Der Wochenkommentar

Zinsanstieg bremst Aufwärtstrend auf Immobilienmärkten – Konsolidierung beginnt

August 2022 Trotz zuletzt leichter Rückgänge, die Zeit äußerst niedriger Zinsen ist vorbei, und damit auch ihre jahrelange Stimulanz für die Immobilienmärkte. Nun suchen die Märkte ein neues Gleichgewicht. Ein Kommentar von Stefan Goronczy

Mit der durch den Ukraine-Krieg ausgerufenen Zeitenwende brechen auch neue Zeiten für die Immobilienmärkte an.

Zum einen hat mit dem Beginn des Krieges und den dadurch verschärften Lieferkettenengpässen die Inflation einen weiteren Schub bekommen, was zu einer Zinswende führte. Zehnjährige Bundesanleihen rentieren heute um mehr als einen Prozentpunkt höher als zum Jahresende 2021, langfristige Hypothekenzinsen liegen um gut 1,3 Prozentpunkte höher, auch wenn zuletzt ein Rücksetzer zu beobachten war. Letztere haben sich somit mehr als verdoppelt und machen den Immobilienerwerb deutlich teurer. Für noch mehr Haushalte als zuvor schon wird er unerschwinglich. Für Investor:innen nimmt hingegen die relative Attraktivität von Immobilien- gegenüber Zinsanlagen ab.

Zum anderen haben sich die Abwärtsrisiken für die Konjunktur aufgrund der hohen Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas und dessen Verfügbarkeit sowie seinen extremen Preissprüngen deutlich erhöht. Damit schauen die Gespenster von Stagflation oder gar Rezession durch das Fenster und erschrecken so manche Hausbesitzer:innen, die sich fragen, was das für Konsequenzen für ihre Immobilie haben könnte: Bei den Energiekosten, der Vermietbarkeit und den Mietpreisen sowie schließlich auch auf deren Wert.

Zinsen wichtig(st)er Treiber für Immobilienwertzuwäche

Der deutsche Immobilienmarkt erlebte nach Ende der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09 einen imposanten Aufschwung, der nun zu Ende zu gehen dürfte. Denn sein wichtigster Treiber, über praktisch den gesamten Zeitraum fallende Zinsen, kehrt sich nun um. In der letzten Dekade blieben für viele selbst nutzende Haushalte die steigenden Immobilienpreise durch die sinkenden Zinsen zunächst bezahlbar, in den letzten Jahren war das aber schon für immer weniger der Fall. Für Investor:innen wurden Immobilienanlagen währenddessen zunehmend attraktiver, denn sie erzielten mit der Vermietung deutlich höhere Renditen als bei risikoarmen festverzinslichen Wertpapieren, nicht zuletzt gegenüber risikolosen Bundesanleihen. Dieser Renditevorteil erreichte im Jahr 2016 mit einer Mietrendite von 4,5 % für dann erworbene Mehrfamilienhäuser in guten Wohnlagen gegenüber Bundesanleihen mit einer Rendite von 0,6 % einen Zenit von rund 3,9 Prozentpunkten. Seitdem sind Mietrenditen und Zinsen weiter gesunken, seit 2020 jedoch nur noch die Mietrenditen. Mit dem jüngsten rasanten Zinsanstieg, der seine Spitze im Juni bei den zehnjährigen Bundesanleihen mit 1,75 % erreichte, schrumpfte dieser Renditevorteil auf nur 1,5 Prozentpunkte. Das Extrem bilden die sehr guten Wohnlagen von München, wo der Renditevorteil nun nahezu verschwand. Dort rentierten neu erworbene Mietwohnungen Ende 2021 mit 1,9 %, d.h. es wurden Spitzenkaufpreise bezahlt, die der 53-fachen Jahresmiete entsprachen, der durchschnittliche sogenannte Vervielfältiger an der Isar lag beim 42-fachen. Dieser ist Ende Juni 2022 auf das 41-fache gesunken, die Brutto-Mietrendite stieg entsprechend auf gut 2,4 %. Diese berücksichtigt noch nicht, dass für das Mietshaus u. a. noch nicht umlagefähige Betriebskosten, Instands- und Verwaltungskosten anfallen. Mit der dann niedrigeren Nettorendite drängt sich ein Investment in den besten Münchner Wohnlagen derzeit nicht gerade auf. Es sei denn, man ist ein sehr überzeugter Optimist und erwartet auch weiterhin deutlich steigende Mieten – was angesichts eines bereits sehr hohen Mietpreisniveaus von bis zu rund 30 Euro je m² und einer durchschnittlichen (Kalt- )mietenbelastung der Haushalte von 35 % im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen jedoch schwerfällt. In den übrigen Metropolen liegt diese Quote immerhin auch bei gut 31 %, kleinere Großstädte bleiben mit 24 % hingegen erschwinglich. Dass die Preisspielräume in München enger sind als anderswo, spiegelte sich auch in den seit Jahresanfang stagnierenden Mieten. Insgesamt impliziert dies im zweiten Quartal 2022 einen leichten Rückgang der Marktwerte für Mietwohnungen in München, erstmals seit 2005. Seit Ende der Wirtschafts- und Finanzkrise sind die Preise neugebauter Wohnungen dort um rund 150% gestiegen, etwas mehr als der Durchschnitt aller Metropolen mit 134%. Diese Zuwächse übertreffen die der Mieten deutlich, die um 63% bzw. 57% stiegen. Die Differenzen sind nicht zuletzt auf den stimulierenden Zinsrückgang zurückzuführen.

