Der Wochenkommentar

Weltwirtschaft - Schwaches Wachstum, unzureichend fallende Inflation

September 2023 Der Nebel in der Weltwirtschaft lichtet sich für das laufende Jahr, und auch für 2024 können schon konkretere Aussagen getroffen werden.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Das Jahr 2023 ist schon recht weit fortgeschritten, sodass man schon relativ klar sehen kann, wie beispielsweise die Wachstumszahlen für das laufende Jahr aussehen und wo die Notenbanken am Ende des Jahres mit ihren Leitzinsen landen werden. Auch für die Renten-, Aktien- und Devisenmärkte sowie das Geschehen an den Ölmärkten lassen sich für die verbleibenden Monate in diesem Jahr etwas konkretere Aussagen treffen. Gleichzeitig steigt auch das Interesse an der Frage, wie es denn im nächsten Jahr weitergehen wird. Wir geben an dieser Stelle einen Überblick, der in unserer Publikation Finanzmarkttrends näher ausgeführt wird.

Weltwirtschaft ohne Saft und Kraft

In der Weltwirtschaft kommt keine nachhaltige Wachstumsdynamik auf. In den USA darf man zwar mit einem sehr starken dritten Quartal rechnen und die Resilienz der US-Wirtschaft ist bemerkenswert. Aber zahlreiche Risiken lauern und machen eine etwas ausgeprägtere Schwächephase zum Jahreswechsel wahrscheinlich. Wir rechnen in diesem Jahr mit einem Wachstum von 2,4 % und in 2024 mit einem Wachstum von 1,6 %. Die Eurozone dürfte im dritten Quartal in eine Rezession eingetreten sein, angeführt durch Deutschland. Die anderen Euroländer sehen etwas stabiler aus, aber eine kurze, zwei Quartale andauernde Rezession werden sie für die Währungsunion wohl nicht verhindern können. Wir prognostizieren ein Gesamtwachstum für 2023 von 0,7 % und für 2024 von 0,9 % für die Eurozone. Deutschlands BIP wird hingegen 2023 um voraussichtlich 0,6 % sinken und 2024 nur um 0,9 % steigen. China wiederum zeigt derzeit, nachdem die meisten Analysten ihre Prognosen herunterrevidiert hatten, etwas mehr Dynamik als erwartet. Mehr als 5 % Wachstum ist in diesem Jahr aber unwahrscheinlich. Im kommenden Jahr dürften sogar 3 % unterschritten werden. Die Weltwirtschaft wird daher im folgenden Jahr mit prognostizierten 2,6 % weniger wachsen als in diesem Jahr (2,9 %). Der Welthandel kommt in diesem Umfeld nicht in Schwung, sondern dürfte in diesem Jahr stagnieren, nachdem er zuletzt sogar geschrumpft ist. Für das kommende Jahr erwarten wir eine moderate Erholung.

In der Eurozone gilt für die Notenbank „higher for longer“

Das Wirtschaftswachstum der Eurozone dürfte im laufenden Jahr lediglich 0,7 % betragen. Für das laufende zweite Halbjahr gehen wir von einer Rezession aus. Während zunächst vor allem das Verarbeitende Gewerbe und der Bausektor begannen, auf die Bremse zu treten, hat sich jetzt auch der Dienstleistungssektor dazugesellt. Im Verarbeitenden Gewerbe, dessen Aktivität seit Jahresbeginn von einem kontinuierlichen Lagerabbau gedämpft wird, könnten zum Beginn des nächsten Jahres die Lager allmählich wieder aufgefüllt werden. Das würde dem Sektor einen positiven Impuls verleihen. Der Dienstleistungssektor könnte im Laufe des nächsten Jahres von einer niedrigeren Inflation und höheren Nominallöhnen profitieren. Derzeit steht der Sektor aber noch unter Druck, weil viele Menschen ihre Ausgaben im Sommer in einer Art Corona-Nachholeffekt für Freizeitaktivitäten und besonders Reisen kräftig erhöht haben. Jetzt dürften die privaten Haushalte daher stärker auf ihr Portemonnaie achten. Die EZB hat im September die Zinsen ein weiteres Mal erhöht, aber signalisiert, dass jetzt das Ende des Zinserhöhungszyklus erreicht ist. Zinssenkungen erwarten wir für das kommende Jahr nicht, da das Inflationsziel weiterhin verfehlt werden dürfte.

Deutschland ist nicht der „kranke Mann Europas“

Deutschlands Wirtschaft, die bereits im ersten Halbjahr sehr schwach auf der Brust war, ist unserer Ansicht nach im zweiten Halbjahr in eine Rezession eingetreten, die zwei Quartale andauern dürfte. Dies wird durch die HCOB PMI-Frühindikatoren untermauert. Für das Gesamtjahr bedeutet dies eine Schrumpfung des BIP um voraussichtlich 0,6 %. Im kommenden Jahr erwarten wir eine Expansion von 0,9 %. Das Verarbeitende Gewerbe befindet sich laut monatlichen Produktionsdaten seit dem zweiten Quartal in einer Rezession. Im Dienstleistungssektor rechnen wir im dritten Quartal mit einem Rückgang der Aktivität, der sich auch im vierten Quartal fortsetzen sollte. Im Bausektor befindet sich vor allem das Wohnungsbausegment in einer tiefen Rezession, die sich angesichts der fallenden Bauanträge bis auf Weiteres fortsetzen wird. Die Arbeitslosenrate steigt leicht, aber weiterhin klagen die meisten Unternehmen über Arbeitskräfteknappheit. Das von uns erwartete Wachstum dürfte durch einen Wiederaufbau der zuletzt abgebauten Lagerbestände, höhere Nominallöhne und eine nachlassende Inflation (die der Kaufkraft hilft) in Gang kommen.

