Der Wochenkommentar

Wird’s China richten? Pustekuchen!

Juli 2023 Die globale Konjunktur kühlt zusehends ab. Die Hoffnungen auf Wachstum lagen daher zu Beginn des Jahres auf China, das als letztes der großen Ökonomien aus der Pandemie kam. Nach nur einem Quartal wird klar, dass der Rebound der Wirtschaft beendet ist. Peking fehlt zudem der Spielraum die Wirtschaft im großen Stil zu stimulieren.
Ein Kommentar von Dr. Tariq Chaudhry

Dr. Tariq Kamal Chaudhry

Als im Dezember 2022 die chinesische Führung beschloss, die drakonischen Coronamaßnahmen, die das Land gesellschaftlich wie wirtschaftlich an den Rand der Belastbarkeit gebracht hatten, abzuschaffen, nährte sie damit die Hoffnung auf eine rasche Erholung der chinesischen Wirtschaft. In einem sich ansonsten abkühlenden globalen Nachfrageumfeld hofften viele Beobachter damals, dass die durch die Coronabeschränkungen im Jahr 2022 um umgerechnet 2,6 Billion USD angeschwollenen Ersparnisse der chinesischen privaten Haushalte in ein „revenge spending“, also Einkäufe zur Kompensation der durch Corona verlorenen Lebenszeit, münden würden. Diese „Rache“ der Konsumenten sollte, so die Annahme, die chinesische Konjunktur in Form von außergewöhnlich hohem Wachstum während der ersten zwei Quartale des Jahres 2023 beflügeln. Die übrige Welt hoffte, dass ihre Wachstumsschwäche durch die neugewonnene Stärke Chinas zumindest abgemildert würde. Nach dem ersten starken Quartal 2023 in China mit ordentlichem Wachstum (+4,5 % J/J) haben sich die großen Hoffnungen auf China im zweiten Quartal nahezu vollständig verflüchtigt. Daher: Pustekuchen!

Industrie, Konsum und Investitionen schwächeln

Wenn wir von einem enttäuschenden Wachstum in China sprechen, reden wir keinesfalls von einer drohenden Rezession, wie in den USA, sondern eher von einer Verlangsamung des Wachstums. Eine Reihe von Wirtschaftsindikatoren können dafür exemplarisch herangezogen werden: So ist der Industrie-Output zwar noch im Mai um 3,5 % J/J angestiegen, jedoch liegt dieser Zuwachs deutlich unter dem April-Wert (+5,6 % J/J). Ähnlich verhält es sich mit dem Konsum: Gemessen in Einzelhandelsumsätzen gab es im Mai einen Anstieg um 12,7 % (J/J). Ein Umstand, der das hohe Wachstum der Einzelhandelsumsätze im Jahresvergleich unterstützte, war dabei die niedrige Ausgangsbasis des Jahres 2022, als in China weit verbreitete Ausgangssperren die Konsummöglichkeiten einschränkten. Auch die Investitionen haben sich verlangsamt: So war im Zeitraum Januar-April noch ein Wachstum von 4,7 % (J/J) zu verzeichnen gewesen; nun hat sich – als Folge eines schwachen Monats Mai - das Wachstum im Zeitraum Januar-Mai auf 4 % (J/J) abgeschwächt.

Exportrückgang, Immobilienkrise und Inflationssorgen

Es gibt allerdings auch Wirtschaftsindikatoren, die sogar ein deutlich düsteres Bild zeichnen: Der Außenhandel, der bisher für die chinesische Volkswirtschaft eine wichtige Säule des Wachstums darstellte, kann überhaupt nicht überzeugen. Im Juni 2023 sind die Exporte im Vorjahresvergleich um 12,4 % gefallen. Der Immobilienmarkt konnte auch mithilfe staatlicher Stützungsmaßnahmen seine Krise noch immer nicht abschütteln. Nach wie vor leiden insbesondere die Immobilienentwickler unter ihrem ramponierten Image, wodurch Banken und Kunden abgeschreckt werden. Besonders bemerkbar macht sich das bei dem Volumen der Wohnungsverkäufe im Mai; gemessen an der Wohnfläche gingen diese im Jahresvergleich um rund 20 % zurück. Unseren Berechnungen zufolge werden die Baubeginne daher im zweiten Quartal 2023 um voraussichtlich 9,2 % Q/Q fallen. Die Verbraucher- und Produzentenpreise scheinen sich momentan auch nicht bändigen zu lassen. Im Fall der Produzentenpreise befindet sich das Land, im Vergleich zu den Industrienationen, bereits in einer Deflationsphase. Der Erzeugerpreisindex (PPI) fiel im Juni im Jahresvergleich um 5,4 %, nach einem Rückgang um 4,6 % im Mai. Der Verbraucherpreisindex blieb im Jahresvergleich unverändert (0 %), sank aber im Vergleich zum Vormonat um 0,2 %. Die Preisentwicklung legt insbesondere die eklatante Schwäche des Konsums und der Industrie in China offen.