Unterschiede bei den Nutzungsarten

Auch bei den anderen Nutzungsarten übertrafen die Zuwächse bei den Marktwerten die der Mieten. Mehr oder weniger war dies auch in allen Regionen zu beobachten, insbesondere allerdings in Metropolen wie Berlin, Hamburg, München und Frankfurt am Main. Bei Büroimmobilien in guten City-Lagen verdreifachten sich dort seit 2010 die Marktwerte, während die Mieten um 60 % zulegten. Bei Einzelhandelsimmobilien entwickelten sich die verschiedenen Typen jedoch unterschiedlich. So büßten Shopping-Center seit 2017 gut ein Drittel ihres Wertes und 18 % bei den Mietpreisen ein, weil der Strukturwandel hin zum Onlinehandel zu Buche schlug. Davon weitgehend unbelastet verdoppelten sich hingegen die Werte von Fachmarktzentren in Großstädten seit 2010, wobei deren Mieten nur um rund 15 % stiegen. Darin spiegeln sich Rückgänge der anfänglichen Spitzenmietrenditen von 2010 bis 2021 bei Fachmarktzentren von 6,0 % auf 3,9 % und bei Büroimmobilien in der Spitze von 5,2 % auf 2,7 % wider. Bei diesen rekordniedrigen Spitzenanfangsrenditen und den gestiegenen Zinsen droht sich der bislang positive Leverage-Effekt – die Hebelung der Eigenkapitalrendite durch Einsatz von günstigen Krediten – ins Negative umzukehren. Denn zuzüglich der Bankkreditmargen übertreffen die Zinsen die erzielbaren anfänglichen Renditen in einigen Spitzenmarktsegmenten, so nicht zuletzt die von Spitzenbüroobjekten in Berlin, deren Rendite Ende 2021 2,5 % betrug. Vor allem fremdkapitalorientierte Investor:innen prüfen nun ihre Finanzierungsstrukturen und Preisbereitschaften. So lange halten sie sich zurück und dürften darauf warten, dass potenzielle Verkäufer ihre hohen Preisvorstellungen zurückschrauben. Diese Marktreaktion warten auch manche eigenkapitalstarken institutionellen Investor:innen ab. In der Folge halbierte sich das Transaktionsvolumen auf den Investmentmärkten im zweiten Quartal zum Vorquartal, bei Büroimmobilien brach es um zwei Drittel ein. Bei Einzelhandelsimmobilien blieb es bei höheren Mietrenditen hingegen fast unverändert. Und die Spitzenmietrendite Berliner Büros zog im Zuge dieser ‚Zeitenwende‘ auf 2,7 % an, das erste Mal seit Ende 2008, dem letzten Epochenwechsel.

