Der Wochenkommentar

Zweistellige Lohnforderungen: Angst vor einer Lohn-Preis-Spirale

Januar 2023 An der hohen Inflation trägt die EZB keine Schuld, Verantwortung für ihre Eindämmung hat sie dennoch. Hier treffen unterschiedliche Interessen aufeinander, die sich im Kampf um höhere Löhne manifestieren.
Ein Kommentar von Dr. Cyrus de la Rubia

Dr. Cyrus de la Rubia

Es ist eine der Grundfragen der Volkswirtschaftslehre: Was sind die Ursachen einer zu hohen Inflation? Besonders populär ist die Antwort, dass es immer dann zu einer überdurchschnittlichen Inflation kommt, wenn die Notenbank zu viel Geld druckt. Diese Begründung wirkt in diesen Tagen besonders überzeugend, weil die Notenbanken in den vergangenen 15 Jahren tatsächlich ihre Zentralbankgeldmengen erheblich ausgeweitet haben. Dass die Sache durchaus nicht so einfach ist, macht ein Blick auf die vergangenen Jahre deutlich.

Zunächst ist mit einem Missverständnis aufzuräumen: Wenn eine Notenbank Geld druckt, dann steigt zwar die Zentralbankgeldmenge, nicht aber unbedingt die Geldmenge, die von den Banken geschöpft wird, wozu insbesondere Sicht- und Termineinlagen zählen. Letztere ist die für die Inflation relevante Geldmenge (denn die Sichteinlagen werden irgendwann abgehoben, um damit Güter und Dienstleistungen zu kaufen, was zu höheren Preisen führen kann).

In der Coronakrise ist aber in der Eurozone (aber auch in anderen Regionen) etwas anderes passiert. Hier haben die Staaten massiv Schulden aufgenommen und gleichzeitig hat die EZB ebenfalls in einem sehr ungewöhnlichen Ausmaß Anleihen gekauft, um die Zinsen niedrig zu halten. In dieser Zeit ist nicht nur die Zentralbankgeldmenge gestiegen, sondern auch die private von den Banken geschaffene Geldmenge. So sind beispielsweise Bargeld und täglich fällige Sichteinlagen (die Geldmenge M1) Anfang 2021 mit einer Rate von über 12 % gestiegen. Letzteres hatte aber fast ausschließlich mit der Schuldenaufnahme zu tun, denn dieses Geld ist dann direkt und indirekt in den Bankensektor geflossen (direkt, weil einige staatliche Behörden das Geld im Bankensektor vorübergehend angelegt, oder indirekt, weil die Empfänger staatlicher Mittel das Geld zur Bank gebracht haben). Man könnte auch sagen: Es war Zufall, dass die Zentralbankgeldmenge und die Geldmenge M1 gleichzeitig gestiegen sind.

Tatsächlich war es kein Zufall, nur die Kausalität ist eine andere als viele Beobachter behaupten. Die EZB hat während der Corona-Zeit auf zwei Dinge reagiert: Die gestiegene Unsicherheit, die viele Institutionen veranlasst hat, mehr Liquidität zu halten, und das Bestreben, die langfristigen Renditen niedrig zu halten. Mit dem Kauf der Staatsanleihen hat man diese beiden Ziele erreicht, denn dadurch hat die EZB die von den Banken nachgefragte Liquidität in die Märkte gepumpt, und gleichzeitig hat die verstärkte Nachfrage nach Anleihen die Renditen dieser Papiere niedrig gehalten. Auf diese Weise war auch sicher gestellt, dass die Staaten in dieser Notsituation nicht Gefahr liefen, sich zu höheren Zinsen verschulden zu müssen und eventuell in Zahlungsnöte zu kommen. Man mag das beklagen, aber Tatsache ist, dass die Länder der Eurozone auf diese Weise in der Lage waren, rasch und umfassend den Menschen und Unternehmen zu helfen. Wäre dagegen der finanzielle Handlungsspielraum eingeengt gewesen, wäre es möglicherweise zu einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems und der Wirtschaft gekommen.

Im Nachhinein ist festzustellen, dass hier die Grundlagen für die hohen Inflationsraten geschaffen wurden. Denn die großzügigen schuldenfinanzierten Hilfen, die private Haushalte und Unternehmen erhalten haben, konnten zwar nicht für Reisen und für das Fitnesszentrum, sehr wohl aber für Gartenmöbel, Fitnessgeräte und Fahrräder ausgegeben werden. Kurz: Weniger Dienstleistungs-, dafür mehr Güternachfrage. Erhöhte Rohstoffnachfrage, Lieferkettenengpässe und explodierende

Güterpreise waren die Folge, verstärkt noch durch den Überfall Russlands auf die Ukraine. Mit anderen Worten: Inflation. Hätte das vermieden werden können? Nicht durch die EZB, die weder Lockdowns verfügt hat, noch die Lieferketten und die Geopolitik beeinflussen kann.

Insofern ist es offensichtlich nicht angebracht, der EZB die Schuld für die Inflation in die Schuhe zu schieben. Zu diesem Schluss kommt im Wesentlichen auch die Bundesbank, die in ihrem jüngsten Monatsbericht empirisch den Ursachen der Inflation auf den Grund geht.

Dass die EZB dennoch nunmehr die Verantwortung dafür hat, die Inflation wieder einzufangen, steht auf einem anderen Blatt. Denn sie hat jetzt, wo sich die Situation trotz der geopolitisch tragischen und brisanten Situation einigermaßen normalisiert hat, die Aufgabe, die Inflationserwartungen nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Dass diese Gefahr groß ist, zeigen die aktuellen Lohnverhandlungen. Die Gewerkschaft Verdi fordert für die Angestellten der Deutschen Post 15 % mehr Lohn und für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen wird im Durchschnitt 14 % mehr Geld verlangt. In diesem Jahr werden in Deutschland insgesamt die Löhne von etwa 10 Millionen Beschäftigten verhandelt – darunter ist der Einzelhandel, der Groß- und Außenhandel und der öffentliche Dienst der Länder vertreten. Man kann die Ansicht vertreten, dass die Lohnquote in unserer Volkswirtschaft steigen sollte – sie liegt derzeit bei 71,2 % und lag im Durchschnitt der letzten 20 Jahre bei 69,7 % –, wofür überdurchschnittliche Lohnforderungen eine Voraussetzung sind. Zweistellige Lohnzuwächse bergen aber in jedem Fall die Gefahr, dass sich eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzt, da Unternehmen versuchen werden, die mit den höheren Löhnen verbundenen Kosten an die Konsumenten weiterzugeben und somit die Inflation weiter anzuheizen. Genau diese Lohn-Preis-Spirale versucht die EZB mit ihren sehr deutlich kommunizierten Zinsanhebungen – für Februar und März sind zwei Zinsschritte von jeweils 0,5 Prozentpunkten vorgesehen, danach können noch weitere Schritte folgen – zu verhindern. Je weniger dies wahrgenommen wird, desto aggressiver wird die EZB gegensteuern müssen mit dem Risiko, dass die Konjunktur doch noch einbricht. Letztlich geht es hier um Glaubwürdigkeit, sowohl auf der Seite der EZB als auch auf der Seite der Gewerkschaften. Wie dieser Konflikt ausgeht, lässt sich nicht sagen. Die herrschende Arbeitskräfteknappheit spricht allerdings dafür, dass die Inflation aus demografischen Gründen nicht so bald auf das Inflationsziel von 2 % zurückkehren wird.

Dr. Cyrus de la Rubia

Chefvolkswirt und Head of Research

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