Narben der Vergangenheit

Für die aktuelle Schwäche der chinesischen Wirtschaft lassen sich vielfältige Gründe anführen: Als Werkbank der Welt ist China auf eine starke Nachfrage aus Industrienationen angewiesen, diese kühlt gerade zunehmend ab. Das belastet insbesondere die chinesische Industrie und die Exporte des Landes. Der Konsum in China hat strukturelle Probleme, dies zeigt sich u. a. in der hohen Sparquote der Haushalte (OECD; 2019: 34,8 % China vs. 9,1 % USA), da hiermit Schwierigkeiten offenbar werden, nach dem Vorbild der USA mehr Wachstum aus dem Binnenkonsum zu schaffen. Aus diesem Grund sind durch den Konsum kaum Wachstumsimpulse zu erwarten. Die Investitionen und der Immobilienmarkt leiden unter einem massiven Vertrauensproblem, da die teilweise willkürlichen Reformeingriffe der letzten Jahre den Glauben an die Solidität Chinas, an den Wirtschaftsstandort generell und an die Attraktivität des Immobilienmarktes speziell stark infrage gestellt haben. Weitere Herausforderungen ergeben sich aus der sich verschärfenden Rivalität zwischen den USA und China, die zu wachsender geopolitischer Unsicherheit und westlichen Technologiebeschränkungen geführt haben. Alles Aspekte, die China als Wirtschaftsstandort schwächen. Aber ein weiterer Aspekt, der mittlerweile zu wenig Aufmerksamkeit findet, ist, dass China wohl mit den Spätfolgen der Covid-Pandemie nach wie vor kämpft: Dieser Kampf beschränkt sich nicht nur auf die gesundheitliche Ebene, sondern vermutlich auch auf die wirtschaftliche Sphäre. Der ehemalige Finanzminister Chinas Lou Jiwei hat es kürzlich auf den Punkt gebracht: „Die durch die Pandemie verursachte Narbenbildung ist relativ schwerwiegend.“ Weiter führte er aus, dass es Zeit kosten werde, bis sich private Haushalte und Unternehmen von diesen Narben erholt hätten.

Keine guten Alternativen

Nun stellt sich die Frage, was die chinesische Führung gegen die eintretende Schwäche tun kann? Der hartnäckig schwache Konsum, die Vertrauensprobleme, die die Investitionen und den Bausektor schwächen, die verschärfte Rivalität zu den USA und die Nachwirkungen der Covid-Pandemie werden vor allem Zeit und viel politisches Geschick benötigen, um auch nur ansatzweise gelöst zu werden. Angesichts der akuten Herausforderungen muss aber auch über kurzfristige Lösungen nachgedacht werden. Diese sind im Falle Chinas alles andere als einfach. Wenn die Wirtschaft geldpolitisch gestützt wird, wie es bereits in Form von Leitzinsenabsenkungen jeweils in Höhe von 10 BP erfolgt ist, dann erscheint der Spielraum für die chinesische Zentralbank (PBoC) sehr beschränkt zu sein. Denn damit geht diese die Gefahr ein, dass der Abfluss von ausländischem Kapital, aufgrund der wachsenden Zinsdifferenz zu den US-Anleihen, größer wird und die Abwertung des schwachen Renminbi (aktuell bei 7,19 CNY/USD) sich fortsetzt. Eine beherzte fiskalpolitische Stützung ist ebenfalls nicht zu erwarten, denn die Zeit der Bazooka-artigen Infrastrukturprogramme scheint vorbei zu sein. Stimuli, wie die von Peking nach der Finanzkrise in den Nullerjahren auf den Weg gebracht (im Gesamtvolumen von 585 Mrd. USD), hatten nicht nur rasantes Wachstum zur Folge, sondern hinterließen auch nicht benötigte Infrastruktur – in Form von kaum genutzten Brücken und Autobahnen. Wir gehen davon aus, dass noch weitere Stützungsmaßnahmen durch Peking ergriffen werden, jedoch dürften sich diese eher als gezielte Eingriffe darstellen, z.B. für den Immobiliensektor, E-Fahrzeuge. Darin dürfte sich zeigen, dass die chinesische Führung durch vergangene Fehler geläutert wurde und neben dem Wachstum mittlerweile auch konkurrierende Zieldimensionen priorisiert, wie nationale Sicherheit, Schuldenkontrolle und qualitatives Wachstum.

Fazit

Für die akuten konjunkturellen Probleme Chinas gibt es keine schnellen und einfachen Lösungen. Damit scheint der Rebound der Wirtschaft, in den so viele (auch globale) Hoffnungen gelegt wurden, nach nur einem Quartal wieder zu Ende zu sein. Das Wirtschaftswachstum wird voraussichtlich beim Ausbleiben nennenswerter Stützungsmaßnahmen im Niveau weiter absinken. Es ist davon auszugehen, dass nach dem starken Wachstumsergebnis im ersten Quartal dieses Jahres (+4,5 % J/J) das zweite Quartal wahrscheinlich wesentlich schwächer ausfallen wird (Prognose: +0,5 % J/J). Für das Gesamtjahr 2023 haben wir daher die BIP-Erwartungen nach unten angepasst. Aktuell gehen wir davon aus, dass statt 5,8 % J/J lediglich ein BIP-Wachstum um 5 % J/J in 2023 erreicht wird. Das entspricht allerdings dem Wachstumsziel, das von der chinesischen Führung zu Beginn des Jahres ausgegeben wurde. Wer jetzt noch daran glaubt, dass Chinas Wirtschaft die globale Wirtschaft stützen kann, ist „Pustekuchen“ – „Pustekuchen“ im Sinne der jiddischen Ursprungsbedeutung dieses Wortes, also „wenig klug“.

Dr. Tariq Chaudhry

Dr. Tariq Chaudhry

Economist

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