Mietpreiswachstum ebenfalls entscheidend

Höhere Mietrenditen, wie z.B. bei Shopping-Centern mit derzeit 4,9 %, mögen zwar scheinbar attraktiv für Investor:innen sein und ihnen nach wie vor einen hohen Renditevorsprung zu Zinsanlagen bieten. Aber dieser ist mit mehr Risiken verbunden. Das wesentlichste Risiko ist die Vermietbarkeit. Von so manchem vermeintlichen ‚Betongold‘ früherer Jahre sind heute nur noch verschandelte leerstehende Altbauten oder nach Abriss die Baulücke zu sehen. Bevor es so weit ist, ziehen Mieter:innen aus und die Mietpreise sinken, das zweite wesentliche Risiko. Das war und ist in manchen Shopping-Centern vor allem in kleineren Städten zu beobachten. Investor:innen antizipieren die rückläufigen Mieten und fordern eine höhere Risikoprämie, d.h. einen geringeren Kaufpreis. So erzielen sie dann zumindest vorerst eine höhere Mietrendite und haben Mittel übrig, um mit Modernisierungsmaßnahmen, die Grundlage für künftig wieder steigende Mieten zu legen. Für Shopping-Center mag das schwieriger sein als bei anderen Nutzungsarten. Es ist inzwischen aber ein Trend, ältere Immobilien in guten Innenstadtlagen, vor allem ehemalige Kaufhäuser, durch Umbau von einer in mehrere Nuzungen zu ‚transformieren‘. Diese Transformationsimmobilien enthalten dann neben Handels- und Dienstleistungsflächen im Erdgeschoß, Büros und Wohnungen in den Obergeschoßen. Diese Diversifikation stabilisiert den Miet-Cashflow und lässt erwarten, dass er steigt, wenn nicht in dem einen, dann im anderen Sektor. Dies belohnen Investor:innen mit einer geringeren Risikoprämie, sind also bereit, dafür höheren Preise zu zahlen.

Kosten und staatliche Eingriffe

Weitere Risiken nehmen mit den steigenden Energiekosten, den Anforderungen an die Energieeffizienz und Klimaneutralität der Gebäude sowie der Überwälzbarkeit dieser Kosten und Investitionen auf die Mieter zu. Die virulente Herausforderung für viele Wohnungsmieter dürfte kurzfristig die drohende drastisch höhere Nebenkostenabrechnung sein. Staatliche Hilfen sollten entlasten, aber eben nicht alle und nicht vollends. So werden die Warmmieten steigen und mit Blick auf das verfügbare Einkommen der Hauhsalte das Wachstumspotenzial der Kaltmieten begrenzen. Denn bevor diese erhöht werden können, sollten zuerst die Heizkosten bezahlt sein. Zudem drohen mit der aktuellen Reform des ‚Mietspiegels‘ und der verschärften ‚Mietpreisbremse‘ sowie der Regelung zur Aufteilung der neuen CO²-Abgabe im Gebäudesektor staatliche Eingriffe, die das Mietwachstum begrenzen und die Überwälzbarkeit von Kosten reduzieren, wenn nicht stark in den Klimaschutz investiert wird. Gerade im Wohnungsmarkt nehmen staatliche Eingriffe seit Jahren zu, ohne dass dies von Investoren ausreichend in höheren Risikoprämien antizipiert worden wäre.