Resiliente US-Wirtschaft, aber vor einer Verlangsamung nicht gefeit

Die US-Wirtschaft zeigt sich weiterhin sehr resilient. Für das laufende Quartal kalkuliert unser Nowcast-Modell ein Wachstum von über 5 % (annualisierte Rate). Im vierten Quartal dürfte sich das Wachstum jedoch kräftig verlangsamen und zu Beginn des nächsten Jahres könnte es sogar zu einer Schrumpfung des BIP kommen. Dafür verantwortlich sind Faktoren wie das Ende des Moratoriums für Studentenkredite, ein drohender Government-Shutdown, der gestiegene Ölpreis und natürlich die verzögerten Effekte der kräftigen Zinserhöhungen. Zuletzt sind auch die langfristigen Renditen sprunghaft gestiegen und haben die Finanzierungsbedingungen entsprechend verschärft. Die Fed hat zuletzt keine weiteren Zinserhöhungen durchgeführt, aber die Fed-Mitglieder halten mehrheitlich einen weiteren Zinsschritt in diesem Jahr für angemessen. Für das kommende Jahr erwartet die Fed nur noch zwei Zinssenkungen, was sich mit unserer Einschätzung deckt.

China stabilisiert sich, aber Wachstum dürfte nächstes Jahr 3% unterschreiten

Nach einem enttäuschenden ersten Halbjahr deuten die Schlüsselindikatoren auf eine mögliche Stabilisierung der chinesischen Volkswirtschaft im dritten Quartal hin. Daher belassen wir unsere Wachstumsprognose für China im Jahr 2023 bei 5,0 %. Der Dienstleistungssektor verzeichnet jedoch ein schwächeres Wachstum, während die Industrieproduktion optimistische Signale sendet. Der schwer angeschlagene Bausektor kann etwas aufatmen, da die Regulierungsmaßnahmen gelockert wurden, um den Markt zu unterstützen. Für 2024 prognostizieren wir aufgrund struktureller Probleme weiterhin nur ein Wachstum von 2,8 %.

Aktienmärkte haben ihren Peak vorläufig erreicht

Die Aktienmärkte in den USA und der Eurozone haben sich in den letzten Monaten von den Verlusten des Bärenmarktes 2022 erholt, hauptsächlich dank einer starken US-Wirtschaft. Langfristig sehen wir in den USA eine Bewegung nach unten, da die Ersparnisse der US-Haushalte aus Pandemiezeiten schmelzen und Studentenkreditzahlungen, die ab Oktober fortgesetzt werden, das Wirtschaftswachstum verlangsamen dürften. In der Eurozone könnte der Tourismussektor in den nächsten Quartalen gut abschneiden, aber insgesamt ist auch hier das Aufwärtspotenzial begrenzt. In 2024 ist Wahljahr in den USA, dort rechnen wir mit erhöhter Marktvolatilität, besonders wenn die Demokraten das Amt des Präsidenten verlieren. Sektoren wie Gesundheit und Energie würden von einem Machtwechsel stärker betroffen sein. Weiter steigende langfristige Renditen an den Anleihemärkten könnten dem Aktienmarkt weiter zusetzen.

Euro ist angeschlagen, hat aber Erholungspotenzial

Die US-Konjunktur präsentiert sich trotz aller Zinserhöhungen durch die Fed immer noch robust. Aus der nun eingelegten Pause speist sich mehr und mehr das Szenario des Soft-Landing. Dies verleiht den USA eine Art Ausnahmestellung, denn in Europa kämpft man mit einer vergleichsweise höheren Inflation, was sich auch in Anbetracht von Chinas Wachstumsschwäche belastender auf die europäische Konjunktur auswirkt. Global spricht man hinsichtlich der Notenbankzinsen von „Höher für Länger“. Dies mag dem Dollar noch so lange zugute kommen, bis der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik schließlich tiefere Spuren hinterlässt. Die hohe Verschuldung des US-Staatshaushaltes kann dann schnell zum Pferdefuß werden.

Nachlassendes Wachstum in den USA und China spricht für wieder fallende Ölpreise

Die OPEC Plus pumpte in den letzten Monaten, ausgelöst durch die saudi-arabischen und russischen Quotenkürzungen, weniger Rohöl aus der Erde in den Markt. Die Organisation kündigte an, dass die freiwilligen Kürzungen bis zum Jahresende bestehen bleiben sollen. Der Ölpreis ist aufgrund der Politik der OPEC Plus gestiegen. Zeitweise könnte auch die Marke von 100 US-Dollar/Barrel überschritten werden. Angesichts eines von uns erwarteten nachlassenden US-Wachstums und einer schwachen Expansionsrate in China rechnen wir im kommenden Jahr aber wieder mit niedrigeren Notierungen.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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