei Monate neue Spitzenwerte erreicht, dann ist das zwar schmerzhaft, aber es dürfte nicht reichen, um eine globale Rezession auszulösen. Wenn die Anspannungen aber länger anhalten und der Ölpreis nach dem Erreichen von 200 US-Dollar/Barrel nur auf 150 US-Dollar/Barrel sinkt und dann auf diesem Niveau sechs Monate oder gar länger bleibt, dann ließe sich eine globale Rezession wahrscheinlich nicht mehr vermeiden.

Und hier haben wir zwei Kanäle, über die der Energiepreisschock wirkt. Das ist zum einen der Anstieg der Öl und Gaspreise selber, der besonders energieintensive Industrien in Schwierigkeiten bringt. Und das ist der daraus resultierende Inflationsschock, der die Notenbanken in Schwierigkeiten bringt bzw. zu höheren Zinsen führt. Zinssenkungen sind dann kaum noch möglich, im Gegenteil, es würden wohl wieder Diskussionen über einen weiteren Zinsanstieg geführt werden. Die ohnehin schon hohen Zinsen könnten also weiter steigen. Das hätte auch Implikationen für nettoölimportierende Länder wie China. Sie würde ein Doppelschlag treffen, eine Kombination aus höheren Importrechnungen und höheren Zinsen, die den Wechselkurs massiv unter Druck bringen und die Import weiter verteuern würde. Eine Leistungsbilanzkrise könnte sich daraus ergeben. China würde in dieser Situation vermutlich versuchen seine Kapitalverkehrsbeschränkungen zu verschärfen.

Was sind mögliche Alternativen, um einen langfristigen Schock zu verhindern?

Es ist klar, dass massive diplomatische Anstrengungen, um im Nahen Osten dauerhafte Stabilität zu gewährleisten, am ehesten zur Entspannung an den Energiemärkten führen würden, wenn diese Anstrengungen erfolgreich wären. Danach sieht es derzeit sicher nicht aus.

Insofern stellt sich die Frage, wie man auf andere Weise höheren Energiekosten entgehen kann. In den USA ist die strategische Ölreserve bereits massiv angezapft worden. Aber je stärker man diese in Anspruch nimmt, desto mehr verliert dieses Instrument an Glaubwürdigkeit. Das ist so ähnlich, wie wenn eine Notenbank ihre Währung verteidigt, aber sich die Währungsreserven dem Ende neigen, dann geht die Spekulation gegen diese Währung erst richtig los. Hier muss man also sehr vorsichtig sein. Tatsächlich ist der Bestand der strategischen Reserve in den USA gegenüber dem Jahr 2021 fast halbiert worden. Würde die Biden-Administration täglich 5 Millionen Barrel pro Tag zum Verkauf freigeben, dann wäre der Vorrat nach 70 Tagen erschöpft. Die EU-Länder verfügen ebenfalls über strategische Ölreserven, die grundsätzlich auch eingesetzt werden könnten. Ansonsten hat man in Deutschland in Reaktion auf den Ausfall der Gaseinfuhren aus Russland Maßnahmen ergriffen und zahlreiche LNG Terminals aufgebaut.

Darüber hinaus geht es darum, alternative Energiequellen aufzubauen, und damit sind in erster Linien die erneuerbaren Energien gemeint, aber auch der Ausbau der Stromtrassen in Deutschland und Europa. Sicher wird auch die Diskussion um Atomkraftwerke wieder belebt werden und einige Beobachter werden auch zugunsten von Fracking in Niedersachsen argumentieren, um Gas hierzulande wieder zu fördern.

Muss man jetzt mit dauerhaft steigenden Ölpreisen rechnen?

Das hängt offensichtlich davon ab, wie lange diese Krise dauert, was niemand seriös vorhersagen kann. In solchen Situationen ist zunächst in jedem Fall noch mit hoher Volatilität zu rechnen. Aber mit Blick auf die Nachfrageseite erwarten wir eine Eintrübung der Konjunktur in den USA und auch China wird langsamer wachsen. Damit sind zwei der Top-Ölverbraucher betroffen. Das wird die Nachfrage nach Öl dämpfen und daher erwarten wir für das kommende Jahr deutlich niedrigere Ölpreise.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

Zum Kontaktformular