Immobilien als Inflationsschutz

Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass Immobilienbesitzer:innen sich von ihren Liegenschaften einen Schutz vor der Inflation versprechen. Für die Selbstnutzenden bieten sie auf jeden Fall Schutz vor zu hohen Mietsteigerungen. Als Sachvermögen ermöglichen sie den Anleger:innen im Zeitablauf, anders als nominale Zinseinnahmen, steigende Erträge, die die Inflation ausgleichen können. In Zeiten stetig hohen Mietwachstums und zudem steuerlicher Vorteile für Immobilien erlaubte dies sogar eine niedrigere anfängliche Mietrendite als die von zehnjährigen Bundesanleihen. Das war bis Mitte der 1990er Jahre so. Dann sorgten eine durch Überangebot hervorgerufene schwere Immobilienmarktkrise, etwas geringere Steueranreize und deutlich mehr internationale Investor:innen unter den Akteuren für die Berücksichtigung höherer Risikoprämien. Dieser Prozess war mit erheblichen Werteinbußen verbunden, so dass nicht Immobilien, sondern eher Bundesanleihen vor Inflation schützten. Ob der Inflationsschutz dieses Mal mit Immobilien gelingt, hängt maßgeblich davon ab, wann sie erworben wurden. Einem Büroimmobiliennvestor zu Beginn der 1990er Jahre ermöglichten erst die Wertzuwächse der letzten etwa fünf Jahre den inflationsbereinigten Erhalt seines ursprünglich investierten Kapitals, allerdings nur in den Metropolen. Als Wohnimmobilieninvestor wäre ihm dies in diesen Städten im Mittel schon seit 2009 wieder gelungen. Ältere Anleger:innen von Büro- und Wohnimmobilien in Metropolen aus den Jahren 1975 oder 1980 konnten tatsächlich lange Zeiträume mit einem Schutz vor Inflation erleben, aber auch bei ihnen gab es Phasen nicht ausreichenden Werterhaltes. Dies waren Zeiten des schwachen oder rückläufigen Wirtschaftswachtums und zugleich hoher ursprünglich durch Abgebotsschocks ausgelöster Inflation Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre. Da sind sie also wieder, die die Immobilieninvestor:innen erschreckenden Gespenster Rezession und Stagflation.

Zukunft herausfordernd, aber nicht hoffnungslos

Obwohl die deutsche Wirtschaft derzeit am Rande einer Rezession mit hoher Inflation steht, befindet sie sich noch nicht darin. Gelingt es, die Gas-Notlage ohne wirkliche Blessuren zu überstehen, kann die Konjunktur knapp an einer Rezession vorbeischrammen. Davon geht die Bundesbank aus und wir sehen es ebenso. Damit bleibt auch die Nachfrage auf den Immobilienmärkten rege, vor allem nach nachhaltigen, modernen Objekten in gefragten Lagen. Zudem besteht anders als in den 1990er Jahren kein Überangebot, sondern es fehlen vor allem bezahlbare Wohnungen, insbesondere für durchschittlich verdienende Haushalte. Dabei wird der Staat helfen müssen. Solange sie noch nicht gebaut sind, dürften Mieten weiter spürbar zulegen, auch wenn dies etwas unterhalb der Inflation sein sollte. Damit sich die Lage entspannt, ist eine Rückkehr zur Normalität nach der Pandemie notwendig sowie die Annahme, dass die Folgen des Ukraine-Krieges beherrschbar bleiben. Dies würde allerdings auch mit höheren Zinsen als in der letzten Dekade einhergehen. Deshalb dürfte es mittelfristig zu einer Konsolidierung auf den Immobilienmärkten kommen. Dabei sind Werteinbußen für weniger gefragte Immobilien in schwierigen Lagen und solchen in sehr hochpreisigen Märkten wahrscheinlich. Sie dürften mehr Gewerbeimmobilien betreffen als Wohnimmobilien und im Hinblick auf die Wertzuwächse der Vorjahre begrenzt bleiben. Langjährige Hausbesitzer:innen brauchen sich also nicht erschrecken lassen.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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